Michel Barnier:Ehrlicher Makler im Brexit-Chaos

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(Foto: REUTERS)

Im Vereinigten Königreich wurde er zum "gefährlichsten Mann Europas" gekürt. Doch als Brexit-Unterhändler der EU gelang Michel Barnier bisher fast Unmögliches.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Gegen einen Vorwurf kann Michel Barnier kaum etwas machen. Mit mehr als 1,90 Meter Körpergröße blickt der Franzose auf fast alle Gesprächspartner herab. In Kombination mit seinen geschliffenen Manieren werten das einige britische Journalisten als Überheblichkeit.

Das Vorurteil, ein Feind des Vereinigten Königreichs zu sein, verfolgt den 68-Jährigen auf der Insel seit Juli 2016, als ihn EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zum Brexit-Chefunterhändler ernannte. Schon 2010 kürte ihn der Daily Telegraph zum "gefährlichsten Mann Europas", weil er als Kommissar für den Binnenmarkt strenge Auflagen für die in London so wichtigen Finanzmärkte forderte.

Sein oft wiederholter Satz, die Europäische Union nehme den britischen Austrittswunsch mit "Trauer und Respekt" zur Kenntnis, ist mehr als eine Floskel für Barnier, der 1972 erstmals seinen Stimmzettel in eine Urne warf - und bei einem Referendum in Frankreich für den Beitritt Großbritanniens zur damaligen Europäischen Gemeinschaft votierte.

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Dass er den Brexit für falsch hält, verbirgt der überzeugte Europäer nicht, doch dies hindert ihn nicht daran, professionell seinen Auftrag zu erledigen. Mit einem Team aus 60 Beamten handelte er für die EU jenen 585 Seiten langen Austrittsvertrag aus, den das britische Unterhaus am Dienstagabend nun ablehnte. Dabei gelang ihm fast Unmögliches: Die EU-27 traten nahezu geschlossen auf und überließen Barnier die Kommunikation.

Dessen Botschaften sind trotz seines holprigen Englischs klar und berechenbar: Als Nichtmitglied müsse Großbritannien weniger Rechte haben als bisher; und selbstredend verteidige die EU knallhart ihre Interessen. Mit dem Satz "Die Uhr tickt" wollte er die Briten zur Schnelligkeit antreiben, doch die Premierministerin Theresa May entschied sich bekanntlich für eine andere Strategie.

Barniers Anteil am aktuellen Brexit-Chaos ist gering: Er hielt sich eng an die im April 2017 veröffentlichten Leitlinien der EU-27, die den Rahmen des nun vorliegenden Deals vorgaben und in London lange ignoriert wurden. Mit der Disziplin des passionierten Bergsteigers und dem Taktgefühl des früheren Außenministers gelang es dem Christdemokraten, sich nie im Ton zu vergreifen oder die Briten zu beleidigen.

Während seine Stellvertreterin, die Deutsche Sabine Weyand, die Details aushandelte, hielt Barnier Kontakt zu allen Akteuren. Egal ob EU-Abgeordnete, Botschafter, Gewerkschafter, Wirtschaftsvertreter oder Regierungschefs: Alle schwärmen davon, dass der fast asketisch wirkende Vater dreier Kinder als "ehrlicher Makler" agiere.

Barnier ist bestens vernetzt

Dabei hilft ihm seine enorme Erfahrung als Politiker: Mit 27 Jahren wurde er ins französische Parlament gewählt. Später sicherte er sich seine Machtbasis in der Region Savoyen, indem er die Olympischen Winterspiele 1992 nach Albertville holte und deren Organisation übernahm.

Als langjähriger Minister ist Barnier bestens vernetzt: Angela Merkel kennt er aus der Zeit, als beide Umweltminister waren. Sein frühes Bekenntnis zum Umweltschutz machte den Gaullisten in Frankreichs Politszene ebenso zum Außenseiter wie die Tatsache, dass er nicht die Elite-Hochschule ENA absolviert hat. Bevor er 2010 zum zweiten Mal in die EU-Kommission eintrat, saß er im Europaparlament.

Dass Barnier nochmals auf die große Bühne zurückkehren würde, erschien im März 2014 undenkbar: Damals wählte die Europäische Volkspartei nicht ihn zum Spitzenkandidaten für die Europawahl, sondern Juncker. Dass Barnier selbst gern Chef der EU-Kommission wäre, gilt in Brüssel als ausgemacht.

Lange wurde spekuliert, ob er den CSU-Politiker Manfred Weber herausfordern würde, aber im Herbst verzichtete der Franzose darauf unter Hinweis auf seinen Brexit-Job. Falls der Austritt Londons doch noch geordnet organisiert werden kann, darf Barnier auf einen europäischen Top-Job zur Belohnung hoffen.

© SZ vom 16.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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