Von überall her waren sie gekommen, aus der Bretagne, aus der Normandie, bestimmt 50 Boote. Und nun kreuzte diese französische Fischerei-Armada am Donnerstag vor Jersey auf. Man komme in friedlicher Absicht, "es geht nicht darum, zum Angriff überzugehen", versicherte Dimitri Rogoff, der Chef des normannischen Fischerkomitees. Zumindest eines der Boote hielt sich allerdings nicht daran. Auf einem Video des britischen Nachrichtensenders Sky News ist zu sehen, wie ein französischer Kutter ein britisches Boot rammte.
Das blieb eine Ausnahme. Rogoff sagte: "Wir wollen uns zeigen." Die Demonstration zur See, die die französischen Fischer vor dem Hafen von Saint Helier abgehalten haben, dem Hauptort der Kanalinsel Jersey, sollte der Regierung in London klarmachen, wie sehr deren vermeintliche Gängelungen die französischen Seeleute in Wallung bringen. Erst am Abend beendeten die Fischer die Blockade des Hafens.
EU:Warnungen an London
Das Europaparlament stimmt über den Brexit-Handelsvertrag mit Großbritannien ab. Ihr Misstrauen gegenüber Boris Johnson verbergen die Abgeordneten nicht.
Am Tag zuvor hatte der britische Premierminister Boris Johnson sogar zwei Schiffe der Royal Navy zur Kanalinsel geschickt, um die Lage zu überwachen. Nach Beendigung der Blockade wurden diese zurückbeordert. "Da die Situation vorerst geklärt ist, werden sich die Patrouillenschiffe der Royal Navy darauf vorbereiten, in ihren Hafen im Vereinigten Königreich zurückzukehren", teilte das Büro des Premierministers mit. Über Twitter dankte Johnson der Royal Navy für ihren raschen Einsatz: "Ich freue mich, dass die Situation in Jersey gelöst wurde."
Eine Seeschlacht, wie Briten und Franzosen sie in ihrer wechselvollen Geschichte schon oft geschlagen haben, auch um Jersey, wollen beide Seiten verhindern. Es geht diesmal ja auch nur um Jakobsmuscheln und Wellhornschnecken. Aber was heißt nur?
In einem Telefonat mit Jerseys Chief Minister John Le Fondré hatte Johnson zuvor noch seine "ungebrochene Unterstützung" zugesagt. Jersey und die anderen Kanalinseln sind direkt der britischen Krone unterstellt, aber nicht Teil des Vereinigten Königreichs. Die Regierung in London ist aber für die Außen- und Verteidigungspolitik verantwortlich.
Großbritannien:Läuft doch nicht so
Gut zwei Wochen nach dem Brexit klagen immer mehr britische Unternehmen über den Handelsvertrag mit der EU. Die Bürokratie kostet Zeit und Geld. Besonders groß ist die Wut bei den Fischern.
Die Regierung in Paris hatte am Donnerstag ihrerseits zwei Patrouillenschiffe der französischen Marine entsandt - um, wie es hieß, die Sicherheit der aufgebrachten Fischer zu gewährleisten.
Es geht in dem Streit zwischen London und Paris darum, ob und wie viel französische Fischer rund um die Kanalinseln nach dem Brexit fischen dürfen. Die französische Regierung beklagt, dass Johnson bei der Umsetzung des Abkommens nicht fair spiele. Die Fischer aus der Normandie und der Bretagne würden daran gehindert, vor Jersey zu fangen. London weist die Vorwürfe zurück.
Aus Paris kam bereits eine äußerst scharfe Drohung: Als "Vergeltungsmaßnahme" könne Frankreich der Insel den Strom abklemmen, sagte Annick Girardin, die Ministerin fürs Meer, Anfang dieser Woche: "Ich erinnere an die Stromversorgung von Jersey durch Unterseekabel." Frankreich würde es sehr bedauern, müsste es wirklich so weit gehen, "aber wir tun es, wenn es sein muss". Die Drohung trifft Jersey an ungleich empfindlicherer Stelle als der Umstand, dass die Region Normandie aus Protest jüngst bereits ihre Vertretung samt französischem Konsulat auf der Insel geschlossen hat: Das kleine Eiland mit 108 000 Einwohnern importiert 95 Prozent seines Stroms aus Frankreich. Aber Jersey derart zuzusetzen, allein schon die Drohung, findet man in London "inakzeptabel und unverhältnismäßig".
"Wir verlangen nur die Einhaltung des Brexit-Abkommens"
Jersey liegt nur 23 Kilometer vor der französischen Küste, nach Großbritannien sind es dagegen 140 Kilometer. Bis zum Ende der Brexit-Übergangsphase nutzten französische Boote mit Vorliebe die fischreichen Gewässer um die Kanalinsel. Sie wollen das auch weiter tun - so, wie es ihnen das EU-Abkommen theoretisch noch erlaubt. Doch in der Praxis stellen die zuständigen Behörden auf Jersey die nötigen Fanggenehmigungen nach französischer Darstellung nur schleppend aus. Bisher sollen nur 41 von 344 beantragten Lizenzen erteilt worden sein. Außerdem machten die Briten neue Auflagen, "die nicht abgestimmt oder auch nur angekündigt wurden", heißt es in Paris. Frankreichs Regierung sieht darin einen Verstoß gegen das Brexit-Abkommen, den sie der EU-Kommission gemeldet hat.
Am Donnerstag appellierte Ministerin Girardin abermals an die britische Regierung, die Beschränkungen sein zu lassen. Ihr Kabinettskollege für EU-Fragen Clément Beaune forderte die Fischer auf, sich nicht von britischen Kriegsschiffen einschüchtern zu lassen. "Wir verlangen nur die Einhaltung des Brexit-Abkommens", sagte er. Vergangene Woche hatte Beaune wegen des Fischereistreits bereits gedroht, Londoner Finanzfirmen den Zugang zur EU zu erschweren. Die lokale Regierung von Jersey behauptet hingegen, sie halte sich strikt an das Brexit-Abkommen.
Ob der Streit allein durch den Brexit verursacht wurde, sei dahingestellt: Schon vor dem EU-Austritt befehdeten sich Franzosen und Briten immer wieder wegen der Delikatessen aus dem Ärmelkanal. 2018 etwa lieferten sich Fischer beider Länder vor der Mündung der Seine tatsächlich eine kleine Seeschlacht um den Fang der Jakobsmuschel. Damals beschossen die Fischer einander mit Feuerwerk und Steinen. Und rammten die Boote der Kontrahenten.