Asylstreit in der Union:Einigung im letzten Moment

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Das Krisentreffen von CDU und CSU beginnt mit acht mürrischen Gesichtern aus Bayern - und endet mit einer Einigung auf Transitzentren. Bleibt die Frage: Ist es ein Kompromiss zu Lasten Dritter?

Von Stefan Braun und Nico Fried, Berlin

Man hätte es schon fast nicht mehr für möglich gehalten. Aber Edmund Stoiber ist immer noch da. Oder wieder. Und er sieht dabei noch mürrischer aus, als er es früher häufig geschafft hat. Als der ehemalige bayerische Ministerpräsident mit seinem aktuellen Nachnachnachfolger Markus Söder vor der CDU-Zentrale aus dem Auto klettert, wirkt Stoiber, als müsse er in eine achtwöchige Expedition der Kälte und Dunkelheit aufbrechen. Schultern eingezogen, Blick gesenkt, kein Lächeln nirgends. Wer an diesem Montagabend Stoiber sieht, der weiß: Hier geht es ums nichts weniger als das blanke Überleben.

Nun ist das natürlich ein klitzekleines bisschen übertrieben. Auch in der Politik geht es nur ums Geschäft, nicht ums Leben. Aber wer Stoibers Kampf gegen die Flüchtlingspolitik Angela Merkels verfolgt hat, der weiß, dass den Ex-CSU-Chef in diesen Monaten eine besondere Passion antreibt. Schon im Winter 2015/2016 reiste er durchs Land, um Verbündete zu finden. Und was damals nicht gelang, soll unverkennbar jetzt möglich werden: Stoiber will dabei sein, wenn es drum geht, Merkel in die Knie zu zwingen.

Das freilich sagt viel aus über die Lage und Positionierung der CSU-Schwester aus Bayern. Die nämlich hat auch einen Theo Waigel in ihren Reihen, einen versöhnlichen Parteivize Manfred Weber oder auch dessen Kollegin Angelika Niebler. Doch jetzt, in diesem Konflikt, haben nur die harten Kerle und Merkel-Kritiker das Sagen. Wobei man, als Söder und Stoiber einlaufen, fast das Gefühl bekommen könnte, der alte Boss Edmund habe immer noch seinen Generalsekretär Markus an der Seite.

Seehofer sieht müde aus, als er vor die Mikrofone tritt

Doch so mürrisch die acht aus Bayern die CDU-Parteizentrale auch betreten - als die Gespräche beginnen, wirkt es trotzdem so, als hätten alle Beteiligten den heiligen Zorn der Fraktion mit ins Gespräch genommen. Diese hatte am Mittag nicht nur getagt, sondern den Parteiführungen auch eine Botschaft mit auf den Weg gegeben: Reißt euch zusammen, findet eine Lösung, wir hier wollen zusammenbleiben.

Also beginnen alle miteinander plötzlich mit dem ernsthaften Versuch, doch noch etwas hinzubekommen. Papiere werden formuliert und wieder verworfen, liegen doch auf dem Tisch und werden ganz, ganz vielleicht als gangbarer Weg bewertet. Und dann, nach gut vier Stunden Ringen und Reden, heißt es plötzlich, man habe eine Lösung gefunden: Transitzentren an der deutsch-österreichischen Grenze sollen es werden. Auf diese Weise, so wird es wenig später heißen, habe man einen entscheidenden Schlüssel gefunden, um die illegale Migration an der Grenze zurückzudrängen.

Der das sagt, ist Horst Seehofer, der Bundesinnenminister. Müde sieht er aus, als er vor die Mikrofone tritt. Aber das ist bei ihm in diesen Tagen längst nicht mehr neu. Mit tiefer Stimme und größter Zufriedenheit erklärt er, dass man sich geeinigt habe. Und dass ihm die gefundene Einigung erlaube, sein Amt weiter auszuführen.

Aus dem Ich-will-nicht-mehr-Minister ist binnen weniger Stunden der Ich-darf-doch-wieder-Minister Seehofer geworden. Dazu sagt er nicht ohne kleinen Triumph in der Stimme: "Es lohnt sich, für seine Überzeugungen zu kämpfen."

Nicht minder erleichtert wirkt Minuten später die Kanzlerin, die es sich nicht nehmen lässt, selbst auch noch aufzutreten. Sehr, sehr zufrieden sei sie, betont Angela Merkel, und dass nun exakt das gelungen sei, was man immer zu erreichen versucht habe: "eine bessere Steuerung, Ordnung, und Verhinderung der Sekundärmigration in Europa".

Dabei lobt die Kanzlerin nicht nur die Idee der Transitzentren, sondern mindestens genauso lange und ausführlich die Tatsache, dass die Flüchtlinge aus diesen Zentren nur dann direkt in die anderen EU-Staaten zurückgeschickt würden, wenn es Verwaltungsvereinbarungen mit diesen Ländern gebe. Für jene Flüchtlinge und Staaten, für die es solche bilateralen Zusicherungen nicht gebe (wie zum Beispiel Italien), werde man eine Vereinbarung mit Nachbar Österreich schließen.

Soll bloß keiner denken, sie sei abgerückt von ihrer großen proeuropäischen Linie. So zufrieden will sich die Kanzlerin bei all dem präsentieren, dass es für einen Augenblick beinahe untergeht, wie schwer ebendiese Vereinbarung mit Österreich noch werden dürfte.

Überhaupt entsteht bald der Eindruck, dass da ein Frieden zu Lasten Dritter geschlossen wurde. Weder Österreich dürfte einfach ja sagen noch wird die SPD in der Koalition schlicht juchhe rufen. Daran aber soll in diesem Augenblick niemand erinnern. Und keiner soll blöde Nachfragen stellen.

Das übrigens ändert sich auch nicht, als nach den großen Vorsitzenden der beiden Parteien die etwas kleineren Generalsekretäre Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Blume die Pläne etwas detaillierter vorstellen. Wie sich zeigt, übernehmen CDU und CSU nun im Grundsatz eine Idee, die schon vor zweieinhalb Jahren diskutiert worden war: Es geht um sogenannte Transitzentren direkt an der deutsch-österreichischen Grenze, in denen künftig vor allem jene Flüchtlinge schnelle Prüfverfahren erhalten sollen, die in anderen EU-Staaten schon registriert wurden und trotzdem den Weg nach Deutschland gesucht haben.

In der Sprache der EU handelt es sich um die Sekundärmigration, die der CSU derzeit besonders viele Sorgen bereitet - und für die die CDU nun eine gemeinsame Lösung anbietet. Und die große Hoffnung lautet, die Ansprüche der Flüchtlinge, die alle keine große Bleibeperspektive haben, in einer Art Schnellverfahren zu prüfen, ohne dass sie so richtig in Deutschland ankommen.

Damit erreicht die CSU etwas, das sie unbedingt haben wollte. Umgekehrt kann die CDU behaupten, auch von hier aus werde es keine ungeordnete, einseitige, unilaterale Zurückweisung geben, sondern nur eine in Absprache mit den Ländern, in denen die Flüchtlinge erstmals registriert wurden.

In Deutschland gibt es bereits Transitzentren

In der deutschen Diskussion tauchte dieser Begriff das erste Mal im Herbst 2015 auf, als nach Möglichkeiten gesucht wurde, den Flüchtlingsstrom zu mindern und bestimmte Asylverfahren schneller abzuwickeln. Letztlich scheiterte die Idee am Widerstand der SPD in der großen Koalition. Deren damaliger Justizminister Heiko Maas hatte die Transitzentren als mögliche "Massenlager" bezeichnet.

In Deutschland gibt es bereits Transitzentren, nämlich auf den Flughäfen München, Frankfurt, Düsseldorf, Hamburg und Berlin-Schönefeld. Dort können die Behörden Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten festhalten, während ihr Antrag in einem Schnellverfahren geprüft wird.

Wenn der Antrag abgelehnt wird, können sie sofort wieder in die Heimat abgeschoben werden. Allerdings ist es rechtlich umstritten, ob vergleichbare Einrichtungen auch an den Staatsgrenzen möglich sind.

2015 war der Vorstoß des damaligen Innenministers Thomas de Maizière (CDU) an den Sozialdemokraten gescheitert. Dessen Nachfolger Horst Seehofer könnte jetzt eine Idee reaktivieren, die er damals geäußert hatte, um den Widerstand der SPD zu brechen: "Wir benennen das gern nach einem namhaften SPD-Politiker", hatte der CSU-Chef und damalige bayerische Ministerpräsident Seehofer im Scherz gesagt. Ideen dürfte er dafür genügend haben.

Und der Stoiber-Edmund? Er sieht nach fast fünf Stunden Verhandlungen doch sehr erschöpft aus. Aber als Seehofers knapp zweiminütiger Auftritt vorbei ist, ergreift Stoiber die Hand des Ich-bin-wieder-Bundesinnenministers und gratuliert ihm. Und als unmittelbar danach auch noch Julia Klöckner, die stellvertretende CDU-Vorsitzende, vorbeikommt, strahlt der Ex- Ministerpräsident endgültig.

Ein Bussi links, ein Bussi rechts - und der Tag, über dem für CDU und CSU tonnenschwer die Spaltung der Union hing, endet tatsächlich mit einer kleinen Umarmung.

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