Ämter:Im Auftrag ihrer Regierung

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Beauftragte sollen "Gesicht und Sprachrohr der Bundesregierung" sein. (Foto: Illustration: Stefan Dimitrov/SZ)

Ob für Meere oder für maritime Wirtschaft, für Griechenland oder gleich das ganze Weltall - für viele Themen hat die Bundesregierung eigene Beauftragte eingesetzt. 43 sind es inzwischen. Kritiker sehen in dieser Postenhäufung längst ein Problem für die parlamentarische Demokratie.

Von Boris Herrmann, Berlin

Der Meeresbeauftragte der Bundesregierung heißt Sebastian Unger. Er soll "Gesicht und Sprachrohr der Bundesregierung für die Meere" sein. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte im vergangenen Herbst, man habe diese Position geschaffen, weil der Schutz der Meere "ein wichtiges Querschnittsthema" innerhalb der Bundesregierung sei. Seit Anfang Januar gibt es aber auch noch einen neuen Koordinator der Bundesregierung für Maritime Wirtschaft und Tourismus, der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek hat diese Position übernommen. Auch er soll den Meeren beziehungsweise dem, was auf und in den Meeren geschieht, ein Gesicht geben.

Unger und Janecek, die beiden maritimen Sprachrohre der Regierung, sollen sich auch schon zu Absprachen getroffen haben. Und es kann ohnehin nicht bezweifelt werden, dass sie ihre Aufgaben mit großem Eifer angehen. Unger führte jene deutsche Delegation an, die Anfang März in New York ein historisches Abkommen zum Schutz der Weltmeere erwirkte. Und Janecek sagt am Telefon, dass er sich im Ministerium inzwischen so intensiv um die Dekarbonisierung der Seeschifffahrt und um die Offshore-Windenergie kümmere, dass kaum noch Zeit bleibe für seine parlamentarischen Angelegenheiten.

Ein leiser Verdacht kommt dennoch auf: Die Bundesregierung hat inzwischen so viele Beauftragte und Koordinatoren, dass sie sich auf den Querschnittsthemen gegenseitig im Weg stehen.

Im gesellschaftspolitischen Bereich herrscht erhöhtes Beauftragten-Aufkommen

Im Jahr 1952 wurde mit dem Bundeswahlbeauftragten für die Sozialversicherungswahlen der erste Posten dieser Art geschaffen. Laut einer Liste des Bundesinnenministeriums sind es inzwischen 43. Und da sind die Wehrbeauftragte Eva Högl und die Stasiopfer-Beauftragte Evelyn Zupke noch gar nicht dabei, denn sie sind vom Bundestag und nicht von der Bundesregierung beauftragt.

Ohne eine einzige dieser Aufgaben in ihrer Bedeutung infrage stellen zu wollen, so fällt doch auf, dass vor allem im gesellschaftspolitischen Bereich ein erhöhtes Beauftragten-Aufkommen herrscht. Es gibt eine Antidiskriminierungsbeauftragte, einen Antisemitismus-Beauftragten, einen Antiziganismus-Beauftragten, eine Antirassismus-Beauftragte, die in Personalunion auch Migrations- und Integrationsbeauftragte ist, ferner eine Beauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, einen Beauftragten für Menschenrechtsfragen im Justizministerium, eine Beauftragte für Menschenrechtspolitik im Auswärtigen Amt, einen Beauftragten für Terrorismusopfer im Inland, einen Queer-Beauftragten, einen Beauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Es gibt aber vermutlich wenige Bundesbürger, die zu all diesen Beauftragten ein Gesicht vor Augen haben.

Abgeordnete haben die Hälfte dieser Posten inne

Neben der Frage, ob vielleicht weniger Sonderbevollmächtigte mit größeren Querschnittsaufgaben mehr öffentliche Schlagkraft entfalten könnten, berührt das auch demokratietheoretische Aspekte. Denn die Hälfte aller Beauftragten sind auch Mitglieder des Bundestags, deren Aufgabe es eigentlich ist, die Regierung zu kontrollieren. Dass die Bundesregierung vermehrt Abgeordnete mit diesen Aufgaben betraue, sei unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung durchaus problematisch, hieß es 2018 aus der FDP-Fraktion - damals war sie allerdings noch in der Opposition. Seit die Ampel in Berlin regiert, haben auch mehrere FDP-Abgeordnete derartige Posten übernommen.

Peter Weiß kann da ein bisschen freier reden als die anderen Betroffenen. Denn erstens sitzt der CDU-Politiker nicht mehr im Bundestag. Und zweitens hat er die bereits 1952 geschaffene Planstelle des Sozialversicherungswahlbeauftragten bekommen. "Das hat mit der Flut von Beauftragten, die es heute gibt, nichts zu tun", sagt Weiß. Mal von ihm selbst abgesehen, sieht er die Entwicklung aber recht kritisch. Eine große Zahl von aktiven Abgeordneten habe quasi ein Regierungsamt inne, sagt Weiß: "Wir kommen da langsam an eine Grenze, wo man fragen muss: Wird das zu einem Problem für die parlamentarische Demokratie?"

Als problematisch sehen Politikwissenschaftler und Verfassungsrechtlerinnen auch die recht intransparente Vergabe dieser Stellen. Meistens geschieht das durch einen Kabinettsbeschluss, ohne Mitwirkung des Parlaments. Mitunter geht es auch darum, jene mit einem Posten zu versorgen, die im komplexen Regierungspostenpuzzle sonst zu kurz gekommen wären.

Ein anschauliches Beispiel für die Erfindung neuer Ämter ist der Fall von Arne Schönbohm. Der musste Ende 2022 wegen fragwürdiger Russlandkontakte seine Stelle als Leiter des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik räumen. Stattdessen wurde er von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zum Präsidenten der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BAköV) ernannt, und vermutlich auch deshalb, damit dass nicht allzu sehr als Degradierung rüberkommt, darf sich Schönbohm jetzt auch noch Sonderbeauftragter für die Modernisierung der Fortbildungslandschaft des Bundes nennen. Warum er dann in der offiziellen Liste mit den 43 Bundesbeauftragten nicht auftaucht? Weil es sich lediglich "um eine Erweiterung des Aufgabenbereichs des Präsidenten der BAköV" handle, heißt es aus Faesers Ministerium auf Anfrage.

Frankreich und der südliche Kaukasus haben einen Beauftragten, China hat noch keinen

Aber auch aus der Opposition kommen kreative Ideen für die Ausweitung des Beauftragtenwesens. Die Unionsfraktion fordert jetzt die Ernennung eines China-Beauftragten. Das wirft ein Schlaglicht auf die bereits von Bundesbeauftragten abgedeckten Länder und Regionen. Es gibt natürlich eine Zuständigkeit für Ostdeutschland, aber auch je eine für die transatlantische Zusammenarbeit, für Frankreich, Polen, die Ukraine, für Afghanistan und Pakistan, für den südlichen Kaukasus und die Republik Moldau. Schwer nachvollziehbar ist aber, nach welchen geografischen Prioritäten hier ausgesucht wird. Während etwa Afrika und Lateinamerika ganz ohne Bundesbeauftragte auskommen müssen, dürfen sich das Weltall über die Bundesbeauftragte für Luft- und Raumfahrt freuen (Anna Christmann, Grüne) und die Griechen wiederum über Sören Bartol (SPD), der beauftragt ist, sich um die "deutsch-griechische Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene" zu kümmern.

Dieser Posten wurde von Kanzlerin Angela Merkel auf dem Höhepunkt der Euro-Krise geschaffen, um die angespannten Beziehungen zwischen Berlin und Athen zu befrieden. Zu Beginn der Zehnerjahre erwarb sich der CDU-Politiker Hans-Joachim Fuchtel in dieser Mission gar den hellenisch anmutenden Heldennamen "Fuchtelos". Anfangs sei dieser Job sehr segensreich gewesen, sagt der heutige Sozialversicherungswahlenbeauftragte Peter Weiß. "Aber so einen Posten könnte man irgendwann auch mal wieder abschaffen, wenn sich die Verhältnisse beruhigt haben."

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Eine derartige Stelle zu schaffen, ist aber deutlich unkomplizierter, als es ihre Streichung wäre. Schon allein deshalb, weil sich das Verhältnis zu Athen wohl umgehend wieder beunruhigen würde, falls die Bundesregierung ihren Griechenland-Beauftragten wegrationalisierte. Und man kann sich auch ausmalen, wie es in Bonn ankäme, wenn die Bundesbeauftragte für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich, Bauministerin Klara Geywitz (SPD), ihre Aufgabe für erfüllt erklären würde.

Und so wächst und wächst die Liste der derzeit 43 eben immer weiter. Vielleicht sollte das Kabinett mal darüber nachdenken, einen Bundesbeauftragten für das Beauftragtenwesen zu benennen.

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