Entscheidung über das Euro-Rettungspaket:Den Abgrund im Blick

Lesezeit: 3 min

Es war eine Zitterpartie für die Regierung: Der knappe Vorsprung über der Kanzlermehrheit lässt erkennen, dass es Angela Merkel nicht gelang, die Vorbehalte gegen das 750-Milliarden-Rettungspaket zu zerstreuen.

C. Hulverscheidt, S. Höll und M. Bauchmüller

Es ist nur Dagmar Enkelmann, die Geschäftsführerin der Linksfraktion, die sich da am Rednerpult echauffiert, und wären die Zeiten normal, würden sich die Abgeordneten von Union und FDP einfach in ihren blauen Sitzen fläzen und ein paar spöttische Bemerkungen in den Plenarsaal rufen. Aber die Zeiten sind nicht normal, und als Enkelmann lauthals klagt, das Parlament werde mit den dauernden Eilgesetzen der Regierung zur Rettung der Banken, der Griechen und des Euro zur "Abstimmungsmaschine degradiert", da muss sich mancher Christ- oder Freidemokrat beherrschen, nicht aus Versehen Beifall zu klatschen.

Guido Westerwelle und Angela Merkel: In der Krise schlägt die Stunde der Exekutive. (Foto: Foto: dpa)

Natürlich wird der Geschäftsordnungsantrag der Linken, die Schlussdebatte über den Euro-Rettungsschirm zu verschieben, am Ende wie immer abgelehnt. Wäre die Abstimmung allerdings geheim gewesen, sie wäre wohl anders ausgegangen.

Keine Zeit

Es ist das Ende einer Woche, in der alles sehr, sehr schnell gehen musste, wieder einmal. Vor gerade einmal 14 Tagen haben die Regierungschefs der 16 Euro-Länder beschlossen, einen "Schutzschirm" über der gemeinsamen Währung aufzuspannen, um diese gegen die Angriffe von Spekulanten zu verteidigen.

Unvorstellbare 750 Milliarden Euro an Krediten und Bürgschaften sollen dafür bereitgestellt werden, fast 150 Milliarden übernimmt Deutschland. Es hat schon Gesetzentwürfe im Bundestag gegeben, bei denen es um ein Tausendstel dieser Summe ging und um die dennoch drei Monate lang gefeilscht wurde. Diesmal hat das Parlament keine drei Tage Zeit.

In der Krise, so lautet eine alte politische Erkenntnis, schlägt die Stunde der Exekutive, der Regierung also, weil entschlossen und rasch gehandelt werden muss. Für das Parlament, den eigentlichen Gesetzgeber, heißt das im Umkehrschluss, dass es in solchen Zeiten zum bloßen Erfüllungsgehilfen verkommt. Das wirft nicht nur grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen auf, es nagt auch am Selbstverständnis der gewählten Abgeordneten - mal ganz abgesehen davon, dass die Parlamentarier daheim, in ihren Wahlkreisen, die Frage vieler Bürger beantworten müssen, wie sie auf die Idee kommen, Bankern, Griechen oder sonstwem die Milliarden hinterherzuwerfen.

Kein harmonisches Routinetreffen

Als am Donnerstag nach der Sitzung der Unionsfraktion deren Geschäftsführer Peter Altmaier vor die Presse tritt, sieht man ihm an, dass es kein harmonisches Routinetreffen der Abgeordneten von CDU und CSU war. Nach intensiver Diskussion, so berichtet er, sei die Fraktion aber praktisch einhellig vom Vorgehen der Regierung überzeugt. Es ist Altmaiers Job, so etwas zu sagen. Ein anderer Abgeordneter hingegen flüstert beim Rausgehen, "gefühlt" seien 90 Prozent der Kollegen eigentlich dagegen.

Der Unmut ist auch deshalb so groß, weil es anders als beim Hilfspaket für Griechenland vor zwei Wochen diesmal eigentlich gar keinen Zeitdruck gab. Noch ist kein weiteres Euro-Land in Not, zudem steht für den akuten Krisenfall ein Topf der EU-Kommission mit immerhin 60 Milliarden Euro zur Verfügung. Führende Koalitionspolitiker begründen die Eile damit, dass Deutschland als größtes Mitglied der Europäischen Union ein klares und entschlossenes Signal an die Finanzmärkte habe senden müssen. Unter der Hand heißt es aber auch, dass die Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel mit dem schnellen Beschluss die Debatte über die Art und Weise ihres Krisenmanagements habe beenden wollen.

Die Abgeordneten von Union und FDP, sie quälen sich - sind dabei aber beileibe nicht allein. Die meisten Kollegen der SPD etwa halten den Euro-Schirm für richtig, sind aber zugleich sauer auf Merkel, weil diese nach ihrem Dafürhalten bei der Frage der Bankenbesteuerung und einer schärferen Finanzmarktregulierung seit Wochen im Ungefähren bleibt. Am Ende stimmen die meisten Sozialdemokraten weder mit Ja noch mit Nein, sondern enthalten sich, wie schon beim Griechenlandpaket - obwohl sie genau das hatten vermeiden wollen.

Verschiedene Zwänge

"Eine Enthaltung ist keine Haltung", hatte Vizekanzler Guido Westerwelle vor zwei Wochen in Richtung SPD geätzt und damit durchaus einen wunden Punkt getroffen. Ein einhelliges Ja zum Euro-Rettungspaket aber wäre in der Fraktion schlicht nicht durchsetzbar gewesen, gegen ein Nein wehrten sich die Europapolitiker. Und so hält Parteichef Sigmar Gabriel im Bundestag keine europa-, sondern eine innenpolitische Rede, in der er sich damit begnügt, der Regierung im Allgemeinen und der Kanzlerin im Besonderen Unfähigkeit vorzuwerfen.

Ganz ähnlich ergeht es den Grünen. Deren Fraktionschef Jürgen Trittin wirkt wie unter Rechtfertigungszwang, nacheinander listet er auf, wieso die Grünen sich im Parlament enthalten wollen. Die vielen offenen Fragen. Die gebrochenen Zusagen der Kanzlerin. Die knappe Zeit. Der unsichere Ausgang der Aktion. Am Ende aber sagt er: "Natürlich hätte ich gerne zugestimmt." Nur könne er nicht einsehen, warum er die Katze im Sack kaufen solle. Es ist ein Dilemma, dass viele Grüne beschäftigt. Noch vor zwei Wochen hatte die Fraktion geschlossen mit Ja gestimmt, damals zur Griechenland-Hilfe. In einem Augenblick historischer Verantwortung wollten sie nicht am Rande stehen. Und jetzt?

Noch Mittwoch hatte es heftige Auseinandersetzungen gegeben. Vor allem Haushaltspolitiker der Partei stellten den Enthaltungskurs in Frage. Ein internes Papier sollte Vorbehalte zerstreuen, viele Parlamentarier warben für ein Ja zum Rettungsschirm. "Es sollte nicht der Eindruck entstehen, wir kümmerten uns nicht um die Stabilität Europas", sagt Grünen-Wirtschaftspolitikerin Christine Scheel. Am Ende siegten die Enthalter, bei der Abstimmung scherte keiner aus. "Aber einige von uns", sagt ein Abgeordneter, "haben nur mit innerem Gewürge die Fraktionsdisziplin gewahrt". Nicht nur bei den Grünen.

© SZ vom 22.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Zitate der Debatte
:"Bewährungsprobe für Europa"

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ein Regierungsstatement zum geplanten Euro-Rettungspaket abgegeben. Ein Plädoyer fürs neue Europa.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: