EU und China:Leipziger Gipfel in der Schwebe

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und Chinas Staatschef Xi Jinping während des G20-Gipfels in Osaka. (Foto: dpa)

Kanzlerin Merkel wollte in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Beziehungen zu China klären. Die Corona-Pandemie durchkreuzt die ambitionierten Pläne.

Von Daniel Brössler, Lea Deuber und Matthias Kolb, Berlin/Brüssel/München

Es war ein ehrgeiziges Programm, das Angela Merkel am 23. Januar skizzierte: in Davos schwärmte die Kanzlerin davon, dass "zum allerersten Mal ein EU-China-Gipfel mit allen 27 Mitgliedstaaten" stattfinden werde - und zwar im September in Leipzig.

Für das Kernstück ihrer EU-Ratspräsidentschaft nannte sie zwei Ziele: Einerseits sollte das für Europas Wirtschaft so wichtige Investitionsschutzabkommen mit Peking abgeschlossen werden, andererseits hofft sie auf Fortschritte beim Klimaschutz. Wenn China sein geplantes Emissionshandelssystem einführe, so die Kanzlerin beim Klassentreffen der globalen Elite, und sich dieses mit dem europäischen verknüpfen ließe, hätte man "ein Riesenstück der Welt abgedeckt" und könnte damit Vorbild sein.

In Brüssel sah man Merkels Auftritt beim Weltwirtschaftsforum als Beleg, dass sie auf eine einheitliche China-Politik der EU dringen und dafür Deutschlands Gewicht einbringen wolle. Das Selbstbewusstsein aus dem Vorjahr sollte genutzt werden: Im März 2019 hatte die EU-Kommission einen Zehn-Punkte-Plan für eine "strategische Perspektive" im Umgang mit China präsentiert, die Staats- und Regierungschefs bezeichneten das Land als "strategischen Rivalen". Die Volksrepublik sei zwar ein Partner der EU, doch zugleich auch ein "systemischer Wettbewerber".

Am 23. Januar wurde allerdings auch die chinesische Metropole Wuhan abgeriegelt, um die Verbreitung des Coronavirus zu stoppen. Spätestens Mitte März, als halb Europa Kontaktsperren verhängte, war klar: Corona zerstört die ursprüngliche Choreografie. Das für Ende März terminierte Treffen von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel mit Premier Li Keqiang in Peking? Verschoben. Nun soll es im Juni stattfinden - virtuell. Die Pandemie hat nicht nur Priorität; wegen der Schutzauflagen arbeitet die EU-Maschinerie nur mit etwa einem Viertel ihrer Leistung.

"Auf Sparflamme" liefen die Vorbereitungen für Leipzig, heißt es. Die Botschafter hätten sich mit dem Thema noch nicht befasst, obwohl "intensivste Vorarbeiten" nötig seien. Nur so sei zu verhindern, dass einige EU-Staaten laut für eigene Interessen werben - und die Einheit bröckelt. Im Juli wollte Merkel auch Peking besuchen. Noch soll die Reise nicht abgesagt sein.

Peking kann den Europäern nichts geben, was Washington nicht sofort auch fordern würde

Reinhard Bütikofer, Chef der China-Delegation im EU-Parlament, wagt eine Prognose: "Viele Ergebnisse wird Merkel nicht präsentieren können." Im Klimaschutz tue sich nichts, zumal der für November geplante UN-Gipfel in Glasgow verschoben wurde.

Beim Marktzugang, einem zentralen Teil des Investitionsschutzabkommens, sei Staats- und Parteichef Xi Jinping nicht zu "relevanten Zugeständnissen" bereit. Bereits seit 2013 wird darüber verhandelt. Während Chinas Unternehmen in EU-Staaten kaum Regulierungen unterliegen, werden ausländische Firmen in China in vielen Branchen drangsaliert. Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in China, bemerkt eine gewisse "Müdigkeit", was Versprechen aus Peking angehe, fairere Spielregeln durchzusetzen.

Dass der Konflikt zwischen den USA und China eskaliert und die Anschuldigungen nahezu täglich an Schärfe zunähmen, verschlechtere die Position für die EU, glaubt Bütikofer: "Peking kann Brüssel nichts abgeben, was Washington sofort für sich fordern würde." Mikko Huotari, Chef des Berliner Merics-Instituts, sieht im Fokus auf den einen Gipfel in Leipzig das Problem: "Sinnvoll wäre es, erst einmal die Maßnahmen vom März 2019 abzuarbeiten. Dabei hat man bisher vielleicht bei zwei bis drei Punkten Fortschritte gemacht." Wuttke fordert mehr Selbstvertrauen. Europa ist der größte Abnehmer chinesischer Produkte, seine Unternehmen setzten weltweite Standards, die EU ist wichtiges Investitionsziel für Chinas Firmen: "Wir müssen nicht immer nach links und rechts schauen. China braucht uns."

Für Noah Barkin von der Denkfabrik German Marshall Fund hat Merkel "zu hohe Erwartungen geweckt, die kaum erfüllbar waren". Dies habe zu einer Art "Selbstzensur" geführt: Im Vergleich zu anderen EU-Ländern halte sich Berlin stark zurück, Chinas aggressive Außenpolitik zu kritisieren.

Auch die Opposition hält die Reaktion der Bundesregierung für zu zaghaft. "Der Versuch der Volksrepublik, auf europäischer Ebene und in Deutschland auf das Narrativ rund um den Ausbruch des Coronavirus Einfluss zu nehmen, verhöhnt unsere Institutionen", sagt die Vorsitzendende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Gyde Jensen (FDP). Merkel müsse die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und die Rolle Chinas in der Corona-Pandemie zur Chefsache erklären und "klarmachen, dass für uns als EU Menschenrechte nicht verhandelbar sind."

Dass die Bundesregierung in dieser heiklen Frage deutlich zurückhaltender auftreten könnte, lässt eine Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen erahnen. Sie liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Auf die Frage, welche Rolle die Menschenrechtslage in Leipzig spielen werde, wird darauf verwiesen, dass es "eine Veranstaltung der EU unter Vorsitz des Präsidenten des Europäischen Rates" sei, die in den regulären EU-Gremien vorbereitet werde.

Manche haben den Champagner kalt gestellt - für den Fall, dass der Gipfel in Leipzig ausfällt

Die Grünen-Abgeordnete Margarete Bause findet dies enttäuschend. Zwar würden sich die Koalitionäre mit ambitionierten Vorhaben für die Ratspräsidentschaft überbieten. "Was jedoch den Umgang mit der Weltmacht China und das zentrale Thema Menschenrechte angeht, tut die Regierung so, als säße sie in Brüssel am Katzentisch".

Deutschland habe Gewicht im Kreis der 27 Mitgliedstaaten und mit dem EU-Ratsvorsitz sowohl die Chance als auch die Verpflichtung, "systematische Menschenrechtsverletzungen, Repression, totale Überwachung und Zensur durch die Führung in Peking auf die Agenda zu setzen und klar und deutlich zu verurteilen".

In der gleichen Stellungnahme schreibt das Auswärtige Amt, mit Sorge zu beobachten, dass China versuche, etablierte Menschenrechtsstandards "zu unterminieren und das internationale Menschenrechtssystem zu schwächen." Man sei "sehr beunruhigt" über die durch die China Cables erhärteten Berichte, dass bis zu eine Million Angehörige muslimischer Minderheiten in Inhaftierungslagern in Xinjiang festgehalten werden. Sie "verurteile aufs Schärfste" das Vorgehen.

Die vertraulichen Dokumente, die ein internationaler Rechercheverbund veröffentlicht hatte, belegten 2019 die geheimen Vorgaben für die massenhafte Internierung. An der Enthüllung war auch die SZ beteiligt. In der Antwort an die Grünen betont die Regierung, "sich aktiv für die Schaffung eines EU-Sanktionsregimes für Menschenrechtsverletzungen" einzusetzen. Dieses Engagement fordert auch die FDP-Abgeordnete Jensen von Außenminister Heiko Maas (SPD).

Auch das EU-Parlament wird laufend über China debattieren, sagt Reinhard Bütikofer. Der Grüne fürchtet, dass die Lage in Hongkong, wo Peking die Demonstranten immer stärker bekämpft, rund um die Wahl im September eskaliert: "Wir Europaabgeordnete werden Hongkongs Demokratiebewegung weiter unterstützen und mit Debatten für Aufmerksamkeit sorgen."

Kaum jemand erwartet, dass sich das globale Umfeld bis September verbessert. Kritiker fürchten, dass der Gipfel zum Fototermin für Pekings Propaganda verkommt, das im Streit mit Washington für das heimische Publikum auf globale Anerkennung angewiesen ist. Wird Präsident Xi überhaupt nach Leipzig reisen? "Für eine Prognose ist es noch zu früh", sagte Außenminister Maas gerade der Augsburger Allgemeinen.

Dass der Leipzig-Gipfel virtuell stattfindet, glaubt Noah Barkin nicht, der sich mit Insidern in Berlin, Brüssel und Paris austauscht. Dort erwarten manche, die mageren Resultate mit Corona rechtfertigen zu können. Andere hofften auf eine Absage: "Ich habe von Diplomaten gehört, dass der Champagner schon kaltgestellt wurde für den Moment, an dem Leipzig offiziell aus dem Kalender gestrichen wird."

© SZ vom 11.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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