Bundesregierung:Baerbocks Resilienz-Reise

Lesezeit: 4 min

Baerbock auf ihrer Sommertour an der tschechischen Grenze: offenes Gespräch und wenig verdeckter Unmut. (Foto: IMAGO/Kira Hofmann/IMAGO/photothek)

Unter dem Motto "Gemeinsam stark" will die Außenministerin engagierte Bürger in Sachsen besuchen. Doch es erwarten sie auch die Verächter des Berliner Politikbetriebs.

Von Constanze von Bullion, Chemnitz

Kriegstreiberin. Die Außenministerin spuckt dieses Wort aus wie eine ungenießbare Frucht. Mittags noch im Erzgebirge hat man sie als Kriegstreiberin beschimpft. "Niemand wollte diesen Krieg", sagt Annalena Baerbock, und dann redet sie sich doch noch in Rage für einen Moment. Nicht sie habe diesen Krieg vom Zaun gebrochen, sondern Wladimir Putin. Und wer ihr jetzt mangelnde Verhandlungsbereitschaft vorwerfe. Sie bremst ab. "Wir tun alles dafür, dass wir ihn wieder beenden können."

Später in einem umgebauten Straßenbahndepot in Chemnitz, Annalena Baerbock am Ende der ersten Etappe ihrer politischen Sommerreise. "Gemeinsam stark", steht auf dem himmelblauen Bus, der Baerbocks Tross nach schwierigen Regierungswochen in Berlin zu den Menschen fahren soll - dorthin, wo die freiheitliche Gesellschaft und ihre Lebensadern geschützt werden: an europäischen Grenzen, im Wasserwerk, im Ehrenamt, in Telekommunikationsfirmen oder einer Chipfabrik.

SZ PlusPolitik
:Lasst mal die Luft raus!

Die Wutentbrannten und Dauergenervten können kurz aufatmen: Endlich Sommerpause, sogar im politischen Berlin. Gedanken über eine erschöpfte Gesellschaft, die etwas Abkühlung dringend nötig hat.

Von Hilmar Klute

Die Grünen-Politikerin will bei ihrer Tour "offen und ehrlich" mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen, vorzugsweise mit den Anpackern, den Engagierten und Resilienten im Land: trotz Krieg, Inflation und Klimakrise, trotz Gezänk der Bundesregierung, trotz ungelöster Migrationsfragen und der Erosion demokratischer Überzeugungen. Dass der Plan nicht immer so einfach aufgeht, erlebt Baerbock gleich am ersten Tag.

Auftakt also in Chemnitz mit Hunderten Gästen in einem "Bürgerdialog". Draußen vor der Tür versammeln sich Neonazis, drinnen nimmt niemand davon Notiz. Andere Demonstranten haben sich in Flaggen der Ukraine gewickelt, denn auch Wladimir Klitschko ist da, der Bruder des Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko.

Außenministerin Annalena Baerbock (rechts) und Wladimir Klitschko bei einem "Bürgerdialog" in Chemnitz. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Klitschko und Baerbock, das ahnt man, haben mit Protest gerechnet hier in Chemnitz, mit Sympathie für Russland und Widerstand gegen Krieg und Bewaffnung. Ein Irrtum, wie sich bald zeigt. Es fehlt im Saal eher die Lust zum Streit. Bis ein Herr aus dem Vogtland aufsteht und die Ministerin zur Rede stellt. Immer neue Waffenlieferungen, was bringt das?, will er wissen. Bezahlen müssten das Tausende junge Leute mit ihrem Leben. "Wann, Frau Baerbock, ist denn der richtige Zeitpunkt zu verhandeln? Erst wenn der letzte russische Soldat die Krim verlassen hat?" Eine Antwort bekommt er nicht. Und es gibt noch andere an diesem Tag, die das Gesprächsangebot aus Berlin, nun ja, für verbesserungsfähig halten.

"Gemeinsam stark", steht auf Baerbocks himmelblauem Bus

Am Mittag rollt Baerbocks Reisebus ins tschechisch-sächsische Grenzland, nach Bärenstein im Erzgebirge. Ein kleines Dorf, direkt am Pöhlbach, der Tschechien von Deutschland trennt. Auf der einen Seite, in der Gemeinde Vejprty, herrscht Mittagsruhe, auf der deutschen Seiten, in Bärenstein, wird gebrüllt, als die Außenministerin mit ihrem Amtskollegen Jan Lipavský über eine Fußgängerbrücke spaziert.

"Haut ab", "Volksverräter" , Kriegstreiber", "blöde Kuh", "Keiner will euch haben", schreien Demonstranten nach Leibeskräften. Stark Tätowierte schlagen hier Krach, auch ältere Damen mit sorgfältig gelegtem Haar und Anwohner mit Trillerpfeifen. Irgendjemand hält ein Schild hoch: "Grüne an die Ostfront".

Baerbock versucht ein Lächeln, aber es will nicht recht gelingen. Man erklärt ihr jetzt vor Fototafeln, wie es war, als dieser Ort noch vom Eisernen Vorhang geteilt war. Und wie sich die Menschen nach der Wende frei über die Grenze bewegten, bis die Pandemie und die Corona-Regeln sie wieder einsperrten in ihre Häuser. "Es war eine schlimme Zeit", sagt der Bürgermeister, der wohl manches erzählen könnte über den Verlust von Staatsvertrauens in der Pandemie.

Baerbock möchte den Blick lieber auf erfreulichere Dinge lenken: die Zusammenarbeit der Behörden über die Grenze hinweg. Brennt es im deutschen Teil der Stadt, rückt auch mal die tschechische Feuerwehr an, und deutsche Bundespolizisten laufen Streife mit tschechischen Kollegen. Da sieht man, was der europäische Geist bewirkt, lobt die Ministerin. "Wir können Europa hier tagtäglich leben." "Schäm dich", skandieren ein paar Meter weiter Demonstranten.

Elisabeth Kahl ist eine von ihnen, die brüllt, sie ist 66 und war mal arbeitsmedizinische Assistentin. Jetzt schwenkt sie eine Fahne des sächsischen Königreichs von 1815, Erkennungszeichen auch der rechtsextremistischen Freien Sachsen. Die Baerbock, der Scholz, der Merz, alles Verbrecher, sagt Elisabeth Kahl. "Die geben das Geld mit vollen Händen aus, und es bekommen alle, nur nicht die Deutschen." Die Schulen kaputt, Rentner als Flaschensammler, und diese "Gendermenschen", Kahl wird lauter. "Wir sind als Volk der Souverän. Und der Souverän wird nicht mehr wahrgenommen." Nirgends kämen Leute wie sie in Medien oder Politik noch vor, deshalb schätzt sie die AfD, hat das Zeitunglesen eingestellt, informiert sich bei Gleichgesinnten. Wann hat sie eigentlich angefangen, diese Abwendung vom Staat? Frau Kahl schüttelt den Kopf. "Wir wenden uns nicht von Staat ab, wir engagieren uns."

Die Außenministerin hört das nicht, sie ist schon drüben im tschechischen Teil des Ortes und spricht mit Bundespolizisten. Ein- bis zweimal im Monat brechen deutsche und tschechische Kollegen zur gemeinsamen Patrouille auf beiden Seiten der Grenze auf, erzählt ein Beamter. Dann schweigt er. Annalena Baerbock könnte jetzt fragen, was er auf Streife so erlebt. Aber sie fragt nicht.

Bei ihrem Besuch in Bärenstein an der deutsch-tschechischen Grenze spricht Baerbock auch mit deutschen Bundespolizisten. (Foto: IMAGO/Ondrej Hajek/IMAGO/CTK Photo)

Im Vergleich zum Juni 2022 hat sich die Zahl illegaler Einreisen von Tschechien nach Deutschland um etwa 50 Prozent erhöht, gab die Bundespolizei kürzlich bekannt. Erst vor ein paar Tagen sprang im Erzgebirge ein Schleuser auf der Flucht vor der Polizei aus einem fahrenden Transporter, ließ 22 Migranten mit zwei Kleinkindern auf der Ladefläche in den Graben fahren. Die Schlepper werden skrupelloser, sie nehmen große Gefahren in Kauf, erzählt eine Polizistin. "Das kann man eigentlich im gesamten tschechisch-sächsischen Grenzgebiet sehen", sagt ihr Kollege.

Was die Polizisten nicht sagen mögen, verraten ihre vorsichtigen Blicke: dass man hier, am östlichen Rand der Republik, nichts gegen etwas mehr Unterstützung aus Berlin hätte. Zumal der Außenministerin das Thema Migration ja nicht fremd ist. Vor Kurzem hat die Grünen-Politikerin ihr Ja zu einem härteren Grenzregime an den EU-Außengrenzen gegeben. Viele Parteifreunde waren entsetzt über den Plan, Geflüchtete in riesigen Haftanstalten zu verwahren.

Baerbock allerdings wirkt nicht so, als verspüre sie Bedauern, im europäischen Geleitzug die Verschärfung der EU-Asylpraxis vorangebracht zu haben. Nur wenn die Außengrenzen geschützt sind, könnten Europas Binnengrenzen offen bleiben, auch hier, "im Herzen Europas", argumentiert sie. Und was sagt die Ministerin den vielen Sachsen, die sich feste Grenzkontrollen wünschen, fragt auf dem Marktplatz ein Journalist. Tägliches Reisen über die Grenze, hin und her, das sei "der Puls Europas", antwortet Baerbock. Ändern wolle sie das "derzeit nicht". Sie muss dann los, die Zeit läuft davon. Die Ministerin sah schon mal fröhlicher aus.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusVerfassungsrecht
:"Es bröckelt schon"

Sind die Spielregeln der Demokratie in Gefahr? Ein Interview mit der Verfassungsrechtlerin Nora Markard über den Einfluss der AfD auf unser Rechtssystem und die Justiz als offene Flanke.

Interview von Ronen Steinke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: