Unionsfraktionschef Brinkhaus:Der unscheinbare Dritte

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Es dürfte in Berlin keinen Politiker geben, bei dem Bedeutung und Bekanntheit in einem stärkeren Missverhältnis stehen: Ralph Brinkhaus, seit September Vorsitzender der Unionsfraktion. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)
  • Mit Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer bildet Ralph Brinkhaus das neue Führungstrio der CDU - trotzdem kennt ihn fast niemand.
  • Der Start ist dem Fraktionsvorsitzenden gut gelungen, aber die großen Herausforderungen stehen noch bevor.
  • Von Brinkhaus wird mehr "CDU pur" erwartet, doch die waidwunde SPD darf er nicht zu stark reizen.

Von Robert Roßmann, Berlin

Dass Ralph Brinkhaus nicht zu den bekanntesten Gesichtern des Landes gehört, zeigt sich bereits an der Schranke zur Grünen Woche. In Berlin läuft gerade die größte Agrarmesse der Welt, Brinkhaus hat einen Rundgang vereinbart. Doch an der Einfahrt zu Halle 25 ist für den Unionsfraktionschef erst einmal Schluss. Sein Wagen darf nicht weiterfahren, der Kontrolleur an der Schranke kennt Brinkhaus nicht. Es bedarf mehrerer Telefonate, bis sich die Lage endlich klärt. Auf dem Messe-Rundgang geht es dann so weiter: Der CDU-Politiker läuft an Hunderten Besuchern vorbei. Aber nur bei drei von ihnen merkt man, dass sie Brinkhaus erkennen. Und einen der drei dürfte man eigentlich gar nicht mitzählen. Es ist Matthias Miersch, ein SPD-Abgeordneter, der zufällig vorbeikommt.

Ralph Brinkhaus mag einer der wichtigsten Politiker Deutschlands sein; zusammen mit Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer bildet der 50-Jährige die Troika, die in der CDU jetzt das Sagen hat. Aber es kennt ihn trotzdem kaum einer. Matthias Jung und seine Forschungsgruppe Wahlen bitten die Deutschen regelmäßig, die wichtigsten Politiker des Landes aufzulisten. Nicht einmal ein Prozent der Befragten nenne dabei auch Brinkhaus, sagt Jung. Der Fraktionschef liege damit "im nicht wahrnehmbaren Bereich".

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Die neue CDU-Vorsitzende hatte einen guten Start; aber die Hürden kommen erst. 15 Wahlen stehen bevor. Kramp-Karrenbauer muss deutliche Botschaften setzen - und zugleich fein austarieren. Das dürfte nicht einfach werden.

Kommentar von Robert Roßmann

Es dürfte in Berlin also keinen Politiker geben, bei dem Bedeutung und Bekanntheit in einem stärkeren Missverhältnis stehen als bei Brinkhaus. Und das erstaunlichste dabei ist: Das scheint ihn gar nicht zu stören. Denn er ist bisher ziemlich gut damit gefahren, unterschätzt zu werden.

Brinkhaus gibt vielen in der Fraktion das Gefühl, endlich gebraucht zu werden

Es ist jetzt vier Monate her, dass der unprätentiöse Ostwestfale überraschend zum Vorsitzenden der Unionsfraktion gewählt wurde. Für viele markiert dieser Tag den Anfang vom Ende der Karriere Merkels. Denn die Kanzlerin hatte die Abgeordneten eindringlich gebeten, ihren Vertrauten Volker Kauder wiederzuwählen. Doch die schickten Merkels wichtigste Stütze trotzdem aufs Altenteil. Brinkhaus hatte damals etwas gezeigt, was auch außerhalb der Unionsfraktion nur wenige haben: Courage. Unter den Abgeordneten von CDU und CSU gab es schon länger Unzufriedenheit mit Kauder. Viele wünschten sich eine eigenständigere Rolle der Fraktion gegenüber der Kanzlerin, offenere Debatten und eine Verjüngung an der Spitze. Aber niemand wollte Kauder herausfordern. Nur Brinkhaus, bis dahin einer der Stellvertreter Kauders, traute sich - und gewann. Es war der Auftakt zu einem gewaltigen Umbruch in der CDU. Merkel ist jetzt nicht mehr Parteichefin. Und Brinkhaus muss versuchen, die großen Erwartungen zu erfüllen, die er geweckt hat.

Bisher ist ihm das ganz gut gelungen. In der Unionsfraktion wird jetzt mehr und länger diskutiert als früher. Die Abgeordneten bekommen die Tagesordnung nicht mehr kurz vor Sitzungsbeginn, wie es unter Kauder üblich war, sondern bereits einen Tag vorher, um sich vorbereiten zu können. Wenn man mit Parlamentariern spricht, sagen sie, Brinkhaus gehe strukturierter vor als Kauder, er sei stärker auf Ergebnisse aus und zeige den bei Kauder so lange vermissten Gestaltungswillen. Der gelernte Steuerberater und langjährige Haushalts- und Finanzpolitiker ähnele da einem Unternehmer.

Glaubt man den Schilderungen, geht damit aber auch Ungeduld einher. Wenn Brinkhaus etwas nicht schnell genug gehe, könne er im Ton auch ungemütlicher werden, heißt es. Dafür gibt er vielen in der Fraktion das Gefühl, endlich gebraucht zu werden. Das gilt vor allem für die jungen und die 2017 neu ins Parlament gewählten Abgeordneten. Auch die Frauen in der Fraktion hatten sich von Kauder oft zurückgesetzt gefühlt. "Die Fraktion ist der Star", moderne Politik sei Teamarbeit, sagt Brinkhaus. Anders als Kauder tritt er vor den Fraktionssitzungen nicht allein vor die Kameras, sondern nimmt immer einen seiner Stellvertreter mit, damit die auch etwas von der Aufmerksamkeit abbekommen. Außerdem hat Brinkhaus eine Art Tournee durch die Wahlkreise begonnen. In diesem Jahr war er bereits auf zehn Neujahrsempfängen Redner, an diesem Freitag tritt er im bayerischen Aiterhofen zum elften Mal auf.

In einer Unionsfraktion, die sich unter Kauder oft nur noch als verlängerter Arm des Kanzleramts empfand, konnte Brinkhaus bereits damit punkten. Doch auch er weiß, dass jetzt noch mehr kommen muss.

Brinkhaus hat zwar bereits bei einigen Themen gezeigt, dass er unabhängig vom Kanzleramt Wünsche seiner Abgeordneten durchzusetzen weiß - etwa in der Debatte über den UN-Migrationspakt oder im Streit um die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen. Dass Brinkhaus seinen ersten öffentlichen Auftritt als Fraktionschef demonstrativ für Gespräche mit Soldaten nutzte, kam bei den Abgeordneten auch gut an - in der Fraktion sieht man mit Sorge, wie groß der Unmut in der Bundeswehr über Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist.

Aber derlei wird nicht reichen. In der Unionsfraktion wünschen sich viele auch grundsätzlichere Neujustierungen, etwa in der Innen-, der Migrations- oder der Steuerpolitik.

Nach seiner Wahl ist Brinkhaus - entgegen mancher Erwartung - extrem loyal mit der Kanzlerin umgegangen. Er hatte sofort beteuert: "Die Fraktion steht ganz fest hinter Angela Merkel", zwischen ihn und die Kanzlerin passe "kein Blatt Papier". Und er hatte dabei nicht an Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder gedacht, die das mit dem Blatt Papier auch von sich behauptet hatten, sich aber trotzdem nach allen Regeln der Kunst kujonierten.

Brinkhaus muss fein austarieren, wie viel Eigenständigkeit der Fraktion gegenüber Merkel möglich ist

Und so gibt es bereits einige, die meinen, Merkel könne im Nachhinein froh sein, dass ihr Kandidat Kauder verloren habe. Das Dauer-Grummeln in der Unionsfraktion sei nun vorbei, die Laune der Abgeordneten deutlich besser, mit dem verbindlichen Brinkhaus lasse sich ganz gut zusammenarbeiten. Und auch Kramp-Karrenbauer habe es doch ganz gut getroffen. Im Wahlkampf um den CDU-Vorsitz hatte sich Brinkhaus als Unionsfraktionschef zwar nicht öffentlich festlegen wollen. Aber es war offensichtlich, dass er Kramp-Karrenbauer gegenüber Merz bevorzugt. Als frisch gewählter Fraktionschef hat Brinkhaus ein Interesse daran, dass es nicht zu vorzeitigen Neuwahlen kommt. Die wären mit Merz an der CDU-Spitze wahrscheinlicher gewesen. Und Merz - auch er ein männlicher Finanzexperte aus Nordrhein-Westfalen - wäre Brinkhaus viel mehr im Weg gestanden, als es jetzt Kramp-Karrenbauer tut.

Doch ganz so bequem, wie es bisher zu sein scheint, dürfte es für die Kanzlerin und die CDU-Chefin nicht werden. Die Zusammenarbeit mit Merkel und Kramp-Karrenbauer klappe "sehr, sehr gut - aber nichtsdestotrotz ist es so, dass die Fraktion selbstbewusst ist", hat Brinkhaus vor der jüngsten Sitzung gesagt. Die Unionsabgeordneten hätten "auch einige Vorstellungen, wie Politik gestaltet werden soll - und da werden wir in diesem Jahr auch daran arbeiten. Kooperativ, aber natürlich wird die Fraktion auch ihre Punkte machen."

Das war eine Ansage an die beiden Frauen und ein Versprechen an die eigenen Abgeordneten. Und es war der Auftakt zu einer Zeit, in der Brinkhaus sehr genau austarieren wird müssen, wie viel Eigenständigkeit der Fraktion möglich ist, ohne die Kanzlerin politisch zu beschädigen. Dasselbe gilt für den Umgang mit der SPD. Von Brinkhaus wird in seiner Fraktion mehr "CDU pur" erwartet, gleichzeitig darf er aber die waidwunden Sozialdemokraten nicht zu stark reizen - schließlich will er bis 2021 mit ihnen regieren. Und auch das Verhältnis zur CSU will gepflegt sein. Brinkhaus war deshalb beim CSU-Parteitag in München und bei der Klausur der CSU-Landtagsabgeordneten in Kloster Banz.

Die Zeit der Alpha-Typen sei vorbei, hat Brinkhaus gesagt. Und er selbst tritt tatsächlich nicht breitbeinig auf. Das könnte ihm dabei helfen, dass das mit dem Austarieren tatsächlich gelingt.

© SZ vom 25.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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