Paul Ziemiak:Steuermann in permanenter Seenot

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Binnen drei Jahren gleich zweieinhalb Vorsitzenden treu zu Diensten: Paul Ziemiak, Generalsekretär der CDU und ab Februar einfacher Bundestagsabgeordneter. (Foto: dpa)

Als CDU-Generalsekretär hatte Paul Ziemiak es schwer. Wenn er nach dem Parteitag jetzt geht, kann er mit 36 Jahren jedoch auf eine bemerkenswerte Karriere zurückblicken.

Von Boris Herrmann, Berlin

Dieser eine Parteitag noch, dann hat er es geschafft. Na ja, fast. Paul Ziemiak wird auch noch die schriftliche Bestätigung der neuen CDU-Spitze abwarten müssen, die an diesem Samstag zunächst nur digital gewählt wird. Die Verkündung des Briefwahlergebnisses, das am 31. Januar vorliegen soll, dürfte dann aber wirklich sein letzter Auftritt als Generalsekretär werden. Erst damit scheidet er gemeinsam mit dem Vorsitzenden Armin Laschet sowie großen Teilen der Parteiführungsriege offiziell aus dem Amt.

Für einen 36-Jährigen wird Ziemiak dann bereits eine stolze Karriere hinter sich haben, zunächst als Bundesvorsitzender der Jungen Union, dann als Generalsekretär der CDU. Am 1. Februar aber wacht er erstmals als einfacher Abgeordneter des Deutschen Bundestags auf, ohne weitere herausragende Aufgaben in der Partei oder der Fraktion. Das kann man einen veritablen Abstieg nennen, aber Ziemiak erweckt dieser Tage nicht unbedingt den Eindruck, es so zu empfinden. Wenn nicht alles täuscht, ist ihm eine gewisse Befreiung von der Last des Amtes anzumerken.

Es gab in der bewegten Geschichte der CDU sicherlich Generalsekretäre, die viel mehr erlebt haben als Paul Ziemiak. Aber es gab vermutlich noch keinen, bei dem es so viel in so kurzer Zeit war.

Heiner Geißler, der Prototyp, hat Helmut Kohl gedient und gegen Kohl (vergeblich) geputscht, er hat drei Bundestagswahlkämpfe organisiert und - während er die CDU modernisierte - diverse Kampagnen gegen die SPD geführt. Für all das hat der Generalsekretär Geißler zwölf Jahre gebraucht. Paul Ziemiak wird am Ende nur etwas mehr als drei Jahre im Amt gewesen sein, drei Jahre im permanenten Krisenmodus.

Der oder die Parteivorsitzende muss immer als unfehlbar dastehen

Der neue Parteichef Friedrich Merz hat den Ausbruch dieser Krise gerade genau datiert. Seit dem 29. Oktober 2018, dem Tag, an dem Angela Merkel mitteilte, dass sie nicht wieder als CDU-Vorsitzende kandidieren werde, "seit diesem Tag ist das Schiff in schwerer See", sagte Merz. Und seither habe es nie wieder eine Phase der ruhigen politischen Arbeit in der Partei gegeben. Ziemiak trat seinen Dienst als Generalsekretär am 8. Dezember 2018 an. Er war, um im Merz-Bild zu bleiben, vom ersten Tag an ein Steuermann in Seenot.

Neben der operationalen Leitung der Parteizentrale sowie der Organisation von Wahlkämpfen gehört es zu den Obliegenheiten eines Generalsekretärs, der ranghöchste Prügelknabe seiner Partei zu sein. Tag für Tag muss er nach außen die Unfehlbarkeit der oder des Parteivorsitzenden behaupten, ganz gleich, was er tief im Inneren denkt. Allein die Tatsache, dass Ziemiak binnen drei Jahren gleich zweieinhalb Vorsitzenden treu zu Diensten war, beschreibt das Ausmaß seiner Aufgabe. Zumal es ihm zunächst Annegret Kramp-Karrenbauer, dann Armin Laschet und schließlich sein designierter Vorgesetzter Friedrich Merz in Sachen Unfehlbarkeit nicht immer leicht gemacht haben.

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Ein Generalsekretär erwacht, wie Betroffene berichten, meist schon ganz erschrocken am frühen Morgen und guckt sofort auf sein Handy, ob irgendwas ist. Und meistens ist dann ja auch irgendwas, jedenfalls bei der CDU.

Kleine, unvollständige Auswahl aus der Ziemiak-Zeit: die biblischen Shitstürme rund um das Rezo-Video von der Zerstörung der CDU, die Wahl des FDP-Kurzzeitministerpräsidenten Thomas Kemmerich mit den Stimmen von AfD und CDU, der daraus resultierende Fall Kramp-Karrenbauers, der langwierige Dreikampf um ihre Nachfolge, der Rosenkrieg um die Kanzlerkandidatur zwischen Laschet und Söder, der drohende Bruch zwischen CDU und CSU, die wilde Achterbahnfahrt in den Umfragen von 27 auf 41 und wieder runter auf 19, die Maskendeals, Maaßen, Laschets Lächeln in der Flut, eine historische Schlappe bei der Bundestagswahl, Laschets Fall, der nächste Dreikampf um dessen Nachfolge, Merz. Man muss mit Ziemiak kein Mitleid haben, aber man darf froh sein, dass sein Handy nicht auf dem eigenen Nachtisch lag.

Einen der schwersten Momente verdankt er Kramp-Karrenbauer

Paul Ziemiak, der 1985 im polnischen Stettin geboren wurde, im Alter von drei Jahren mit seinen Eltern als Aussiedler nach Nordrhein-Westfalen zog, in Iserlohn aufwuchs, in Osnabrück, Münster, Columbus und Houston Jura studierte, aber darin nie einen Abschluss machte, der 2014 zum JU-Vorsitzenden und 2017 erstmals in den Bundestag gewählt wurde, hat Kramp-Karrenbauer die Beförderung seines Lebens zu verdanken. Als diese von der Generalsekretärin zur Parteichefin aufstieg, schlug sie Ziemiak als ihren Nachfolger vor. Zu verdanken hat er ihr aber auch einen seiner schwersten Momente in diesem Amt.

Als Annegret Kramp-Karrenbauer (M.) von Angela Merkel den Parteivorsitz übernahm, schlug sie Paul Ziemiak als Generalsekretär vor. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Am 10. Februar 2020, im Sturm der Thüringen-Krise, verteidigte der Generalsekretär seine Parteichefin noch vehement im "Morgenmagazin". Jeglichen Verdacht, Kramp-Karrenbauer könne zurücktreten, wies er - offenbar im Glauben, das so mit ihr abgesprochen zu haben - als kompletten Unsinn zurück. Als die Aufnahme, die laut Ziemiaks Langzeitgedächtnis auf einer Verkehrsinsel vor dem Berliner Adenauerhaus entstand, beendet war, eröffnete ihm die Chefin drinnen in der Parteizentrale, dass sie sich zum Rückzug entschlossen habe. Damit erging es Ziemiak mit Kramp-Karrenbauer so, wie es Kramp-Karrenbauer mit Merkel ergangen war. Auch die hatte ihre einstige Generalsekretärin mit ihrer Rückzugserklärung komplett überrumpelt.

Paul Ziemiak wird in Erinnerung bleiben als der Mann, der das (bislang) schlechteste Bundestagswahlergebnis in der Geschichte der CDU zu verantworten hat. Weiß er selbst. Er hat bei dieser Wahl aber immerhin einen Trostpreis gewonnen: er war der einzige CDU-Politiker im ganzen Land, der der SPD einen Wahlkreis abnehmen konnte. Wohlgesinnte werden auch seine Rolle als kompetenter Showmaster des ersten digitalen Wahlparteitags der CDU und überhaupt als Modernisierer einer trägen Volkspartei nicht vergessen. Sein designierter Nachfolger Mario Czaja übernimmt nicht nur Probleme, sondern auch Projekte.

Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, oder zumindest annähernd chaotisch wie in den zurückliegenden drei Jahren laufen, wenn Paul Ziemiak für immer der Hinterbänkler bliebe, der er von Februar an erst einmal sein wird.

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