Nahostkonflikt:USA lehnen Blockade und Besetzung des Gazastreifens ab

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Antony Blinken bei einer Pressekonferenz im Anschluss an die G-7-Konferenz in Tokio am Mittwoch. (Foto: Jonathan Ernst/AP)

So konkret wie noch nie hat US-Außenminister Blinken skizziert, wie es nach dem Krieg weitergehen könnte. Seine Vorstellungen stehen im Widerspruch zu Aussagen von Israels Premier Netanjahu.

Von Alexandra Föderl-Schmid und Paul-Anton Krüger, München/Tokio

Das Thema Nahost hat das G-7-Treffen der Außenminister in Tokio dominiert. Die Minister forderten am Mittwoch "humanitäre Pausen und Korridore" für den Gazastreifen, um Hilfsgüter in das Gebiet bringen zu können, aber auch Ausländern die Ausreise zu ermöglichen. Zuletzt hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Möglichkeit kurzer Feuerpausen nicht ausgeschlossen.

Die israelische Armee versucht weiterhin, die noch im Norden des Gazastreifens lebenden Palästinenser dazu zu bewegen, in den Südteil zu ziehen. Der Chefsprecher der Armee sagte, am Mittwoch hätten 50 000 Menschen über den Fluchtkorridor, die zentrale Salah-al-Din-Straße, das Gebiet von Gaza-Stadt in Richtung Süden verlassen.

Flüchtende auf der Salah-al-Din-Straße am Mittwoch. (Foto: Hatem Moussa/AP)

Den Norden hat die israelische Armee weitgehend abgetrennt und Gaza-Stadt, wo die Hamas-Führung vermutet wird, eingekesselt. Nach eigenen Angaben haben die Streitkräfte 130 Tunnel zerstört.

Die G-7-Minister hoffen, dass mit einer Feuerpause die Bedingungen für eine Freilassung der von der Hamas verschleppten 241 Geiseln verbessert werden. Katar soll über die Freilassung von bis zu 15 Geiseln verhandeln im Gegenzug für eine ein- bis zweitägige Pause. Mit einer temporären Waffenruhe wird auch die Hoffnung verbunden, dass noch mehr Ausländer dem Kampfgeschehen entfliehen könnten. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hatte in der Nacht zum Mittwoch bekannt gegeben, dass nunmehr insgesamt 200 Menschen mit deutschem Pass aus dem Gazastreifen über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten ausreisen konnten.

Ein Ende der Hamas-Herrschaft ist für die G 7 unabdingbar

Die Außenminister beschäftigten sich aber auch mit der Frage, was nach den Kampfhandlungen geschehen soll. In der Abschlusserklärung bekannten sich die Minister der G-7-Staaten zu einer Zweistaatenlösung, also einem selbständigen palästinensischen Staat neben Israel. In Tokio stellte US-Außenminister Antony Blinken so konkret wie noch nie die Überlegungen der USA vor, wie die Zukunft des Gazastreifens nach dem Krieg aussehen könnte. Blinken nannte die Parameter, die US-Präsident Joe Biden für unabdingbar halte. Demnach darf der Gazastreifen keine Plattform mehr für Terrorismus oder sonstige gewaltsame Angriffe sein, was aus US-Sicht ein Ende der Herrschaft der Hamas bedeutet - eine Forderung, die von den anderen G-7-Mitgliedern dem Vernehmen nach geteilt wird.

Zugleich forderte Blinken, es dürfe keine gewaltsame Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen und auch keine neuerliche Besatzung durch Israel geben, das sich 2005 aus dem Küstenstreifen zurückgezogen hatte. Des Weiteren dürfe es keine Versuche geben, den Gazastreifen zu blockieren oder zu belagern. Auch lehnte Blinken es ab, das Territorium des Gebiets zu reduzieren. Er reagierte damit auf Überlegungen in Israel, dass es einen breiteren Sicherheitskorridor auf dem Gebiet des Gazastreifens geben müsse. Unterstützung der USA gibt es außerdem für eine von Palästinensern geführte, einheitliche Regierung für den Gazastreifen und das Westjordanland.

Netanjahus Umfeld relativiert dessen Äußerung

Die klaren Aussagen Blinkens sind auch als Widerspruch zu Äußerungen von Israels Ministerpräsident Netanjahu zu werten. Denn Netanjahu hatte am Montag in einem Interview mit dem US-Sender ABC gesagt, Israel wolle "für unbestimmte Zeit" die Verantwortung für Sicherheit im Gazastreifen übernehmen, um weitere Angriffe zu unterbinden. Am Mittwoch bemühte sich ein Berater Netanjahus bereits, die Äußerung zu relativieren. Israel wolle demnach den Gazastreifen nicht dauerhaft besetzen. Es müsse aber eine "Sicherheitspräsenz" Israels geben, damit das Militär je nach Bedrohungslage für Einsätze hineingehen könne, stellte Mark Regev im US-Sender CNN klar. "Wir müssen zwischen Sicherheitspräsenz und politischer Kontrolle unterscheiden."

Auch der israelische Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer, bemühte sich, den Regierungschef zu interpretieren. Netanjahu habe "nicht davon gesprochen, Gaza zu besetzen", unterstrich er. Israel werde aber "für unbestimmte Zeit" eine "allgemeine Verantwortung für die Sicherheit" tragen, sagte er in einem Interview mit dem US-Fernsehsender MSNBC. Er zeigte sich auch offen für eine palästinensische Regierung, die "zum Wohle seiner Bewohner und ohne Israel zerstören zu wollen" regiere. Die Frage, ob dies die Palästinensische Autonomiebehörde unter Führung von Präsident Mahmud Abbas sein könnte, ließ Dermer offen.

Tatsächlich forcieren die USA eine solche Lösung, dringen allerdings auf Reformen. Die Autonomiebehörde gilt als korrupt, Abbas selbst ist 87 Jahre alt und hat noch keinen Nachfolger nominiert. Blinken hatte bisher die arabischen Staaten vergeblich dazu zu bewegen versucht, sich an einer multilateralen Friedenstruppe zu beteiligen, die im Gazastreifen nach dem aktuellen Kampfgeschehen Sicherheit herstellen soll.

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