Das Politische Buch:Als Goebbels "auf die Tube drücken" wollte

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"Nun Volk steh auf, und Sturm brich los". Propagandaminister Joseph Goebbels hält im Sportpalast Berlin seine demagogische Rede. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

"Wollt Ihr den totalen Krieg", fragte der Reichspropagandaminister am 18. Februar 1943 seine Zuhörer im Berliner Sportpalast. Der Historiker Peter Longerich analysiert, welche Ziele wirklich hinter der Rede vor 80 Jahren steckten.

Von Robert Probst

Die Welt sei in großer Gefahr, sagte der Redner. Ein Volk von 200 Millionen sei zu einem "Angriffskrieg gegen Europa" vorbereitet worden. Und: "Der Ansturm der Steppe gegen unseren ehrwürdigen Kontinent ist in diesem Winter mit einer Wucht losgebrochen, die alle menschlichen und geschichtlichen Vorstellungen in den Schatten stellt." Auch die wahren Absichten des Aggressors seien bekannt, so der Redner weiter. "Uns kann der Kreml nichts vormachen."

Propaganda hat wieder Konjunktur dieser Tage. Vor 80 Jahren, am 18. Februar 1943, lieferte Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast eine Art Meisterstück ab. In völliger Verdrehung der Tatsachen, wer wen angegriffen hatte, malte er das Bild der anstürmenden kommunistischen Horden an die Wand. Und die Zuhörer folgten begeistert seiner zweistündigen Ansprache, die in der berühmt-berüchtigten Frage "Wollt ihr den totalen Krieg" mündete.

In kaum einer Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg fehlt dieser Ausschnitt aus der Wochenschau, in der der Reichspropagandaminister seine suggestiv-rhetorischen Fragen ins Publikum schleudert. Doch was wollte Goebbels mit der Parole vom "totalen Krieg" eigentlich erreichen?

Interne Machtkämpfe als Beweggründe

Der Historiker Peter Longerich, breit bekannt geworden mit Biografien über Joseph Goebbels, Adolf Hitler und Heinrich Himmler, hat vor wenigen Jahren schon einmal ein Schlüsselereignis der NS-Zeit seziert und analysiert. Wie bei der "Wannseekonferenz" (2016, Pantheon ) nimmt Longerich die Sportpalastrede zum Anlass, den historischen Kontext zu liefern, die Motive der Beteiligten offenzulegen und die Wirkung zu betrachten. Wie auch bei der Wannseekonferenz interpretiert er Goebbels Rede als internen Kampf in den NS-Führungszirkeln um Macht und Einfluss.

Ohne Zweifel befand sich das Regime im Winter 1942/43 in seiner bisher größten Krise, die Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad und schwere Rückschläge in Afrika waren vor der Bevölkerung nicht mehr zu verheimlichen. Und Adolf Hitler hatte die Lust verloren, zu seiner "Volksgemeinschaft" zu sprechen. In diese Lücke wollte nun Goebbels springen.

"Er versprach sich von einer Umstellung des öffentlichen Lebens auf harte Kriegsbedingungen eine gewisse psychologische Entlastung, Ablenkung von der Krise und eine Art Beschäftigungstherapie. Gleichzeitig wollte er die Handlungsspielräume des Regimes erweitern. Die Mobilisierung für einen 'totalen Krieg' sollte die Autorität von Partei und Staat stärken und ihre Kontrolle über die Bevölkerung erhöhen", so Longerich. Seine Idee: den Führerstaat auch ohne sichtbaren Führer aufrechtzuerhalten.

"Heroische Mobilisierung der letzten Reserven"

Goebbels bereitete die Kursänderung akribisch vor, sein Plan, "nicht mehr in so bürgerlich sanfter Weise mit dem Volke" umzugehen, traf aber auf deutlichen Widerstand etwa beim Leiter der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, oder dem Leiter der Parteikanzlei, Martin Bormann. Doch Goebbels wollte nun erst recht seine "Kampagne zur heroischen Mobilisierung der letzten Reserven" ins Werk setzen, seinem Tagebuch vertraute er an: "Man kann jetzt gar nicht stark genug auf die Tube drücken."

Peter Longerich: Die Sportpalast-Rede 1943. Goebbels und der "totale Krieg". Siedler Verlag, München 2023. 208 Seiten, 24 Euro. (Foto: Siedler)

Wie Goebbels dann am 18. Februar auf die Tube drückte, vor allem gegen die "jüdische Weltverschwörung", kann man in der vollständig dokumentierten (inklusive Reaktion des Publikums) und kommentierten Rede nachlesen. Longerich erklärt Aufbau und Absicht der Rede eindrücklich, zeigt auf, wie Goebbels als Gauleiter von Berlin quasi nebenbei die Deportation der verbliebenen Juden aus der Reichshauptstadt ankündigte und wie er mit relativ schonungsloser Offenheit über die Kriegslage den Zwang zum "totalen Krieg" herleitete.

Das handverlesene NS-Publikum, keineswegs das Volk, stimmte allem zu: Stilllegung nicht kriegswichtiger Betriebe, Schließung von Vergnügungsstätten, Fronteinsatz aller tauglichen Männer, Arbeitseinsatz aller Frauen, die dazu in der Lage waren. Dass dann am Ende nicht alles so kam, weil Behörden und Partei Goebbels Elan an vielen Stellen ausbremsten, zeigt Longerich ebenso auf wie die sehr verhaltene Reaktion der Presse auf die Rede im Ausland.

Im Zeitalter von Fake-News und Verschwörungserzählungen ist die (erneute) Entmythologisierung der Sportpalast-Rede ein lehrreiches Gegengift.

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