Impfstoff:Astra Zeneca - Vom Lebensretter zum Ladenhüter

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56 Millionen Dosen des Impfstoffs von Astra Zeneca könnte Deutschland aufs Jahr gerechnet erhalten. (Foto: Yves Herman/REUTERS)

Die Impfkommission empfiehlt, bei einer Zweitimpfung auf Astra Zeneca zu verzichten. Es zeichnet sich ab: Von diesem Impfstoff wird es bald viel mehr geben, als man braucht. Und dann?

Von Hanno Charisius und Nico Fried

Etwa 2,7 Millionen Menschen wurden in Deutschland bis zum vergangenen Dienstag mit dem Impfstoff von Astra Zeneca geimpft. Seitdem soll das Präparat grundsätzlich nur noch Menschen von 60 Jahren an aufwärts verabreicht werden. Es besteht der Verdacht, dass es bei jüngeren Menschen in sehr seltenen Fällen zu Verstopfungen der Hirnvenen führen kann. Zur Sorge tritt folglich eine Frage hinzu: Wie geht es denn mit dem eigenen Impfschutz weiter?

Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat darauf am Donnerstag in einem Beschlussentwurf eine Antwort gegeben. Astra-Zeneca-Geimpfte unter 60 Jahre sollen ihre zweite Spritze zwölf Wochen nach der ersten mit einem mRNA-Impfstoff bekommen. Die Expertengruppe, die in Deutschland empfiehlt, wie Impfstoffe eingesetzt werden sollten, trifft damit eine überraschend schnelle Entscheidung. Ursprünglich wollte sie sich erst Ende April dazu äußern. Das Gremium betrachtet die Erstimpfung mit dem Astra-Zeneca-Wirkstoff im Grunde wie eine durchgemachte Corona-Infektion. Auch nach einer solchen sollen Menschen zunächst nur mit einer Dosis geimpft werden.

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Studiendaten, die den Erfolg und die Sicherheit eines Vorgehens mit zwei verschiedenen Vakzinen belegen, sind bislang spärlich. Die Stiko empfiehlt daher auch, es durch Studien zu begleiten. Dass es funktionieren kann, wurde zuletzt von vielen Expertinnen und Experten betont. "Das ist immunologisch und ökonomisch sinnvoll", sagt der Immunologe und Impfstoff-Forscher Leif Erik Sander von der Berliner Charité. Er rechnet mit einer "hervorragenden Immunantwort mit sehr gutem Schutz bei den Geimpften".

Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA sah in der vergangenen Woche noch keinen Anlass, die Empfehlungen für den Astra-Zeneca-Impfstoff anzupassen. Während aus Deutschland bis vergangenen Montag 31 Blutgerinnsel im Gehirn im zeitlichen Zusammenhang mit einer Astra-Zeneca-Impfung gemeldet wurden, kamen aus anderen Ländern bislang keine oder nur vereinzelte Berichte. Aus Großbritannien, wo das Vakzin bislang mehr als 18 Millionen Mal verimpft wurde, gab es bis Mitte der Woche nur fünf Meldungen der besonderen Sinusvenenthrombosen. Am Donnerstag stieg die Zahl auf 22 dieser Blutgerinnsel im Kopf, sowie acht weiteren Verklumpungen, die mit Störungen der Blutgerinnung einhergingen. In der kommenden Woche wird die EMA erneut beraten.

Die eingeschränkte Verwendung des Vakzins von Astra Zeneca könnte zu einem Zustand führen, den man so in Deutschland noch nicht kannte: Nach Monaten, in denen zu wenig Impfstoff verfügbar war, könnte im Laufe des Jahres zu viel vorhanden sein - zunächst vor allem von Astra Zeneca. Zur Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen zählen in Deutschland knapp elf Millionen Menschen. Bei einer Impfquote von 60 Prozent und zwei notwendigen Impfungen würden dafür etwa 13 Millionen Impfdosen gebraucht. In den Altersgruppen darüber wird bevorzugt der Wirkstoff von Biontech geimpft. Von ihm sollen allein im zweiten Quartal, also zwischen April und Ende Juni, 40 Millionen Dosen geliefert werden. Von Astra Zeneca werden auf das ganze Jahr gerechnet nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums 56 Millionen Dosen erwartet. Hinzu kommen voraussichtlich noch mehrere zehn Millionen Dosen der Hersteller Moderna, Johnson&Johnson und - nach Zulassung - auch Curevac und Sanofi. Der Wirkstoff von Astra Zeneca wird also immer weniger gebraucht - und wegen der Bedenken vermutlich auch immer weniger verlangt.

So können sich nach der Beschlusslage der Gesundheitsminister von Bund und Ländern zwar Menschen unter 60 Jahren mit Astra Zeneca impfen lassen. Sie sollen "gemeinsam mit dem impfenden Arzt nach sorgfältiger Aufklärung entscheiden, mit Astra Zeneca geimpft werden zu wollen". Dies soll aber nur bei den Hausärzten möglich sein und trifft in der Ärzteschaft auf wenig Enthusiasmus: "Der Zeitbedarf für eine intensive Aufklärung steht einer schnellen Impfkampagne diametral entgegen", sagte der Vize der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Stephan Hofmeister, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Man empfehle den Praxen, Astra Zeneca nur bei über 60-Jährigen zu verimpfen.

Was Hofmeister für Astra Zeneca offenbar befürchtet, geht aus seiner Mahnung hervor, die Praxen jetzt nicht schwerpunktmäßig mit diesem Wirkstoff zu beliefern. "In einem gewissen Umfang kann Astra Zeneca auch in den Praxen verimpft werden, aber es darf auf keinen Fall so sein, dass wir quasi gezwungen werden, einen Ladenhüter an den Mann zu bringen", sagte er.

Gesundheitsminister Jens Spahn sagte, es gehe jetzt "vor allem um Geschwindigkeit". Man werde "so oder so in die Situation kommen, dass wir mehr Impfstoff haben, als wir brauchen". Aus seiner Sicht sei das aber die Idealsituation. "Ich habe in dieser Pandemie eine Erfahrung gemacht", sagte Spahn, der erst wegen fehlender Masken, dann wegen des mangelnden Impfstoffs harte Kritik erfuhr: "Es ist immer besser, mehr zu haben als zu wenig."

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