Coronavirus in Deutschland:Agrarministerin Klöckner warnt Verbraucher vor Hamsterkäufen

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Die Auseinandersetzungen über geltende Corona-Regeln in Deutschland werden nach Ansicht der Polizeigewerkschaften immer aggressiver geführt. Der Bundespräsident ist derzeit in Quarantäne, ein erster Test fiel aber negativ aus.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner appelliert an die Verbraucher, trotz der steigenden Zahl von Corona-Infektionen keine größeren Mengen einzukaufen als sonst. "Für Hamsterkäufe gibt es keinen Grund", sagte die CDU-Politikerin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Die Lieferketten funktionieren - das gilt nach wie vor." Zu keiner Zeit in der Pandemie sei die Lebensmittelversorgung in Deutschland gefährdet gewesen. "Wer hortet, handelt nicht nur unlogisch, sondern auch unsolidarisch. Und am Ende landet vieles in der Tonne."

Hintergrund ist, dass große Supermarktketten wie Aldi und Edeka über eine steigende Nachfrage nach bestimmten Produkten ähnlich wie im Frühjahr berichten. In sozialen Netzwerken machen zudem Fotos von sich leerenden Regalen mit Toilettenpapier die Runde. Am Freitag hatte schon Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) gesagt, die Verbraucher müssten "sich keine Sorgen machen", was die Versorgung des Einzelhandels betreffe.

Klöckner fügte hinzu: "Aus dem lockdown-ähnlichen Zustand im Frühjahr liegen uns wichtige Erfahrungswerte vor, damit Wirtschaften in der Pandemie gelingt." Politik und Wirtschaft wüssten nun, wie "Vorsorge und Versorgung verantwortungsvoll organisiert" werden könnten. "Auch die Überzeugung, nicht mehr unabgesprochen Grenzen zu schließen, ist wichtig, damit der europäische Warenaustausch in Pandemiezeiten funktioniert." Sorgen um Engpässe seien unbegründet. "Wenn jeder normal einkauft, steht man auch selbst nicht irgendwann vor leeren Regalen."

  • Corona-Lage: Anders als im Frühjahr, aber ebenso gefährlich (SZ Plus)

Polizeigewerkschaften: Gefühlt mehr Einsätze wegen Streit über Corona-Regeln

Die Auseinandersetzungen über geltende Corona-Regeln in Deutschland werden nach Ansicht der Polizeigewerkschaften immer aggressiver geführt. "Nach wie vor gibt es immer noch eine hohe Akzeptanz für die Corona-Regeln, aber wir spüren auch, dass die Stimmung beginnt, aggressiver zu werden - zum Beispiel wenn wir als Polizei die Maßnahmen durchsetzen wollen", sagte der Vize-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, der Deutschen Presse-Agentur. "Da kommt es dann zu Widerstand. Das fängt an mit Beleidigungen, dann wird gepöbelt, gespuckt, angehustet. Das alles erleben unsere Kolleginnen und Kollegen in dieser Pandemie." Die Einsätze gingen nicht nur von sogenannten Maskenverweigerern aus. Auch Bürger, die geschützt werden wollen, hätten zuletzt ihre Schutzrechte stärker und zum Teil auch aggressiver eingefordert und zum Beispiel Maskenverweigerer auf ihr Fehlverhalten hingewiesen. "Daher kommt es nun insgesamt mehr zu solchen Einsätzen", sagte Radek - mit Zahlen belegen ließe sich dieser Trend aber nicht.

Auch der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, weist darauf hin, dass es für solche Übergriffe keine Statistiken gebe. "Aber es gibt immer mehr Berichte aus der Belegschaft der Polizei, dass die Akzeptanz der Corona-Regeln insgesamt abgenommen hat und zunehmend offen und aggressiv gegen Einsatzkräfte vorgegangen wird, die die Einhaltung der Vorschriften kontrollieren und durchsetzen sollen."

RKI meldet 5587 Neuinfektionen

Erwartungsgemäß haben die Gesundheitsämter in Deutschland vergleichsweise wenig neue Corona-Infektionen binnen 24 Stunden gemeldet. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab den Wert am frühen Sonntagmorgen mit 5587 an. An Sonntagen wie auch an Montagen sind die erfassten Fallzahlen meist niedriger, auch weil am Wochenende nicht alle Gesundheitsämter Daten an das RKI übermitteln. Im Vergleich zu den 3483 Infektionen am Sonntag vergangener Woche ist der aktuelle Wert aber deutlich erhöht.

Die Zahl der Neuinfektionen hatte am Samstag mit 7830 zum dritten Mal in Folge einen Höchstwert erreicht. Das RKI weist in seinem Lagebericht von Samstagabend darauf hin, dass mittlerweile mehr als die Hälfte aller Landkreise eine erhöhte Verbreitung des Coronavirus von mehr als 25 nachgewiesenen Infektionen pro Woche und 100 000 Einwohner haben.

Seit Beginn der Corona-Krise haben sich nach RKI-Angaben mindestens 361 974 Menschen in Deutschland nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert (Stand: 18.10., 0.00 Uhr). Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion lag demnach bei 9777. Das waren zehn mehr als am Vortag. Nach Schätzungen des RKI gibt es etwa 291 900 Genesene.

Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, lag in Deutschland laut RKI-Lagebericht vom Samstag bei 1,40 (Vortag: 1,22). Das bedeutet, dass ein Infizierter im Mittel rund 1,4 weitere Menschen ansteckt. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab. Zudem gibt das RKI in seinem aktuellen Lagebericht ein sogenanntes Sieben-Tage-R an. Der Wert bezieht sich auf einen längeren Zeitraum und unterliegt daher weniger tagesaktuellen Schwankungen. Nach RKI-Schätzungen lag dieser Wert bei 1,37 (Vortag: 1,30). Er zeigt das Infektionsgeschehen von vor 8 bis 16 Tagen.

Bundespräsident Steinmeier in Quarantäne

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich am Samstag in Quarantäne begeben. Wie eine Sprecherin des Bundespräsidialamtes in Berlin mitteilte, ist ein Personenschützer des Staatsoberhauptes positiv auf das Coronavirus getestet worden. Bei dem Mann aus dem Kommando des Bundeskriminalamtes handele es sich um eine Kontaktperson ersten Grades. Steinmeier wurde danach ebenfalls getestet, dieser erste Test sei negativ ausgefallen. Der Bundespräsident bleibe selbstverständlich weiter in Quarantäne, in den kommenden Tagen seien weitere Tests geplant.

Auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) ist in Corona-Quarantäne. Der Minister habe alle Termine für das Wochenende abgesagt, teilte ein Sprecher des Innenministeriums am Samstagabend mit. Ein Beamter aus seinem Personenschutzkommando habe zuvor ein positives Testergebnis erhalten. Strobl zeige keine Symptome. "Es geht ihm gut und er ist voll arbeitsfähig", erklärte der Sprecher. Am Sonntag teilte er mit, dass auch Strobls Testergebnis negativ sei.

Alarmstufe Rot in Baden-Württemberg

Wegen des starken Anstiegs der Infektionszahlen ruft Baden-Württemberg die höchste Corona-Alarmstufe aus. Weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wie eine verschärfte Maskenpflicht in der Öffentlichkeit und zusätzliche Kontaktbeschränkungen sollen am Montag in Kraft treten, wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Samstag nach einer außerordentlichen Kabinettssitzung mitteilte. Auch im Unterricht an weiterführenden Schulen gilt ab Montag eine Maskenpflicht.

Man müsse aufgrund der Geschwindigkeit, mit der sich die Pandemie entwickele, die Maßnahmen verschärfen, sagte Kretschmann. Wenn diese Einschränkungen über sieben bis zehn Tage nicht wirkten, werde man die Maßnahmen verschärfen und etwa Treffen im öffentlichen Raum drastisch einschränken: "Das muss jedem klar sein: Wenn das nicht geht, dann werden wir zum Schluss sehr viel härter Maßnahmen ergreifen müssen, die dann auch tiefer ins Arbeitsleben eingreifen." Die Pandemiestufe drei bedeutet den Eintritt in die "kritische Phase" mit landesweiten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner von mehr als 35 in einer Woche. Am Freitag lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 42,2. Diese Phase zeichnet sich durch einen starken, möglicherweise exponentiellen Anstieg der Fallzahlen mit diffusen, häufig nicht mehr nachvollziehbaren Infektionsketten aus.

Kanzlerin Merkel ruft Bürger zur Mithilfe auf

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat in ihrem am Samstag veröffentlichten wöchentlichen Podcast eindringlich an die Bürger appelliert, zur Eindämmung der Corona-Pandemie beizutragen. "Wir müssen jetzt alles tun, damit das Virus sich nicht unkontrolliert ausbreitet. Dabei zählt jetzt jeder Tag", sagte die Kanzlerin. Angesichts der weiter steigenden Infektionszahlen in Deutschland rief Merkel dazu auf, auf unnötige Reisen zu verzichten. "Ich bitte Sie: Verzichten Sie auf jede Reise, die nicht wirklich zwingend notwendig ist, auf jede Feier, die nicht wirklich zwingend notwendig ist. Bitte bleiben Sie, wenn immer möglich, zu Hause, an Ihrem Wohnort." Es reiche nicht mehr, Abstand zu halten und Maske zu tragen.

Darüber hinaus rief Merkel dazu auf, die Kontakte außerhalb der eigenen Familie zu beschränken. Wenn jeder seine Begegnungen außerhalb der eigenen Familie eine Zeitlang deutlich verringere, dann könne es gelingen, den Trend zu immer mehr Infektionen zu stoppen und umzukehren. "Genau das ist heute mein Appell an Sie: Treffen Sie sich mit deutlich weniger Menschen, ob außerhalb oder zu Hause."

Deutschland sei in "sehr ernsten Phase" der Pandemie. Das Virus breite sich rapide aus, schneller als zu Beginn vor mehr als einem halben Jahr. "Der vergleichsweise entspannte Sommer ist vorbei, jetzt stehen uns schwierige Monate bevor. Wie der Winter wird, wie unser Weihnachten wird, das entscheidet sich in diesen kommenden Tagen und Wochen. Das entscheiden wir alle durch unser Handeln."

Mecklenburg-Vorpommern hebt Quarantänepflicht für Touristen auf

Mecklenburg-Vorpommern gibt seinen harten Kurs beim Beherbergungsverbot für Touristen aus Corona-Risikogebieten auf. Landesregierung und Tourismusbranche einigten sich am Samstag drauf, dass von Mittwoch an ein aktueller negativer Corona-Test, der nicht älter als 48 Stunden ist, ausreicht. Die Landeregierung gibt damit ihre Forderung nach einer mindestens fünftägigen Quarantäne und einem darauf folgenden zweiten negativen Corona-Test aus.

Der Einigung war ein wochenlanger Streit vorausgegangen. Mecklenburg-Vorpommerns harter Kurs hatte zu massiver Kritik geführt. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) hatte aber angesichts der steigenden Zahl an Neuinfektionen auf den Sonderweg bestanden. Die Einigung kommt wenige Tage, bevor das Greifswalder Oberverwaltungsgericht über mehrere Eilanträge gegen das Berherbergungsverbot entscheiden wollte.

Gerichte in einer Reihe anderer Bundesländer hatten in den vergangenen Tagen das Beherbergungsverbot gekippt. Gerichte in Schleswig-Holstein und Hamburg hatten das Verfahren, dass Touristen einen aktuellen negativen Test vorlegen müssen, indes bestätigt. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern kann also auf eine ähnliche Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Greifswald hoffen. Einige Bundesländer verzichten inzwischen ganz auf Gesundheitsnachweise.

Nach Einschätzung der Tourismuswirtschaft kam die bislang in Mecklenburg-Vorpommern geltenden Einreisebestimmungen für Besucher aus Corona-Hotspots einem Beherbergungsverbot gleich. Nach einem coronabedingten vollständigen Reisestopp im Frühjahr erlebte die Branche in der Sommersaison wieder einen Aufwind. Nun musste sie im Herbst einen neuerlichen Rückschlag hinnehmen. Insbesondere Touristen aus Berlin fielen weg. Dort hatten zu Beginn der Herbstferien die Infektionszahlen die kritische Marke von 50 neuen Ansteckungen je 100 000 Einwohner in einer Woche überstiegen. Der Landestourismusverband Mecklenburg-Vorpommern beziffert die Umsatzverluste mit 60 bis 80 Millionen Euro.

Oberverwaltungsgericht stoppt Beherbergungsverbot in Brandenburg

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat das Beherbergungsverbot in Brandenburg für Gäste aus Corona-Hotspots vorläufig gestoppt. Das Gericht habe zwei Eilanträgen stattgegeben, teilte es am Freitagabend mit. Damit ist das Übernachtungsverbot in Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen und Campingplätzen für Besucher aus Regionen in Deutschland mit über 50 neuen Infektionen je 100 000 Einwohnern in einer Woche vorläufig außer Kraft gesetzt.

Ein Hotel und eine Vermieterin von Ferienwohnungen hatten sich mit Eilanträgen gegen die Verordnung gewandt. Eine der Antragstellerinnen reichte auch eine Klage ein.

Das Beherbergungsverbot sei voraussichtlich unverhältnismäßig, begründete das Gericht die Entscheidung. Die zu erwartende Eindämmung des Infektionsgeschehens stehe in keinem angemessenen Verhältnis zu den Einschränkungen, die das Hotel und die Vermieterin hinnehmen müssten. Auch die durch die Verfassung geschützte allgemeine Handlungsfreiheit der Urlauber werde zu stark eingeschränkt.

Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hingegen lehnte einen Eilantrag gegen das Beherbergungsverbot dort in zweiter Instanz ab. Zuvor hatte den Antrag auch das Verwaltungsgericht in der Hansestadt bereits zurückgewiesen. Gestellt hatte ihn nach Angaben des Gerichts ein Ehepaar aus Köln, das am Freitag anreisen wollte. Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

Der Schutz des Lebens und der Gesundheit der Menschen in Hamburg seien bedeutsamer als das private Interesse der Antragsteller an einem Erholungsurlaub in Hamburg, begründete das Gericht die Entscheidung.

In der Hansestadt müssen Touristen laut einer Verordnung zur Eindämmung des Coronavirus schriftlich bestätigen, dass sie sich in den vergangenen 14 Tagen nicht in einem Landkreis aufgehalten haben, in dem der Warnwert von 50 pro 100 000 Einwohner überschritten wurde. Ansonsten müssen die Urlauber ein ärztliches Zeugnis vorliegen, dass es keine Anzeichen für eine Corona-Erkrankung gibt. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Situation in einem Stadtstaat wie Hamburg - mit einer Vielzahl von Menschen auf engem Raum - anders zu bewerten sein könnte als dies in Flächenstaaten angezeigt sei, hatte das Verwaltungsgericht zu bedenken gegeben.

Laschet verkündet schärfere Maßnahmen für NRW

Die nordrheinwestfälische-Landesregierung erlässt wegen der Corona-Pandemie weitgehende Beschränkungen für das bevölkerungsreichste Bundesland. Wie Ministerpräsident Armin Laschet bei einem Presseauftritt am Donnerstag erklärte, wird für die Gastronomie in allen Kommunen mit hohen Corona-Neuinfektionszahlen eine verpflichtende Sperrstunde zwischen 23 Uhr und 6 Uhr eingeführt.

In der Zeit müssten alle gastronomischen Betriebe schließen. Alkohol dürfe dann auch an Tankstellen und Kiosken nicht mehr verkauft werden, erklärte Laschet. Die Sperrstunde sollte noch am Freitag um Mitternacht in Kraft treten. Düsseldorf und Köln hatten in dieser Woche bereits Sperrstunden zwischen 1.00 und 6.00 Uhr morgens eingeführt.

Die Sperrstunde gilt demnach in Kommunen mit 50 oder mehr Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb sieben Tagen. Damit setzt das Land eine Bund-Länder-Vereinbarung um, so Laschet. Die Ministerpräsidenten und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten sich am Mittwoch darauf geeinigt, bei 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen eine Sperrstunde um 23 Uhr für die Gastronomie zu verhängen.

Es sei "gut, dass bundesweit vergleichbare Standards existieren", sagte Laschet. Außerdem soll eine Maskenpflicht "in stark frequentierten Bereichen" gelten, etwa in Fußgängerzonen. "Dort, wo es eng wird, gilt künftig die Maskenpflicht", so Laschet, "aber nicht generell an der frischen Luft". Durchatmen sei gerade jetzt wichtig, sagte der Christdemokrat.

Laschet betonte, dass es bei privaten Zusammenkünften besonders oft zu Infektionen käme. Aus diesem Grund würde die Teilnehmerzahl von privaten Festen auf maximal zehn Personen begrenzt. Veranstaltungen - innen und außen - würden auf 100 Personen beschränkt, bei Sondergenehmigungen maximal 250 Personen.

In Hotspots mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in einer Woche gibt es demnach weiter Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum auf maximal fünf Personen.

"Wir muten Vieles zu", sagte Laschet. Die Landesregierung bitte die Bevölkerung um Verständnis. Der Ministerpräsident zeichnete ein ernstes Bild der Lage. "Das Virus breitet sich schnell und stark aus", sagte er. Einzelne Gesundheitsämter "geraten an die Grenze ihrer Belastbarkeit". Man sei an den Punkt gelangt, an dem sich entscheide, "ob wir die Kontrolle über die Pandemie behalten". Der Blick auf manche Nachbarländer zeige, dass man in Deutschland nur einen "geringen zeitlichen Vorsprung" habe. Man wolle unbedingt verhindern, dass es "überfüllte Krankenhhäuser" und einen flächendeckenden Lockdown gebe.

Nach Angaben des Landeszentrums für Gesundheit wurden am Freitag in NRW im Vergleich zum Vortag 2154 mehr Infizierte gemeldet. Aktuell seien damit 14 400 Menschen in NRW nachweislich infiziert. Auch Bielefeld und Bonn reihten sich inzwischen in die wachsende Kette der Städte und Kreise in NRW ein, die die 50er-Warnstufe überschritten haben.

Giffey: Kitas systemrelevant

Die Kindertagesbetreuung müsse als systemrelevant behandelt werden, sagt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey während der Bundespressekonferenz. Alle hätten noch gut in Erinnerung, wie hoch die Belastungen für Kinder und Familien bei den Schließungen im März und April gewesen seien.

Kitas seien keine Infektionsherde und Kinder keine Infektionstreiber: Das sei das Ergebnis einer Untersuchung, die Giffey gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorstellt. Der Studie zufolge wiesen seit Mitte März rund zehn Prozent der beteiligten Kitas mindestens einen Verdachtsfall für Corona auf. Allerdings habe es nur höchstens ein Prozent an Einrichtungen mit mindestens einem tatsächlichen Infektionsfall gegeben. An der Studie beteiligten sich etwa 12 000 Kitas.

Wenn es Ausbrüche in den Kitas gebe, dann seien in aller Regel die Erwachsenen diejenigen, die das Virus hinein und wieder hinausbringen würden, nicht die Kinder. "Es läuft sehr gut in den Kitas", fasst Spahn zusammen. Er ergänzt, einfacher Schnupfen solle nicht dazu führen, dass Kinder der Kita oder Schule fernbleiben. Erst wenn weitere Symptome wie Fieber, trockener Husten oder der Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns auftreten würden, sollten Kinder daheimbleiben.

Giffey betont, flächendeckende Schließungen wie im Frühjahr sollten "möglichst vermieden werden". Die Kita-Betreuung sei "systemrelevant, nicht nur für die betroffenen Kinder und deren Eltern, sondern auch für die Wirtschaft. Die Kitas hätten sich auch gut an Corona-Regelungen angepasst. Der Regelbetrieb solle so lange wie möglich aufrechterhalten werden. Alle Kinder, die einen Anspruch auf einen Platz haben, sollten auch kommen dürfen.

Hessen plant die Abschaffung des Beherbergungsverbots

Hessen plant die Abschaffung des Beherbergungsverbots. Das kündigte die Staatskanzlei in einer Mitteilung vom Freitag an. Die geplante Abschaffung stehe auf der Tagesordnung für eine Sitzung des Corona-Kabinetts am kommenden Montag.

Bund und Länder hatten am Mittwoch kein einheitliches Vorgehen beim Beherbergungsverbot finden können und eine endgültige Entscheidung auf Anfang November vertagt. Daraufhin hatten bereits einige Länder das Ende der Verbotsregelung angekündigt oder gar direkt umgesetzt, andere wie Nordrhein-Westfalen hatten die Vorschrift nie angewendet. In Baden-Württemberg hatte am Donnerstag ein Gericht das Beherbergungsverbot gekippt. In Mecklenburg-Vorpommern müssen dagegen Einreisende aus Corona-Hotspots mit hohen Neuinfektionszahlen zur Einreise einen negativen Corona-Test vorweisen oder sich ansonsten in Quarantäne begeben.

Nach Einschätzung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn werden die Beherbergungsverbote auf Dauer keinen Bestand haben. "Ich habe den Eindruck, wir kommen zu einer Einheitlichkeit, die bedeutet, so gut wie kein Beherbergungsverbot", sagt der CDU-Politiker in Berlin.

Gericht kippt Berliner Sperrstunde - Spahn bedauert Entscheidung

Das Berliner Verwaltungsgericht hat die vom Senat beschlossene Sperrstunde in der Hauptstadt gekippt. Das sagte ein Gerichtssprecher am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Mehrere Gastronomen hatten Eilanträge gegen die Verordnung eingereicht.

Insgesamt hatten sich nach Angaben von Rechtsanwalt Niko Härting etwa ein Dutzend Berliner Bars und Clubs gegen die Sperrstunde gewandt. Sie kritisierten die Maßnahme als unverhältnismäßig. Aus ihrer Sicht gibt es keine überzeugende Begründung für die Schließung der Gaststätten um 23 Uhr. Mit einer Sperrstunde für die Gastronomie werde erreicht, dass sich junge Menschen dann an anderen Orten träfen, für die keine Hygienekonzepte gelten, so die Argumentation.

Der Senat hatte am Dienstag vor dem Hintergrund der deutlich gestiegenen Infektionszahlen beschlossen, dass Restaurants, Bars, Kneipen und die meisten Geschäfte künftig zwischen 23 und 6 Uhr geschlossen sein müssen. Die neue Regelung war vom vergangenem Wochenende an in Kraft getreten. Gesundheitsminister Spahn sagte während der Bundespressekonferenz, er halte eine Sperrstunde für richtig und bedauere die Entscheidung des Gerichts. Es gehe um eine Priorisierung. Kita, Schule und Arbeitsplätze seien prioritär zu behandeln. Geselligkeit und Feiern, womöglich mit Alkoholausschank, dagegen nicht so sehr.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bedauert die Gerichtsentscheidung. Die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts erinnere die Politik daran, dass alle Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gut begründet werden müssten, sagte der CDU-Politiker in Berlin.

RKI-Präsident Wieler: Lockdown ist vermeidbar

Ein erneuter Lockdown ist nach Einschätzung des Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, vermeidbar, "wenn jeder Verantwortung übernimmt". "Wir wissen definitiv mehr über das Virus und besitzen bessere Mittel dagegen, Krankenhäuser und die Ärzte sind besser vorbereitet, Pflegeheime sensibler", sagte Wieler am Freitag in einem Interview der Nachrichtenagentur KNA in Berlin.

Mit Blick auf Impfungen warnte Wieler vor übertriebenem Optimismus. Die Wahrscheinlichkeit, einen Impfstoff zu finden, sei zwar deutlich höher als etwa bei Aids. Es gehe eher um die Frage, was eine Impfung bewirken könne: "Reduziert sie die Viruslast oder verhindert sie Erkrankung?" Hinzu komme die Frage der möglichen Nebenwirkungen. Das solle man "bei allem berechtigten Optimismus im Kopf behalten", so der RKI-Chef. Selbst wenn es eine Impfung gebe, werde man noch länger auf die AHA+L-Regeln - Abstand halten, Hygieneregeln beachten, Alltagsmasken tragen und Lüften - achten müssen. "Wir wissen noch nicht, wie gut ein Impfstoff wirken könnte. Und bis die gesamte Bevölkerung geimpft ist, kann es dauern", so Wieler.

Der derzeit rasante Anstieg sei nicht auf eine höhere Aggressivität des Virus zurückzuführen, so der RKI-Chef. Der Erreger Sars-CoV-2 werde in seiner Entwicklung weltweit mit aktuellen Daten überwacht. "Es gibt Hinweise für eine leichtere Übertragung, aber sonst werden - Stand heute - keine Änderungen der Biologie des Virus beobachtet."

Wieler betonte, dass Tests "kein Freibrief" seien. "Die Menschen können trotzdem infiziert sein, ohne, dass es bereits nachweisbar ist oder sie können sich schon kurz nach dem Test anstecken." Deshalb müssten auch direkt nach einem Test "unbedingt weiterhin die AHA+L-Regeln" beachtet werden.

Bericht: Sonderrechte für Spahn sollen verlängert werden

Die große Koalition will nach einem Medienbericht im Eilverfahren die Sonderrechte für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in der Corona-Bekämpfung über den 31. März 2021 hinaus verlängern. Eine entsprechende Vorlage werde derzeit zwischen den Ministerien abgestimmt, berichtete die Rheinische Post am Freitag.

Der Gesetzentwurf räume dem CDU-Politiker weitgehende Befugnisse ein. So dürfe Spahn eigenmächtig Verordnungen erlassen, soweit dies "zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch schwerwiegende übertragbare Krankheiten erforderlich ist". Spahn könne demnach nach eigenem Ermessen den internationalen und nationalen Reiseverkehr kontrollieren, berichtete das Blatt. Für Flug- und Seehäfen könne er Vorschriften erlassen, wenn die Infektionslage es erfordere.

© SZ/dpa/jael/jsa/saul/hij/odg/sebi/mpu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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