Um kurz vor neun Uhr am Montag fuhr ein dunkler Range Rover durch das hintere Tor in Downing Street und hielt in der kleinen Parkbucht. Vorne, gegenüber der schwarzen Tür mit der glänzenden Nummer 10, standen die Kameras und hielten drauf, die Kommentatoren der News-Sender begannen zu spekulieren, wer wohl aussteigen mag. Dann ging die Autotür auf. So ist das ja immer in Downing Street, in seiner Wirkung seit jeher mehr Filmkulisse als Regierungssitz, wenn der britische Premierminister entlässt oder einstellt: großes Kino. Und an diesem Montag, an dem Rishi Sunak sein Kabinett umbaute, war das Drehbuch ganz besonders raffiniert. Aus dem Auto stieg David Cameron, der frühere Premierminister.
Am Montagmorgen war bereits bestätigt worden, dass Sunak die Innenministerin Suella Braverman aus dem Amt entfernt hat, "sacked" heißt das auf Englisch wenig charmant. Bald darauf traf James Cleverly in Downing Street ein, bisher Außenminister, er wurde zum Nachfolger Bravermans ernannt. Und dann kam ebenjener schwarze Range Rover mit Cameron, der 2016 zurückgetreten war, als das Land mit einer knappen Mehrheit für den Brexit gestimmt hatte. Cameron war etwa eine Stunde in Downing Street, als er wieder herauskam, hatte er einen neuen Job. Cameron wurde von Rishi Sunak zum neuen Außenminister ernannt.
Ein ehemaliger Premierminister, der später noch ein Amt im Kabinett übernimmt, das ist äußerst ungewöhnlich. Im Vereinigten Königreich gab es das zuletzt 1970, als der damalige Premierminister Edward Heath Alec Douglas-Home zum Außenminister machte. Douglas-Home war ein Jahr lang Premierminister gewesen, von 1963 bis 1964. Camerons Rolle in der britischen Historie war ungleich bedeutsamer, er war elf Jahre lang Parteichef der Konservativen und sechs Jahre Premierminister, von 2010 bis 2016. Er war es, der die Brexit-Entscheidung dem britischen Volk überließ, überzeugt davon, dass die Mehrheit der Briten für "Remain" stimmen würde, den Verbleib in der EU.
Man darf gespannt sein, welche Außenpolitik Sunaks Regierung mit Cameron verfolgen wird
Nach seinem Rücktritt, so hieß es zuletzt in Westminster, habe er noch keine wirklich passende neue Rolle gefunden. Tony Blair, der ehemalige Labour-Premierminister, hat ein Institut gegründet, das als einer der einflussreichsten Thinktanks für Labour gilt. Cameron schrieb seine Memoiren und ist Vorsitzender einer Wohltätigkeitsorganisation, die sich der Alzheimer-Forschung verschrieben hat.
Über einen Umbau des Kabinetts war in Westminster schon seit Wochen spekuliert worden. Die Tories liegen in den Umfragen konstant rund 20 Punkte hinter Labour, zuletzt wuchs der Rückstand eher noch. Sunak nahm nun gleich mehrere Veränderungen vor, tauschte mehrere Minister und Staatssekretäre aus, auch Generalsekretär Greg Hands musste seinen Posten räumen. Sunak entließ unter anderem Innenministerin Suella Braverman, die immer wieder durch umstrittene Äußerungen weit am rechten Rand des politischen Spektrums auffiel. Zudem widersprach sie Sunak öffentlich in manchen grundsätzlichen politischen Fragen. Auch für kommenden Mittwoch wäre Derartiges zu erwarten gewesen: Am Mittwoch entscheidet der Oberste Gerichtshof, ob die britische Regierung Flüchtlinge nach Ruanda ausweisen darf. Im Falle einer Niederlage dürfte der rechte Flügel der Tories, deren Gesicht Braverman ist, einen Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (ECHR) fordern. Sunak sieht einen derart radikalen Schritt kritisch.
Großbritannien:Die Hetze der Innenministerin
Eine pro-palästinensische Demonstration nannte sie "Hassmarsch", die Teilnehmer einen "Mob": Kritiker werfen der britischen Innenministerin vor, die Stimmung aufgeheizt zu haben. Premier Rishi Sunak gerät unter Druck, Suella Braverman zu entlassen.
Innenministerin gewesen zu sein, sei "die Ehre ihres Lebens" gewesen, teilte Braverman mit. Und fügte an: "Ich werde bald noch mehr zu sagen haben." In Westminster rechnen sie damit, dass Braverman, nun als einfache Abgeordnete auf den hinteren Bänken im Unterhaus, noch befreiter für die Anliegen des rechten Flügels sprechen dürfte. Und damit: noch weniger Rücksicht auf die von Sunak vorgegebene Parteilinie nimmt.
James Cleverly wiederum gilt als eher besonnener Politiker, nicht zuletzt die ausländischen Botschaften in London schätzten den bisherigen Außenminister für seine eher sachlich-freundliche Art. Dass Cleverly im Fall einer Niederlage vor dem Obersten Gerichtshof am Mittwoch auf einen Austritt aus der ECHR dringt, gilt als unwahrscheinlich.
Welche Außenpolitik Sunaks Regierung mit Cameron verfolgen wird, das wird die spannendste Frage in der britischen Politik für die kommenden Monate sein. Seine enge Verbindung zu China etwa wurde in den vergangenen Jahren in der Partei kritisch gesehen. Camerons damalige Nachfolgerin Theresa May sagte, sie freue sich über dessen Ernennung, "seine große Erfahrung auf der internationalen Bühne ist unschätzbar in diesen unsicheren Zeiten". Cameron schrieb nach seiner Ernennung auf X, er sei "nicht immer mit einzelnen Entscheidungen Sunaks einverstanden" gewesen, lobte Sunak aber als "fähigen und starken Premierminister". Er wolle Teil eines Teams sein, das "so stark wie möglich ist" und "dem Land bei den nächsten Wahlen präsentiert werden kann". Wann die Wahl stattfindet, entscheidet im Königreich der Premierminister. Am wahrscheinlichsten erscheinen derzeit Wahlen im Frühjahr oder im Herbst, der spätestmögliche Zeitpunkt in der aktuellen Wahlperiode wäre der Januar 2025.