Gesundheitswesen:Das große Geschäft mit dem Krebs

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Linderung für Kranke - aber auch ein Profit auf Kosten der Versicherten: Herstellung einer Infusion für die Chemotherapie. (Foto: Florian Peljak)

Die Krankenkassen erstatten für Chemotherapien zu viel Geld - das kostet die Beitragszahler bis zu eine halbe Milliarde Euro pro Jahr. Was läuft da schief?

Von Christoph Cadenbach, Daniel Drepper und Markus Grill, Berlin

Chemotherapien retten Leben. Für Menschen, die gegen den Krebs kämpfen, sind sie eine große, manchmal auch eine letzte Hoffnung. Wohl auch deshalb gaben die gesetzlichen Krankenkassen allein im vergangenen Jahr mehr als fünf Milliarden Euro dafür aus, das sind rund zehn Prozent sämtlicher Arzneimittelkosten, die von den Kassen übernommen wurden. Pharmaunternehmen profitieren davon, aber auch einige wenige Apotheker.

Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR liegen Medikamentenpreislisten von Pharmagroßhändlern vor, die erstmals einen tiefen und authentischen Einblick in die möglichen Zusatzgewinne dieser Apotheker gestatten. Deutschlandweit geht es um Hunderte Millionen Euro im Jahr - Geld, das die Krankenkassen mutmaßlich sparen könnten, auch um die Beitragszahler zu entlasten.

Chemo-Medikamente werden meistens als Infusionen verabreicht und müssen für jede Patientin und jeden Patienten individuell zubereitet werden. Dies geschieht in sogenannten Reinräumen, keimfreien Laboren, über die nur etwa 300 Apotheker in Deutschland verfügen. Einige haben große Herstellbetriebe gegründet, weil das Geschäft mit den Chemo-Infusionen offenbar so lukrativ ist.

Pro Infusionsbeutel können Apotheker viel Geld dazuverdienen

Für die Zubereitung eines Beutels bekommen die Apotheker 100 Euro von den Kassen bezahlt. Laut Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) ist diese Pauschale ausreichend, um die Arbeit der Apotheker zu entlohnen. Nebenher können die Apotheker aber Hunderte, manchmal auch Tausende Euro pro Beutel hinzuverdienen, weil sie - den Preislisten zufolge - die Wirkstoffe oft für sehr viel weniger Geld einkaufen können, als ihnen die Kassen für diese Wirkstoffe dann erstatten.

Für eine Packung des Wirkstoffs Bevacizumab zum Beispiel, eines der umsatzstärksten Krebsmedikamente, zahlten die Kassen im vergangenen Jahr 1109 Euro an den Apotheker, beim Großhandel konnte dieser die Packung jedoch für 360 Euro einkaufen. Ein Zusatzgewinn von 749 Euro. Mittlerweile wurde der Erstattungsbetrag für diesen Wirkstoff gesenkt. Der mögliche Zusatzgewinn liegt nun bei rund 160 Euro. An einer Packung des Lungenkrebsmittels Pemetrexed kann der Apotheker seit Jahren rund 1000 Euro hinzuverdienen.

Nach Berechnungen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR hätten die Kassen allein bei den fünf umsatzstärksten Wirkstoffen, die nicht mehr patentgeschützt sind, pro Jahr zuletzt etwa eine halbe Milliarde Euro einsparen können, wenn es die Zusatzgewinne nicht gäbe. Eine Summe, die Sabine Richard vom AOK-Bundesverband für so relevant hält, dass sie "den Druck von weiteren Beitragserhöhungen wegnehmen" könnte.

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Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat erst Mitte Juni angekündigt, dass die Beiträge für gesetzlich Versicherte im kommenden Jahr erhöht werden müssten, weil laut den Kassen rund sieben Milliarden Euro im System fehlten. Konfrontiert mit dieser Recherche, sagt Lauterbach, die hohen Gewinne seien "kein haltbarer Zustand". Dies sei "auf jeden Fall etwas, was wir auch regulatorisch angehen müssen".

Der Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Wolf Dieter Ludwig, hält die enormen Gewinnmöglichkeiten der Apotheker für "absolut ungerechtfertigt". Dieses Geld könne man in eine bessere palliativmedizinische Versorgung von Krebspatienten investieren, so Ludwig, die häufig "nicht ausreichend zur Verfügung steht".

Wie können die Erstattungsbeträge und die realen Preise der Medikamente so weit auseinanderliegen?

Die Erstattungsbeträge, die die Apotheker für die Wirkstoffe von den Kassen erhalten, verhandelt der GKV-Spitzenverband mit dem Deutschen Apothekerverband (DAV). GKV-Sprecher Florian Lanz sagt im Gespräch, dass seinem Verband keine Preislisten von Großhändlern vorliegen würden. Der Spitzenverband fragt lediglich bei den Pharmafirmen nach, welche Preise diese für die von ihnen angebotenen Wirkstoffe von ihren Kunden verlangen. Daraus berechnen sie dann einen allgemeinen Erstattungsbetrag für jeden einzelnen Wirkstoff. Dieser ist womöglich oft deshalb höher als die Preise auf den Listen der Großhändler, weil der Spitzenverband die Preise der Wirkstoffe nur relativ selten abfragt, obwohl sich die Preise am Markt verändern. Beim Wirkstoff Bevacizumab zum Beispiel fragte der Spitzenverband die Preise nur einmal seit 2020 ab, beim Wirkstoff Rituximab, ebenfalls eines der umsatzstärksten Krebsmedikamente, sogar nur einmal seit 2017.

GKV-Sprecher Lanz will das nicht kommentieren. Sein Verband weigerte sich erst, die konkreten Daten der Preisabfragen offenzulegen, bis Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR mit einer Auskunftsklage drohten.

Der Präsident des Verbands der Zytostatika herstellenden Apotheken, Klaus Peterseim, sagt mit Blick auf die Preislisten der Großhändler, dass es sich bei den günstigen Angeboten um "Sonderposten" handeln könnte, die schnell ausverkauft seien, oder andere "Ausnahmefälle". Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR hatten die Preislisten jedoch überprüft und einen Apotheker gebeten, die Medikamente probeweise zu bestellen: Alle waren lieferbar, es handelte sich jeweils um reguläre Ware mit regulärer Haltbarkeit.

Ein ausführlicher Hintergrundbericht zu diesem Thema erscheint an diesem Samstag in der Süddeutschen Zeitung .

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