Regierungsbildung:"Die Ampel steht"

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Mit uns zieht die neue Zeit: Die Ampel-Koalitionäre (von links: Michael Kellner, Norbert Walter-Borjans, Annalena Baerbock, Robert Habeck, Olaf Scholz, Christian Lindner, Volker Wissing, Saskia Esken und Lars Klingbeil vor der Vorstellung des Koalitionsvertrags in Berlin, 24. November). (Foto: Odd Andersen/AFP)

SPD, Grüne und FDP haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Kanzlerkandidat Olaf Scholz kündigt eine Politik des Fortschritts an. Alle Parteien bekennen sich zum Klimaschutz. Robert Habeck wird Vizekanzler, Annalena Baerbock Außenministerin und Christian Lindner Finanzminister.

Von Nico Fried

SPD, Grüne und FDP haben sich auf einen Koalitionsvertrag verständigt und sind damit einer gemeinsamen Regierungsbildung ein wichtiges Stück näher gekommen. "Meine wichtigste Botschaft lautet: Die Ampel steht", sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz am Mittwoch bei der Präsentation des Vertrages in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Parteivorsitzenden von SPD, Grünen und FDP. Die Ampel werde "eine Koalition auf Augenhöhe, mit drei Partnern, die ihre Stärken einbringen zum Wohle unseres Landes". Es gehe der künftigen Koalition nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, sondern eine Politik der großen Wirkung. "Wir wollen mehr Fortschritt wagen", sagte Scholz in Anlehnung an das Motto des ersten sozialdemokratischen Kanzlers Willy Brandt: "Mehr Demokratie wagen." Man sei angetrieben "vom Willen, das Land gut zu regieren und voranzubringen".

Der Koalitionsvertrag umfasst 177 Seiten und trägt den Titel: "Mehr Fortschritt wagen - Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit." Grünen-Chef Robert Habeck sprach von einem "Dokument des Mutes und der Zuversicht". Ein Land in Zeiten der Krise zu modernisieren, bedeute eine große Anstrengung. Die Koalition habe sich aber gefunden und werde "sich weiter finden". Habeck soll dem Vernehmen nach Vizekanzler werden und das Ressort Wirtschaft und Klimaschutz führen. Die Vereinbarkeit von Wohlstand und Klimaschutz ziehe sich wie ein roter Faden durch den Vertrag, sagte er.

Grünen-Co-Vorsitzende Annalena Baerbock, die als erste Frau in der Geschichte der Bundesrepublik das Auswärtige Amt übernehmen soll, sagte, man habe sich auf eine aktive und wertegeleitete Außenpolitik verständigt.

FDP-Chef Christian Lindner sprach von einem gemeinsamen "Auftrag, dieses Land zu modernisieren". Vor allem die junge Generation erwarte, dass der Status quo überwunden werde. Mit dem Ergebnis der Verhandlungen zeigte sich Lindner zufrieden. Deutschland bleibe "Anwalt solider Finanzen". Bildungs- und Aufstiegschancen sollten verbessert, die Gesellschaft weiter liberalisiert werden. Lindner sagte, man habe Olaf Scholz "als starke Führungspersönlichkeit" erlebt. Er könne auch Menschen repräsentieren, die nicht die SPD gewählt hätten, und werde "ein starker Kanzler" sein, so Lindner.

Für SPD und FDP müssen Parteitage nun noch über den Koalitionsvertrag abstimmen. Die Grünen führen in den nächsten zehn Tagen eine Mitgliederbefragung durch. Bislang ist geplant, Olaf Scholz dann in der am 6. Dezember beginnenden Woche im Bundestag mit der Ampel-Mehrheit zum Kanzler zu wählen.

Zu den wichtigsten inhaltlichen Vereinbarungen gehört, dass der Mindestlohn in einem einmaligen Schritt auf zwölf Euro erhöht werden soll. "Das bedeutet eine Gehaltserhöhung für zehn Millionen Bürgerinnen und Bürger", sagte Scholz. Rentenkürzungen oder eine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters werde es nicht geben, heißt es im Vertrag. Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) ist ein Bürgergeld vorgesehen, die genaue Ausgestaltung ist noch offen. Auch eine Kindergrundsicherung sieht der Koalitionsvertrag vor. Sie soll bisherige Familienleistungen bündeln. Das soziokulturelle Existenzminimum, also die Höhe des monatlichen Betrages, soll dafür neu definiert werden.

Im Bereich Klimaschutz stecken sich die Koalitionäre klarere Ziele als noch im Sondierungspapier. Trotzdem konnten sich die Grünen nicht mit dem Wunsch durchsetzen, den Kohleausstieg definitiv vorzuziehen. Stattdessen soll er "idealerweise" um acht Jahre auf das Jahr 2030 vorgezogen werden. Habeck sagte aber, die Vereinbarung, dass der Emissionspreis für Kohlendioxid nicht unter 60 Euro fallen solle, sorge für einen vorgezogenen Ausstieg. Ebenfalls bis 2030 sollen mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkws zugelassen sein.

Klimaschutz soll eine "Querschnittsaufgabe" werden, ein Veto-Recht des für Klimaschutz zuständigen Ministeriums, wie es die Grünen im Wahlkampf anstrebten, wird es allerdings nicht geben. Bis 2030 sollen 80 Prozent des erforderlichen Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen. Auch dafür soll das Planungsrecht so gestrafft werden, dass sich die Verfahrensdauern schon innerhalb eines Jahres halbieren.

Wegen der schwierigen Wohnungslage wollen SPD, Grüne und FDP pro Jahr für den Bau von 400 000 neuen Wohnungen sorgen, davon 100 000 öffentlich gefördert. Die Mietpreisbremse wird bis zum Jahr 2029 verlängert. In "angespannten Märkten" soll die Kappungsgrenze für Mieterhöhungen auf elf Prozent in drei Jahren abgesenkt werden. Die künftige Bundesregierung wolle "massiv investieren", sagte Scholz.

Die SPD stellt den Bundeskanzler, und erwartungsgemäß wird Scholz' langjähriger Vertrauter Wolfgang Schmidt Chef des Kanzleramtes. Ferner übernimmt die SPD die Ministerien für Verteidigung, Arbeit und Soziales sowie das Entwicklungsministerium. Auch das Gesundheitsministerium geht an die SPD, ebenso ein neues Ressort für Bauen und Wohnen. Die Namen der künftigen Minister wollte Scholz aber noch nicht nennen. Die sollen erst bekannt werden, wenn die Partei dem Vertrag zugestimmt hat.

Neben Habecks und Baerbocks Ressorts werden die Grünen das Familien-, das Landwirtschafts- und das Umweltministerium erhalten. Auch sie nannten noch keine Namen. Die FDP erhält vier Ministerien: Als sicher gilt, dass Parteichef Christian Lindner Finanzminister wird und Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann das Justizressort übernimmt. Der bisherige Generalsekretär Volker Wissing erhält das Verkehrsministerium. Einzige Frau der Liberalen im Kabinett soll Bettina Stark-Watzinger mit der Zuständigkeit für Bildung und Forschung sein. Die SPD erhält zudem drei Staatsministerposten im Kanzleramt, darunter einen für Migration, Flüchtlinge und Integration und einen für die neuen Länder. Den Posten für Kultur und Medien erhalten die Grünen.

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