Corona-Maßnahmen:Was taugt die Hospitalisierungsinzidenz?

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In vielen Krankenhäusern liegen immer mehr schwer kranke Covid-Patienten - wie hier in Essen. (Foto: Daniel Vogl/dpa)

Sie ist die neue Richtschnur im Kampf gegen die Pandemie - statt der Inzidenz der Neuinfektionen. Wie viel Sinn ergibt das?

Von Sören Müller-Hansen und Michaela Schwinn, München

Der R-Wert, der Inzidenzwert, die Intensivbettenauslastung: Solche Kennzahlen können helfen, die Dramatik der Pandemie einzuschätzen - und entsprechende Maßnahmen zu beschließen. Nun, da die Infektionszahlen explodieren und immer mehr Intensivbetten belegt sind, gilt laut Infektionsschutzgesetz ein neues Kriterium: die Hospitalisierungsinzidenz. Was sie bedeutet und wie sinnvoll sie ist.

Was ist die Hospitalisierungsinzidenz?

Sie besagt, wie viele von 100 000 Menschen in der zurückliegenden Woche positiv auf Corona getestet und in eine Klinik eingeliefert wurden. Überschreitet der Wert bestimmte Grenzen, müssen die Bundesländer ihre Corona-Regeln anpassen.

Um welche Maßnahmen geht es?

Liegt der Wert in einem Bundesland bei drei, gilt für Gastronomie, Kultur- und Sportveranstaltungen die 2-G-Regel: Zutritt haben nur Geimpfte oder Genesene. Ab einem Wert von sechs heißt es dann 2-G-plus: Auch Geimpfte und Genesene müssen, vor allem in Clubs und Bars, nun einen Test vorweisen. Steigt der Wert über neun, können schärfere Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen ergriffen werden.

Wie wird diese neue Inzidenz erhoben?

Kliniken müssen den Gesundheitsämtern zeitnah melden, wenn sie einen positiv auf Covid-19 getesteten Patienten aufnehmen. Ein einheitliches, digitales Meldeverfahren fehlt aber, erklärt der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft Gerald Gaß. Die Informationen müssen also zunächst per Hand oder digital erfasst und dann an die Behörden gemailt oder gefaxt werden. Diese leiten die Daten an das Robert-Koch-Institut (RKI) weiter.

Warum stößt die Hospitalisierungsrate auf Kritik?

Als problematisch gilt vor allem die umständliche Datenerfassung. Im stressigen Krankenhausalltag mangelt es oft an Zeit, um die nötigen Dokumente sofort zu erstellen und zu verschicken. Das verzögert die Meldungen an Gesundheitsämter und an das RKI.

Zudem sortiert das RKI die gemeldeten Fälle nicht nach dem Datum der Krankenhauseinlieferung, sondern nach dem Datum des ersten positiven Tests. Wer also heute in die Klinik kommt, aber bereits vor mehr als einer Woche positiv getestet wurde, fällt aus der auf sieben Tage bezogenen Rechnung heraus. Das wird auch deshalb skeptisch gesehen, weil sich der Gesundheitszustand vieler Infizierter erst nach Tagen massiv verschlechtert.

Kritisiert wird auch, dass der Meldeverzug regional sehr unterschiedlich ausfällt. Daher sind die Werte nur schwer vergleichbar. Und gerade dort, wo die Lage besonders schlimm ist und Kliniken sowie Behörden überfordert sind, kommt es oft zu Verzerrungen. Experten beklagen, dass die Werte der Hospitalisierungsinzidenz zunächst fast immer zu niedrig sind und die Belastung der Kliniken deshalb unterschätzt wird. Zwar wird die Rate nachträglich korrigiert, in den zurückliegenden Wochen war sie dann häufig doppelt so hoch. Für die politischen Entscheidungen spielt das aber keine Rolle mehr. So lag der bundesweite Wert an diesem Freitag bei 5,3. Schätzungen der Süddeutschen Zeitung auf Basis vergangener Abweichungen ergeben jedoch, dass er zwischen neun und elf liegen dürfte.

Was wäre eine bessere Lösung?

Das RKI weiß, dass die Aussagekraft der Hospitalisierungsinzidenz begrenzt ist. In seinem Stufenplan sind die Grenzwerte für verschärfte Maßnahmen daher erheblich niedriger angesetzt: schon bei 1,5 und fünf statt erst bei drei und sechs. Die methodischen Schwächen des Indikators sind also eingepreist.

Entscheidender ist aber, sich nicht nur auf einen Wert zu stützen. Auch Gerald Gaß und andere Experten schlagen einen Dreiklang vor: Corona-Inzidenz, Belegung der Intensivstationen und Hospitalisierungsrate - vorausgesetzt, das Meldeverfahren wird nachgebessert.

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