Etatänderung 2021:Rückschlag für die Ampel: Bundesverfassungsgericht stoppt Nachtragshaushalt

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Finanzminister Lindner (v. r. n. l.), Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck müssen viele Projekte auf Eis legen. (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Karlsruhe wirft die Finanzplanung der Regierung über den Haufen, die will den Haushalt aber wie geplant einbringen. Kurz vor Abgabefrist fehlen 60 Milliarden Euro.

Von Philipp Saul und Leopold Zaak, Berlin/München

Die Ampelregierung steht bei der Bekämpfung der Klimakrise vor einem gewaltigen Finanzierungsproblem. Das Bundesverfassungsgericht hat den zweiten Nachtragshaushalt aus dem Jahr 2021 für nichtig erklärt. Der Bund darf Geld, das für die Bekämpfung der Corona-Krise bestimmt war, nicht für den Klimaschutz verwenden. Damit fehlen ihm auf einen Schlag 60 Milliarden Euro.

Um diesen Betrag hatte die damalige große Koalition aus Union und SPD den Haushalt im April 2021 aufgestockt - und zwar mit einer Kreditermächtigung zur Bewältigung der Pandemiefolgen. Weil das Geld aber nicht abgerufen wurde, schichtete es die Ampel im Dezember desselben Jahres mit Zustimmung des Bundestags um - auf den sogenannten Klima- und Transformationsfonds (KTF). Die Unionsfraktion hielt diesen Vorgang jedoch für verfassungswidrig und klagte. Die Argumentation: Damit sei die Schuldenbremse umgangen worden. Dieser Sichtweise folgen die Richter in Karlsruhe mit ihrer Entscheidung.

Das Urteil platzt mitten hinein in den Höhepunkt der Haushaltsberatungen der Bundesregierung. Es dürfte sehr kompliziert werden, die Entscheidung in den Entwurf einzupflegen, der bis Donnerstag fertig sein muss. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht den Haushaltsplan für das kommende Jahr jedoch nicht von dem Urteil berührt. Man werde am Zeitplan festhalten, der die Verabschiedung des Haushaltes bis 1. Dezember vorsieht. Die Regierung werde das Urteil aus Karlsruhe "genau beachten" und die Folgen gemeinsam mit dem Bundestag auswerten, sagte Scholz. Es könne auch Auswirkungen auf die Haushaltspraxis der Länder geben.

Als Konsequenz aus dem Urteil stoppt die Bundesregierung vorerst Vorhaben, die aus dem KTF finanziert werden sollten. Davon ausgenommen sein soll die Förderung von Effizienz und erneuerbaren Energien im Gebäudesektor, kündigte Finanzminister Christian Lindner (FDP) an. Man wolle für die kommenden Jahre einen neuen Wirtschaftsplan für den Fonds erarbeiten.

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Das Loch von 60 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds muss die Bundesregierung nun anders füllen. Aus dem Fonds wollte die Bundesregierung von 2024 bis 2027 Projekte im Umfang von knapp 212 Milliarden Euro finanzieren:

  • der Umbau hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaft,
  • der Ausbau von Elektromobilität und Wärmenetzen,
  • die Förderung des Austauschs von klimaschädlichen Heizungen,
  • die Modernisierung der Deutschen Bahn und des Schienennetzes und
  • die Subventionen für die Fabriken der Halbleiter-Konzerne Intel und TSMC.

Jetzt, da ein erheblicher Teil der Summe fehlt, könnte es mit der Finanzierung dieser Projekte knapp werden.

Bei der Union herrscht Freude über den Erfolg vor Gericht. Der stellvertretende Parteichef Jens Spahn nutzt das Urteil für heftige Kritik an der Ampel. "Die Ampel wurde auf einem Verfassungsbruch errichtet", kommentiert er bei X. Der Koalition fehle damit "jede Grundlage". Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht von einem "Desaster für die Koalition von SPD, Grünen und FDP". Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Helge Braun (CDU), schreibt: "Das Bundesverfassungsgericht hat heute die Schuldenbremse gerettet."

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Dagegen sieht der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, das Urteil als Anstoß zur Reform der Schuldenbremse. Sie sei "nicht mehr zeitgemäß" und nehme der Politik notwendigen Spielraum für Krisenbekämpfung und Zukunftsinvestitionen. Auch der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, hält eine Reform für denkbar, bei der die Neuverschuldung auf Nettoinvestitionen begrenzt wäre.

Die SPD nimmt die Schuldenbremse ebenfalls ins Visier. Weil aber für deren Aussetzung eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig ist, wäre eine Reform nur mit Unterstützung der Union möglich. Doch ob CDU und CSU nach ihrer erfolgreichen Klage auf diese Weise bereit sind, der Ampel beim Abfedern des Urteils zu helfen, gilt als fraglich. Und auch die Ampelregierung ist bei der Schuldenbremse uneins. In der SPD verzweifeln sie etwas an der starren Haltung von FDP-Chef Lindner, der klar gegen eine Aussetzung ist.

Klima- und Sozialverbände fordern derweil neue Steuern und Kredite. "Dieses Urteil ist ein herber Rückschlag für den Schutz des Klimas", sagte Greenpeace-Chef Martin Kaiser. Es räche sich, dass die Ampel den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft "mit finanzpolitischen Taschenspielertricks bezahlen wollte". Die Umweltorganisation forderte: "Kredite, neue Steuern und der Abbau klimaschädlicher Subventionen dürfen keine Tabus sein."

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