Gegen Rechtsextremismus:"Es hat sich in der Bundeswehr viel getan"

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Im vergangenen Jahr wurden 35 Soldaten wegen Extremismus aus dem Bundeswehrdienst entfernt. (Foto: Michael Gottschalk/Imago)

Seit der Fall Franco A. bekannt wurde, sucht der MAD intensiver nach rechtsextremen Soldaten, der Traditionserlass ist überarbeitet - aber die Wehrbeauftragte sieht noch eine Menge Arbeit.

Von Mike Szymanski, Berlin

Der Fall des Bundeswehroffiziers Franco A., der sich als syrischer Flüchtling ausgab und unter falscher Identität rechtsextremistisch motivierte Anschläge geplant haben soll, stellte 2017 gleich in mehrfacher Hinsicht einen Wendepunkt für die Bundeswehr dar. Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sah einen "falsch verstanden Korpsgeist" als Ursache für die späte Enttarnung und unterstellte der Truppe "Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen" sowie ein "Haltungsproblem".

Mit dem Generalverdacht, den sie so aussprach, setzte einerseits ein Entfremdungsprozess zwischen Truppe und Ministerin ein, der sich nicht wieder rückgängig machen ließ. Andererseits - und das bleibt ein Verdienst von der Leyens - wird seither mit großer, ausdauernder Ernsthaftigkeit daran gearbeitet, das Problem des Rechtsextremismus in der Truppe in den Griff zu bekommen.

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Wie dringend nötig das war, bestätigte ebenfalls 2017 ein Vorfall beim Kommando Spezialkräfte (KSK). Auf einer Abschiedsfeier für einen Kompaniechef wurde der Hitlergruß gezeigt und mit Schweinsköpfen geworfen. Bei der Aufarbeitung stießen die Ermittler auf eine Mauer des Schweigens. Als 2020 auf dem Privatgrundstück eines Teilnehmers der Feier ein Waffenversteck gefunden wurde, griff von der Leyens Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) durch: Sie löste die auffällige Kompanie auf und machte den Fortbestand des KSK vom Reformwillen abhängig.

Inzwischen wird intensiver nach Rechtsextremen gesucht

Schon von der Leyen hatte die Richtlinien zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, dem Verständnis von Tradition und deren Pflege überarbeiten lassen - den sogenannten Traditionserlass. Dieser war 1982 zuletzt angepasst worden. In der Neufassung 2018 wurde der Bezug zum Grundgesetz umfassender hergestellt. Die Abgrenzung zum Dritten Reich fällt von der Wortwahl her strikter aus, etwa wenn von "Abgründen" der deutschen Militärgeschichte die Rede ist.

Aber sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, genügte nicht. Ausdruck dafür ist beispielsweise die 2019 im Ministerium eingerichtete Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle, die mit ihren Jahresberichten eine Form des Problembewusstseins und der Transparenz vorlebt, wie man beides bis dahin aus der Truppe so nicht gewohnt war.

Stand Dezember 2020 ging der Militärgeheimdienst MAD im Bereich Rechtsextremismus 843 Verdachtsfällen nach, 251 mehr als noch im Jahr zuvor. Die Ermittler stufen die Fälle nach einem Ampelsystem ein. Beim Anfangsverdacht springt diese Ampel auf Gelb. Erhärtet sich der Verdacht fehlender Verfassungstreue und weitere Ermittlungen erscheinen erforderlich, springt sie auf Orange. Lässt sich die Verdachtsperson als klar extremistisch einstufen, zeigt die Ampel Rot. Bei Fällen der Kategorie Orange und Rot strebt die Bundeswehr an, diese Personen "schnellstmöglich" aus dem Dienst zu entfernen. Im Berichtsjahr 2020 traf das insgesamt 35 Soldaten.

Die Ermittlungen ziehen sich allerdings mindestens über Monate, wenn nicht gar über Jahre hin. Mit Stichtag 31.12.2020 führte die Statistik lediglich neun Personen, die der MAD klar Rechtsextremisten nennt, und 23 mit Verdacht auf fehlende Verfassungstreue aus dem Bereich Rechtsextremismus. Tatsächlich nur so wenige?

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Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, sieht hier Probleme vor allem in den Ressourcen: "Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat zu wenig Personal, auch die Truppendienstgerichte müssen personell aufgestockt werden", sagt sie der Süddeutschen Zeitung. So sei es "indiskutabel", dass etwa die Vorgänge um die berüchtigte Schweinskopfparty 2017 beim KSK juristisch immer noch nicht aufgearbeitet sind. Das Hauptverfahren vor dem Truppendienstgericht gegen den Kompaniechef steht immer noch aus. Der Soldat gehört weiterhin der Bundeswehr an, auch wenn er seinen Dienst derzeit nicht ausüben darf. Auch Franco A. ist weiterhin Angehöriger der Bundeswehr. Sein Prozess beginnt jetzt.

Auf der anderen Seite erkennt Högl an, dass der Militärgeheimdienst unter neuer Führung dem Rechtsextremismus breitere Aufmerksamkeit schenkt. "Der MAD ist deutlich offensiver und transparenter geworden. Es kümmern sich mittlerweile deutlich mehr Leute um Rechtsextremismus", sagt die Wehrbeauftragte.

Soldatinnen und Soldaten können sich bei Missständen an Högls Amt wenden. Aus ihrer Sicht hat der Fall Franco A. die Bundeswehr verändert. "Ich beobachte einen Unterschied", sagt Högl. "Mir werden Vorfälle gemeldet, die vorher wohl nicht gemeldet worden wären: Der Hitlergruß bei der geselligen Zusammenkunft, Hakenkreuz-Schnitzereien. Die Bundeswehr hat sich vorgenommen, widerstandsfähiger gegen Rechtsextremismus zu werden", glaubt sie.

Manche fallen schon bei der Bewerbung durch

Wer zur Bundeswehr will, wird durchleuchtet: 2020 fielen 71 Interessenten bereits im Bewerbungsverfahren durch, weil Zweifel an der Verfassungstreue aufgekommen waren. Bei den späteren Sicherheitsüberprüfungen durch den MAD kamen 64 auffällige Personen hinzu, bei denen der Militärgeheimdienst vorschlug, die Ausbildung an der Waffe zu verweigern. Nachdem es in jüngerer Zeit auch unter Reservisten zu rechtsextremen Vorfällen kam, soll auch diese Gruppe intensiveren Prüfungen unterzogen werden.

Ministerin Kramp-Karrenbauer will zudem per Gesetzesänderungen erreichen, dass die fristlose Entlassung eines Soldaten auf Zeit nicht mehr nur innerhalb der ersten vier, sondern acht Jahre der Dienstzeit möglich wird.

Die Wehrbeauftragte Högl sieht immer noch eine Menge Arbeit. Neue Netzwerke, etwa Beziehungsgeflechte zu mutmaßlich rechten Gruppen außerhalb der Bundeswehr, müssten stärker in den Blick genommen werden. "Wir sind immer noch nicht dort angekommen, wo wir hin müssen. Aber es hat sich in der Bundeswehr viel getan."

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