Haushaltskrise:Der Ampel droht das nächste Problem

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Ob ein Schulterklopfen hilft? Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner gehen am 15. November 2023 zu einem gemeinsamen Pressestatement. (Foto: ODD ANDERSEN/AFP)

Während im Kanzleramt unter Hochdruck eine Lösung für den Haushalt 2024 gesucht wird, kommt der Bundesrechnungshof zu dem Schluss, dass die Korrekturen am Haushalt 2023 nicht verfassungskonform sein könnten.

Von Georg Ismar und Henrike Roßbach, Berlin

Während Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) weiter intensiv beraten, wie sie das Großproblem des Bundeshaushalts 2024 lösen sollen, ereilt sie die nächste schlechte Nachricht: Der Bundesrechnungshof kommt in einer Stellungnahme für eine Anhörung im Haushaltsausschuss des Bundestags an diesem Dienstag zu dem Schluss, dass auch die nachträgliche Reparatur am Bundeshaushalt 2023 verfassungswidrig sein könnte.

Zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht hatte am 15. November geurteilt, dass die Umwidmung von nicht gebrauchten Corona-Hilfsgelder in Höhe von 60 Milliarden Euro in einen Klima- und Transformationsfonds (KTF) verfassungswidrig war.

Bundesrechnungshof sieht "ein verfassungsrechtliches Risiko"

Daher wurde auch der Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF) mit den Strom- und Gaspreisbremsen gestoppt, hieraus finanzierte Mittel sollen nun ebenso wie die Milliardenhilfen für die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal nachträglich über den Bundeshaushalt finanziert werden. Da damit die Vorgaben der Schuldenbremse gerissen werden, wurde wegen des Krieges in der Ukraine nachträglich eine Notlage für das laufende Jahr erklärt und vor einer Woche vom Kabinett ein Nachtragshaushalt 2023 beschlossen, zu dem jetzt Experten Stellung genommen haben.

Der Ministerialrat Jan Keller vom Bundesrechnungshof führt in seiner Stellungnahme aus, es sei nicht auszuschließen, "dass die mit dem Nachtragshaushalt 2023 vorgesehenen rückwirkenden Ermächtigungen mit dem Budgetrecht des Parlaments in Konflikt stehen könnten und von daher ein verfassungsrechtliches Risiko in sich tragen".

Zwar nehme das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil nicht explizit Stellung dazu, ob ein Notlagenbeschluss auch rückwirkend erfolgen kann, das Urteil erhalte aber Ausführungen zum Charakter von Notlagenbeschlüssen, die herangezogen werden können, um zu beurteilen, ob ein rückwirkender Notlagenbeschluss zulässig war.

Demnach definiere der Beschluss eine Notlage so, dass sie aus Sicht des Bundestags die Handlungsfähigkeit des Staates herausfordert und als Krise bewältigt werden solle. Zugleich solle der Notlagenbeschluss nicht nur die Notlage transparent beschreiben, sondern habe auch eine Warn- und vor allem auch Prüffunktion für den Haushaltsgesetzgeber im Hinblick auf die Überschreitung der Kreditobergrenze. Beide Funktionen stünden der nachträglichen Erklärung der Notlage und einer nachträglichen Legitimation schon aufgenommener Kredite grundsätzlich entgegen: "Vor bereits geschaffenen Fakten kann nicht mehr gewarnt werden und auch die Prüfung der Erforderlichkeit der Kreditaufnahme durch das Parlament liefe von vornherein ins Leere."

Als maßgeblicher Fehler wird zudem angesehen, dass nicht sämtliche Sondervermögen jahresbezogen bei der Kreditaufnahme und den Auswirkungen auf die Schuldenregel berücksichtigt werden. "Die Berechnung der Bundesregierung hinsichtlich der für die Schuldenregel maßgeblichen Kreditaufnahme ist nach Auffassung des Bundesrechnungshofs deshalb unvollständig", heißt es in der Stellungnahme Kellers. Damit werde die Obergrenze der Schuldenregel auch mit dem beabsichtigten Nachtragshaushalt 2023 immer noch um 14,3 Milliarden Euro "und damit weiterhin deutlich überschritten".

Zur Notlage 2023 hat die Ampel kaum Alternativen

Allerdings hat die Ampelkoalition das Problem, dass eigentlich kein anderer Weg als die nachträgliche Notlage beschritten werden kann, um nicht einen von vornherein verfassungswidrigen Haushalt für das laufende Jahr vorgelegt zu haben. Bisher sind auch noch keine Klageankündigungen gegen den Nachtragshaushalt bekannt, den Bundestag und Bundesrat noch vor dem Jahreswechsel beschließen sollen.

Dem Bundesrechnungshof sind die vielen Sondervermögen des Bundes schon lange ein Dorn im Auge, weil sie aus Sicht der Behörde die tatsächliche Verschuldungssituation des Staates verschleiern. Auch die neue Buchungstechnik der Ampel für Kredite aus Sondervermögen hat der Rechnungshof in einem Gutachten für das Finanzministerium bereits Ende August scharf kritisiert.

Der Hintergrund: Die Ampel hatte in ihrem Gesetz für den Nachtragshaushalt 2021 verfügt, dass solche Sondertöpfe in dem Jahr für die Schuldenbremse zählen, in dem sie befüllt werden - nicht in dem Jahr, in dem die Kredite jeweils genutzt werden. Die aus Sicht der Ampel überaus praktische Folge: Als der Ahrtalfonds, der Klimafonds und der Wirtschaftsstabilisierungsfonds befüllt wurden, war die Schuldenbremse ohnehin ausgesetzt. Ob allerdings das Urteil aus Karlsruhe auch Auswirkungen auf Sondervermögen hat, die nicht durch Notlagenkredite befüllt wurden, muss aus Sicht der Regierung erst noch geprüft werden.

Andere Experten sehen weniger Probleme

Anders als vom Bundesrechnungshof kommt ausgerechnet vom Verfassungsrechtler Hanno Kube, der die Unionsfraktion bei ihrer Klage in Karlsruhe vertreten hatte, Lob für die Bundesregierung. Es sei "zu begrüßen", dass die Regierung die knappe Zeit bis zum Jahresende nutze, um den Haushalt 2023 "nachträglich verfassungskonform zu gestalten", schreibt Kube in seiner Stellungnahme für die Anhörung am Dienstag. Die Maßnahmen der Regierung seien eine "nachvollziehbare Reaktion" auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts; insbesondere die gestrichenen 60 Milliarden im Klimafonds.

Anders als der Rechnungshof hält Kube es "mit Blick auf die Dringlichkeit des Abschlusses des Nachtragshaushaltsgesetzgebungsverfahrens" auch für nachvollziehbar, dass die Regierung mögliche Auswirkungen des Urteils auf Sondervermögen jenseits des Wirtschaftsstabilisierungsfonds und des Sondervermögens für die Betroffenen der Ahrtal-Katastrophe erst noch prüfen muss.

Doch auch Kube ist der Meinung, dass der nachträgliche Notlagenbeschluss "Fragen" aufwirft. Grundsätzlich müsse ein solcher Notlagenbeschluss "vor Beginn des betreffenden Haushaltsjahres" gefasst werden. Allerdings kenne das Haushaltsverfassungsrecht eben auch das Instrument des Nachtragshaushalts, der auf Deckungsbedarfe im laufenden Haushaltsjahr reagiere. Es sei zu berücksichtigen, "dass die spät im Haushaltsjahr 2023 ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einer Ausnahmesituation führte", so Kube. Insgesamt hält er die Vorgehensweise der Regierung deshalb für vertretbar - sowohl den Nachtragshaushalt als auch den rückwirkenden Notlagenbeschluss

Der Bundesrechnungshof betont in seiner Stellungnahme, das nun umso mehr sicherzustellen sei, "dass die Planung des Haushalts 2024 über jeden verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben sein sollte." Das ist wiederum Gegenstand der laufenden Verhandlungen.

Unternehmen in Alarmstimmung - Scholz droht turbulenter SPD-Parteitag

Besonders die SPD hätte gerne eine Grundsatzeinigung bis zur Sitzung des Bundeskabinetts an diesem Mittwoch, ob für 2024 wegen des Ukraine-Kriegs und seiner Folge erneut eine Notlage erklärt und die Schuldenbremse ausgesetzt werden soll. Die FDP fordert aber, stattdessen eher rund 17 Milliarden Euro an Einsparpotenzial festzulegen - im Sozialbereich soll zum Beispiel auf die Erhöhung des Bürgergelds um zwölf Prozent ab Januar 2024 verzichtet werden.

Auch in der SPD wächst vor dem am Freitag beginnenden Bundesparteitag der Unmut über Kanzler Scholz, dass man offensichtlich keinerlei Plan B für das Urteil hatte. Auf dem Parteitag werden kontroverse Debatten erwartet. Viele Unternehmen und die Industrie seien wegen der Unklarheit über die Förderzusagen für die Transformation hin zu einem klimaschonenderen Wirtschaften in Alarmstimmung, wird in Länderkreisen betont. Besonders viele der als zentral eingestuften Wasserstoffprojekte könnten nun abgesagt werden - eine hohe Zahl an Arbeitsplätzen könnte dadurch in Gefahr geraten.

Auch deshalb wollen die Sozialdemokraten eine rasche Einigung mit Klarheit noch im Dezember, damit der Haushalt 2024 zu Jahresbeginn steht. Dafür müsste aber das Kabinett an diesem Mittwoch entscheiden, damit auch Beschlüsse von Bundestag und Bundesrat überhaupt noch vor dem Jahreswechsel möglich wären.

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