Türkei:Unfreundliche Annäherung im Mittelmeer

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Umstrittenes Boarding: Fregatte "Hamburg" bei der Fahrt durch den Suez-Kanal. (Foto: -/AFP)

Die deutsche Marine durchsucht ein türkisches Schiff auf dem Weg nach Libyen. Es geht um die Einhaltung des UN-Waffenembargos. Ankara spricht von "Zwang" und macht gewaltigen Ärger in Berlin.

Von Tomas Avenarius, Istanbul, Matthias Kolb und Mike Szymanski, Berlin, Istanbul, Berlin

Actionfilm geht anders, ist aufregender und wilder als das, was diese Bilder zeigen: Ein Militärhelikopter steht bei halbwegs ruhiger See und klarem Wetter über einem Containerschiff, ein Soldat seilt sich aus etwa 20 Metern Höhe ab, im Hintergrund liegt ein Kriegsschiff im Wasser. Es ist die Fregatte Hamburg. Dann führen mehrere deutsche Soldaten auf der Brücke des Schiffes einen Seemann vor sich her, er hält die Hände über dem Kopf verschränkt. Der Mann muss sich setzen, will aufstehen, wird nachdrücklich, aber ohne dass Gewalt angewandt wird, daran gehindert. Der Einsatz wirkt koordiniert. Es wird nicht mit Waffen herumgefuchtelt oder geschrien, die martialische Aufmachung der deutschen Soldaten entspricht dem, was bei Boarding-Manövern eben üblich ist. Später sagt das Verteidigungsministerium, die Situation an Bord sei "kooperativ" gewesen. Aber danach sieht es im Video auch nicht aus.

Viel mehr ist auf den türkischen Fernsehbildern aber nicht zu sehen vom Einsatz des Boarding-Teams auf der Rosaline A im Mittelmeer, einem Frachtschiff, das unter türkischer Flagge fährt. An Bord der Hamburg, die den Einsatz auf der Rosaline A im Zuge der EU-Mission "Irini" ausgeführt hat, ist ein Boarding-Team des Seebataillons der Bundeswehr stationiert. Diese Soldaten sollen das eigene Schiff schützen, aber im Zuge der EU-Mission "Irini" auch solche Einsätze durchführen: Auf hoher See an Bord verdächtiger Schiffe gehen, deren Fracht durchsuchen und so das UN-Waffenembargo gegen Libyen überwachen.

Waffenembargo gegen Libyen
:Türkei erzwingt Abbruch deutscher Embargo-Kontrolle

Im Rahmen einer EU-Operation durchsuchen Bundeswehrsoldaten ein verdächtiges Schiff nach einer verbotenen Waffenlieferung. Doch dann legt Ankara Widerspruch ein.

Solche Einsätze können auch sehr leicht eskalieren, wie ein Fall im Juni zeigt

Nach Angaben des Einsatzführungskommandos in Potsdam hatte die Hamburg bislang 30 Einsätze. In 28 Fällen handelte es sich um einen "Friendly Approach", einen "freundlichen Besuch" an Bord des anderen Schiffes. In gelöster Atmosphäre führt man ein Gespräch mit dem Kapitän, der die Soldaten eingeladen hat. Ein Boarding wie das auf der Rosaline A ist da schon etwas anderes, denn da wird auch kontrolliert. Es war erst das zweite für die Besatzung der Fregatte Hamburg. Im Rahmen der gesamten "Irini"-Mission, die seit Mai läuft, ist es das fünfte Boarding überhaupt.

Was auf der Rosaline A passierte, hat nun gewaltigen Ärger zwischen Berlin und Ankara ausgelöst. In einer Erklärung des türkischen Außenministeriums ist von "Zwang" die Rede. Die Besatzung samt Kapitän sei festgesetzt, einzelne Container seien ohne das Einverständnis des Kapitäns durchsucht worden. Die Besatzungsmitglieder seien "wie Kriminelle behandelt worden", das Schiff habe kein verbotenes Material geladen, sondern Farben und humanitäre Güter. Ankara protestiert und fordert Schadenersatz, denn die Durchsuchung habe ohne türkisches Einverständnis begonnen. Am Abend wurden der deutsche Geschäftsträger, der italienische Botschafter und der EU-Botschafter zum Gespräch ins türkische Außenministerium einbestellt.

Die deutsche Darstellung steht dem entgegen. Aus dem Bundesverteidigungsministerium heißt es, der Auftrag, die Rosaline A zu kontrollieren, sei von der "Irini"-Missionsführung in Rom gekommen, die derzeit ein Grieche innehat. Dort bestand der Verdacht, dass der Containerfrachter das Waffenembargo gegen Libyen verletzt: Er hatte am Freitag den Hafen im türkischen Yarimca verlassen und steuerte Misrata an.

Bevor eine Kontrollaktion starten kann, muss die Zustimmung des jeweiligen Flaggenstaates eingeholt werden. Die Rosaline A fährt unter türkischer Flagge, die Anfrage vom Hauptquartier in Rom sei am Vormittag erfolgt, hieß es. Es sei kein Veto in der vorgesehenen Frist ausgesprochen worden. Solange der Flaggenstaat nicht binnen vier Stunden Einspruch erhebt, wird dies als Einverständnis gewertet. So schilderte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums die Rechtslage, so sei es im Fall der Rosaline A gewesen. Demnach: alles in Ordnung.

Der Einsatz hatte am Sonntag um 15.31 Uhr begonnen. Die Hamburg und das Frachtschiff befanden sich etwa 200 Kilometer nördlich von Bengasi. Das Verteidigungsministerium schilderte die Situation an Bord als "kooperativ", es seien Daten abgeglichen worden. An Bord befanden sich demnach nur türkische Seeleute. Um 19.05 Uhr begann man, die Fracht zu begutachten. Erst zu diesem Zeitpunkt habe die Türkei nachträglich erklärt, dass sie mit der Kontrolle nicht einverstanden sei. Das hatten die Deutschen im "Irini"-Einsatz noch nicht erlebt. Der Einsatz wurde abgebrochen. Bis dahin sei nichts Verdächtiges an Bord gefunden worden, hieß es. Aus Sicherheitsgründen ließ sich das Boarding-Team nicht nachts, sondern erst nach Sonnenaufgang vom Hubschrauber zurück auf seine Fregatte bringen. Die Rosaline A setzte danach ihre Fahrt fort.

Dass solche Einsätze auch eskalieren können, zeigte sich am 10. Juni. Das französische Kriegsschiff Courbet war im Rahmen der Nato-Mission "Sea Guardian" ebenfalls im Mittelmeer unterwegs und sollte einen Frachter kontrollieren, der zuvor im Zusammenhang mit Waffenlieferungen aus der Türkei nach Libyen aufgefallen sein soll und nun von türkischen Fregatten begleitet wurde. Die türkischen Kriegsschiffe verweigerten die Kontrolle, sie sollen dabei ihr Feuerleitradar auf die Courbet ausgerichtet haben. Aus Protest zog sich Paris vorübergehend aus der Mission "Sea Guardian" zurück.

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