Großbritannien:EU gratuliert Boris Johnson - Corbyn fordert Neuwahlen

  • Die Mitglieder der Tories haben per Briefwahl einen neuen Parteichef gewählt.
  • Im Wettstreit um die Nachfolge von Theresa May setzt sich Boris Johnson gegen Jeremy Hunt durch.
  • Damit wird Johnson auch neuer britischer Premierminister.
  • In diesem Amt ist der Brexit einer seiner wichtigsten Aufgaben. Er selbst nennt als Ziel, den Labour-Chef Jeremy Corbyn von der Macht fernzuhalten.
  • EU-Vertreter, Trump, Macron und Merkel gratulieren Johnson zur Wahl.

Von D. Aykanat, B. Galaktionow, T. Kirchner, P. Saul und M. Schulte von Drach

Verfolgen Sie die Entwicklungen des Tages::

Barbara Galaktionow
Barbara Galaktionow

Gratulation auch von Merkel


Die Bundeskanzlerin beglückwünscht den künftigen britischen Regierungschef. „Ich gratuliere Boris Johnson und freue mich auf eine gute Zusammenarbeit. Unsere Länder soll auch in Zukunft eine enge Freundschaft verbinden“, sagt die CDU-Politikerin nach Angaben von Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer.
Barbara Galaktionow
Barbara Galaktionow

Johnson bei konservativen Hinterbänklern


Der frisch gewählte Tory-Führer ist vor Kurzem im Parlament angekommen, wo er jetzt mit den Mitgliedern des sogenannten 1922 Committee spricht, einer Gruppe konservativer Abgeordneter, die als backbenchers, als Hinterbänkler gelten. BBC-Reporter Nick Eardley berichtet, dass Johnson - soweit man das im Korridor mitbekomme - von den Parlamentariern mit viel Lachem und großem Beifall empfangen werde - mehr Applaus, als man ihn seit Langem gehört habe.
Barbara Galaktionow
Barbara Galaktionow

Brexiteer Rees-Mogg steht bereit für Johnsons Kabinett


Der einflussreiche konservative Brexiteer Jacob Rees Mogg sagt der BBC, Johnson habe von den Parteimitgliedern "ein sehr starkes Mandat" erhalten. Gefragt, ob er beim Brexit-Hardliner Johnson nun selbst mit einem Ministerposten rechne, antwortet Rees-Mogg, er erwarte "überhaupt nichts". Gefragt, ob er bereit sei, einen Posten im Kabinett zu übernehmen, wenn er gefragt werde, antwortet er klar: "Ich werde alles tun, worum er (Johnson) mich bittet."
Philipp Saul
Philipp Saul

Was will Johnson?


Der Brexit ist zwar wichtig, aber nicht alles: Die Nachrichtenagentur Reuters hat Boris Johnsons Positionen abseits des EU-Austritts zusammengestellt. Hier sind die Haltungen zu Huawei, der heimischen Wirtschaft und Steuersenkungen:

HUAWEI: Eine Entscheidung über die Beteiligung des chinesischen Technologiekonzerns Huawei am Ausbau des britischen 5G-Netzes wurde durch Mays Rücktrittserklärung auf Eis gelegt. Johnson hat erklärt, Investitionen aus anderen Ländern könnten zwar erhebliche Vorteile mit sich bringen. Aber er werde keine Kompromisse auf Kosten der nationalen Sicherheits-Infrastruktur machen. Er werde nichts tun, das die Fähigkeit der Geheimdienste zum Informationsaustausch im Rahmen des Fünf-Augen-Paktes der USA, Großbritanniens, Kanadas, Neuseelands und Australiens (Five Eyes) beeinträchtige. Die USA fordern, Huawei wegen Sicherheitsbedenken vom 5G-Ausbau auszuschließen.

WIRTSCHAFT: Johnson hat angekündigt, er werde Milliardensummen für öffentliche Dienstleistungen, Infrastruktur und Steuersenkungen aufwenden. Die Ausgaben für Bildung, Verkehr, superschnelles Breitband und Polizei sollen erhöht und ein Lohnerhöhungsstopp im öffentlichen Dienst beendet werden. Johnson sieht nach eigenen Worten einen "fiskalischen Spielraum" von 27 Milliarden Pfund. Dabei bezieht er sich auf das Ziel der britischen Regierung für die Höhe des Haushaltsdefizits und der mittlerweile projizierten tatsächlichen Höhe des Defizits. "Ich bin bereit, Kredite aufzunehmen, um bestimmte große Ziele zu finanzieren, aber insgesamt werden wir die steuerliche Verantwortung wahren", sagte Johnson.

STEUERSENKUNGEN: Johnson sieht Raum für Steuersenkungen. Er will die Schwelle anheben, ab der der höhere Satz der Einkommensteuer fällig wird. Auch die Einkommensgrenze, ab der Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt werden, soll steigen.
Philipp Saul
Philipp Saul

Was will Johnson?


Der Brexit ist zwar wichtig, aber nicht alles: Die Nachrichtenagentur Reuters hat Boris Johnsons Positionen abseits des EU-Austritts zusammengestellt. Hier sind seine Haltungen zu Iran, Hongkong und den USA:

IRAN: Johnson hat bisher keine Anzeichen dafür gezeigt, dass er die europäische Linie verlassen und auf den harten Kurs von US-Präsident Donald Trump einschwenken könnte. Das von den USA aufgekündigte Atomabkommen mit Iran aus dem Jahr 2015 hat er zwar als zusehends brüchiger bezeichnet und von Wegen gesprochen, das "zerstörerische Verhalten" Irans im Zaum zu halten. Die Rückkehr zur Diplomatie sei dafür aber der richtige Weg. Eine Militäraktion unterstütze er derzeit nicht.

HONGKONG: Johnson stellte sich an die Seite der Demonstranten, als in der ehemaligen britischen Kolonie Proteste gegen ein Gesetzesvorhaben ausbrachen, das Auslieferungen an China erleichtert hätte. Die Protestierer bewegten sich innerhalb ihrer Rechte, sagte Johnson zu Reuters: Er unterstütze sie und werde sich gerne für sie einsetzen. Und "unseren Freunden in Peking gegenüber" wolle er betonen, dass der - einst von China formulierte - Ansatz "Ein Land, zwei Systeme" funktioniert habe und nicht beiseite geschoben werden sollte.

BEZIEHUNGEN ZU DEN USA: Johnson will enge Beziehungen zu den Vereinigten Staaten aufrechterhalten. Nach britischen Medienberichten denkt er über einen frühzeitigen Besuch in den USA nach seinem Amtsantritt nach. Sein Bemühen, nicht in Widerspruch zum US-Präsidenten Donald Trump zu geraten, war offenkundig, als er den bisherigen britischen Botschafter Kim Darroch in Washington nicht gegen US-Kritik verteidigte. Trumps jüngste Äußerungen über vier demokratische US-Kongressabgeordnete mit Migrationshintergrund nannte Johnson inakzeptabel, bezeichnete sie aber nicht als rassistisch.
Philipp Saul
Philipp Saul

Schlimmer als Trump


FDP-Chef Christian Lindner fürchtet, dass der künftige Premierminister Johnson Europa vor große Herausforderungen stellen wird. "Ich glaube, dass Herr Johnson im Vergleich zu Herrn Trump noch einmal unberechenbarer sein wird", sagte Lindner in Berlin und zog damit einen Vergleich zum nicht gerade für seine Berechenbarkeit bekannten US-Präsidenten Donald Trump. "Man muss die Befürchtung haben, dass Herr Johnson selbst nicht weiß, was er mit seinen neu gewonnenen politischen Möglichkeiten anstellen will." Die Europäer müssten sich weiter "auf sehr unruhige Zeiten einstellen", sagte Lindner mit Blick auf die weitere Integrität des europäischen Einigungsprozesses und die wirtschaftlichen Folgen.
Reuters
Barbara Galaktionow
Barbara Galaktionow

Nur einer kann gewinnen

Der abgeschlagene Außenminister Jeremy Hunt (links) gratuliert seinem siegreichen Rivalen Boris Johnson mit einem energischen Handschlag.
Der abgeschlagene Außenminister Jeremy Hunt (links) gratuliert seinem siegreichen Rivalen Boris Johnson mit einem energischen Handschlag. Foto: AFP/Stefan Rousseau
Philipp Saul
Philipp Saul

Der Verlierer gratuliert artig


Nach seiner Niederlage hat Jeremy Hunt Boris Johnson zum Sieg gratuliert. "Sie werden in diesem kritischen Augenblick ein großartiger Premierminister für unser Land sein!", schrieb Hunt auf Twitter. Johnson habe während des Wahlkampfes "Optimismus, Energie und grenzenloses Vertrauen in unser wundervolles Land" gezeigt.
Deniz Aykanat
Deniz Aykanat

Von der Leyen und Macron gratulieren


Die gewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der französische Staatschef Emmnauel Macron schließen sich den Gratulanten an: „Zunächst Glückwünsche an Boris Johnson, als Premierminister nominiert zu sein“, sagte von der Leyen. „Ich freue mich darauf, eine gute Arbeitsbeziehung mit ihm zu haben.“ Macron dankte der bisherigen britischen Premierministerin Theresa May und sagte: „Ich beglückwünsche herzlich Boris Johnson.“
Thomas Kirchner
Thomas Kirchner

"Ein Clown schickt sich an, Premierminister zu werden"


Die walisischen Nationalisten freuen sich über die Wahl Boris Johnsons. Sie sei ein "Geschenk" für die Unabhängigkeit des Landesteils, erklärte die parlamentarische Anführerin der Partei, Liz Saville Roberts. Nach seinem Sieg gehe es nur noch um das "Wann" einer walisischen Unabhängigkeit, nicht länger um das "Ob". In der schlimmsten Krise des Landes seit Jahrzehnten schicke sich ein "Clown" an, Premierminister zu werden. "Aber das ist kein Witz."
Deniz Aykanat
Deniz Aykanat

Britisches Pfund legt nach Johnson-Wahl zu

Am frühen Nachmittag machte das Pfund einen Teil der frühen Kursverluste wieder wett und wurde zuletzt bei 1,2457 US-Dollar gehandelt. Nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses war der Pfund-Kurs zeitweise bis auf 1,2480 Dollar gestiegen, nachdem er am Vormittag noch bei 1,2418 Dollar gelegen hatte. Zum Euro wurde die britische Währung am Nachmittag bei 1,11 Euro für ein Pfund gehandelt.
Deniz Aykanat
Deniz Aykanat

Glückwünsche von Juncker


EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat Johnson Glückwünsche zu seinem Abstimmungserfolg ausrichten lassen. "Der Präsident will mit dem nächsten Premierminister so gut wie möglich zusammenarbeiten", sagte eine Sprecherin. Großbritannien soll zum 31. Oktober 2019 aus der EU ausscheiden - so zumindest der derzeitige Plan.
Markus C. Schulte von Drach
Markus C. Schulte von Drach

Corbyn fordert Neuwahl


Labour-Parteichef Jeremy Corbyn fordert Neuwahlen, da Boris Johnson lediglich von weniger als 100 000 Parteimitgliedern der Tories gewählt worden sei und das Land nicht hinter ihm stehe. "Die Bevölkerung unseres Landes sollte in einer Parlamentswahl entscheiden, wer Premierminister wird“, fordert er auf Twitter. Tatsächlich stellen die Parteimitglieder der Konservativen weniger als ein halbes Prozent der britischen Wahlberechtigten.
Markus C. Schulte von Drach
Markus C. Schulte von Drach

Von Londoner Bürgermeister zu Londoner Ex-Bürgermeister


Neben Gratulationen gibt es auch kritische Stimmen zur Entscheidung über den zukünftigen britischen Premier. So kündigt der Nachfolger von Boris Johnson als Londoner Bürgermeister, Sadiq Khan, an, nicht damit aufzuhören, sich gegen die "katastrophale Bedrohung" durch den Brexit zu wenden.
Deniz Aykanat
Deniz Aykanat

Die gesammelten verbalen Ausfälle des Boris Johnson

"Meine Chancen darauf, britischer Premier zu werden, stehen in etwa so gut wie die, von einem Frisbee enthauptet zu werden oder als Olive oder Elvis wiedergeboren zu werden", sagte Johnson einmal. Und noch so einiges mehr. Lesen Sie hier die gesammelten Ausfälle des Boris Johnson nach:
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