Asylstreit:Warum Seehofer tun kann, was er eigentlich nicht tun kann

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Im Asylstreit zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel scheinen alle Fronten verhärtet. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur schwelenden Regierungskrise.

Von Stefan Braun, Berlin

CDU und CSU liefern sich einen heftigen Streit um die Grenzpolitik. Es geht um den bisher unveröffentlichten "Masterplan Immigration" von CSU-Innenminister Horst Seehofer, den dieser Anfang der Woche vorstellen wollte. Darin enthalten war ein Punkt, der auf den Widerstand von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) traf: Seehofer will Flüchtende schon an der deutschen Grenze zurückschicken, wenn sie bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden. Die Forderung ist politisch wie juristisch hochumstritten. Merkel lehnt an diesem Punkt Seehofers Plan ab. Sie sucht eine europäische Lösung. Seehofer will daran festhalten. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

Ist es rechtlich überhaupt möglich, Menschen an der deutschen Grenze abzuweisen, wie es Seehofer in seinem Plan offenbar fordert?

Grob gesagt, nach dem Grundgesetz: unter Umständen. Nach EU-Recht: Eher nicht. Die Streitfrage ist, ob das EU-Recht nicht das deutsche Verfassungsrecht überlagert. Nach dem Grundgesetz können Asylbewerber an der Grenze zurückgeschickt werden, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat kommen. Nach alter Lesart also etwa aus Österreich oder auch Polen oder den Niederlanden. Seit dem Inkrafttreten des europäischen Dublin-Abkommens aber ist das nicht mehr möglich. Asylbewerber können nur in das EU-Land zurückgeschickt werden, in dem sie zuerst registriert wurden. Also etwa nach Griechenland oder Italien. Oder in einen sicheren Drittstaat außerhalb der EU. Und das aber auch erst - und das ist der Haken - nachdem jeder Einzelfall auf deutschem Boden geprüft wurde. Dafür gibt das Dublin-Abkommen sechs Monate Zeit. Eine schlichte Zurückweisung an der Grenze ist rechtlich also kaum vertretbar.

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Nach den sechs Monaten geht überdies die Verantwortung für den Asylbewerber auf Deutschland über. Seehofer will die Flüchtenden womöglich sogar schon vor dem Grenzübertritt abweisen. Auch dafür gibt es im EU-Recht eine Regelung. Die bezieht sich aber vor allem auf sogenannte Botschaftsflüchtlinge, die von dort einen Antrag auf Asyl stellen. Mit viel Mühe könnte sich Seehofer diese Regel für seine Wünsche zurechtbiegen.

Seehofer droht, seinen Masterplan Immigration einfach per Ministerentscheid durchzusetzen, an Merkel vorbei. Darf er das?

Zunächst gilt, dass die Bundesminister ihre Geschäftsbereiche eigenständig führen. Das soll sie davor schützen, dass etwa das Bundeskanzleramt jedes Mal reinfunkt, wenn es um Detailentscheidungen geht. Darum sind Ministerentscheide grundsätzlich möglich. Nach Einschätzung von Innenexperten auch aus der CDU ist Seehofer auch in diesem speziellen Fall dazu befugt. Auf Bitten Berlins hat die EU die Möglichkeit der innereuropäischen Grenzkontrollen verlängert. Darum reiche eine mündliche Anweisung des Ministers, damit die Bundespolizisten - wie von ihm gefordert - Flüchtlinge in andere EU-Staaten zurückschicken. Ob es politisch klug ist, eine solche Entscheidung gegen den erklärten Willen der Kanzlerin zu fällen, steht auf einem anderen Blatt Papier.

Kann Merkel dann den Innenminister einfach feuern?

Verfassungsrechtlich spricht nichts dagegen. Sie hat das alleinige Recht, dem Bundespräsidenten Kandidaten für Ministerämter vorzuschlagen oder ihm deren Entlassung zu empfehlen. Politisch ist so ein Schritt aber immer heikel. Zumal dann, wenn sie einen Minister betrifft, den eine andere Partei stellt. Ein Rauswurf von Seehofer könnte also schnell zum Ende der Koalition führen.

Merkel hat die Richtlinienkompetenz. Ist die gar nichts wert?

In einer idealen Welt gibt Merkel in wichtigen politischen Fragen die Richtung vor. Und das Kabinett folgt. Festgelegt ist das in Artikel 65 des Grundgesetzes. Sie kann einen Minister auch rügen, wenn er sich nicht an ihre Vorgaben hält. Aber sie kann wahrscheinlich einen Ministerentscheid, der so eklatant gegen ihre Richtlinien verstößt, nicht einfach per Anordnung unwirksam machen. Sie müsste schon einen neuen Minister installieren. Wenn sie das aber ohne Zustimmung der CSU macht, deren Chef Seehofer ja immer noch ist, wäre das sehr wahrscheinlich das Ende der Koalition.

Kennen eigentlich alle in CDU und CSU den Inhalt von Seehofers Masterplan Migration?

Nein, das tun sie nicht. Und zahlreiche CDU-Politiker haben sich am Donnerstag in der Fraktion darüber beschwert. Seehofers Plan liegt nicht einmal Unionsfraktionschef Volker Kauder vor. Entsprechend sauer ist Kauder gewesen. Aber auch Innenexperten wie der CDU-Abgeordnete Armin Schuster kennen das Papier nicht genau - und ahnen, dass es unterschiedliche Versionen geben könnte. So hat Seehofer bislang davon gesprochen, er wolle all jene zurückweisen, die in anderen EU-Staaten in einem laufenden Asylverfahren stecken. Nun erklärt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, alle sollten zurückgewiesen werden, die bereits in einem EU-Staat registriert wurden. Ein kleiner, feiner Unterschied, den Schuster nicht für einen Zufall hält, sondern als bewusste Eskalation empfindet.

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Kann es sein, dass die Koalitionsgemeinschaft von CDU und CSU über den Streit auseinanderbricht?

Tatsächlich stehen sich in diesem Punkt die beiden Fraktionsteile wie Blöcke gegenüber. Die CSU-Abgeordneten im Bundestag stehen geschlossen hinter Seehofer. Die CDU-Abgeordneten - mit wenigen Ausnahmen - geschlossen hinter Merkel. Sollte aber die CSU die Fraktionsgemeinschaft aufkündigen, dann müsste sie einen hohen Preis dafür bezahlen. In Merkels Partei ist unstrittig, dass in dem Fall die CDU auch in Bayern zu allen Wahlen antritt. Es gehört nicht viel prophetische Gabe dazu, vorauszusagen, dass die CSU ihre Hoffnungen auf eine Alleinregierung in Bayern dann begraben kann. Und eine Regierungsbeteiligung in Berlin an der Seite der CDU wäre auch kein Automatismus mehr. Die Konsequenzen hat schon CSU-Altvater Franz Josef Strauß gefürchtet. Einen Beschluss der CSU zur Aufkündigung der Koalitionsgemeinschaft vom November 1976 wurde weniger Wochen später wieder rückgängig gemacht.

Was, wenn die Koalition an der CSU zerbricht, gibt es dann Neuwahlen?

Möglich, aber der Weg dahin ist nicht ganz einfach. Merkel muss die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. Erst wenn sie die verliert, kann der Bundespräsident Neuwahlen ausrufen. Allerdings wird er die Kanzlerin auch dazu anhalten, andere Regierungskonstellationen zu prüfen. Und die wären möglich. Auch ohne CSU. Mit der SPD zusammen fehlen der CDU zwei Stimmen für eine Regierungsmehrheit. Auch wenn es eine Handvoll Überläufer gäbe, das wäre zu knapp. Unter den CDU-Abgeordneten gibt es zwar wenige, aber für eine so dünne Mehrheit zu viele starke Merkel-Kritiker. Rechnerisch möglich wäre aber ein Dreierbündnis aus CDU, SPD und Grünen. Oder eines aus CDU, SPD und FDP.

Was hat Merkel versprochen, um den Konflikt zu entschärfen?

Nun, sie hat erst mal nicht versprochen, dass sie binnen zwei Wochen schafft, was sie in drei Jahren nicht erreichen konnte: ein gemeinsames europäisches Asylsystem. In zwei Wochen findet der nächste EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs statt. Stattdessen hat sie dem CDU-Teil der Fraktion am Donnerstag zugesagt, alles zu versuchen, um bis dahin bilaterale Abkommen zu erreichen. Abkommen, in denen sie mit den EU-Ländern an den EU-Grenzen die Rücknahme von Flüchtlingen klärt, aus denen viele an der deutschen Grenze ankommen. Das ist deutlich weniger, als Seehofer will - und dürfte trotzdem schwer genug werden. Immerhin, einen Trumpf hat sie jetzt: Sie kann vor ihren EU-Kollegen erklären, dass sie eine letzte Chance hätten. Andernfalls könne auch sie nicht mehr anders, als härter und national zu handeln.

Wie geht es weiter?

Am kommenden Montag kommen die Parteigremien von CDU und CSU in Berlin und München zusammen. Dort könnte die CSU unter Seehofers Führung beschließen, den Innenminister Seehofer aufzufordern, seinen Masterplan umgehend in die Tat umzusetzen. Oder sie lässt sich auf Merkels Vorschlag ein und vertagt den Konflikt bis zum EU-Gipfel.

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