Proteste gegen Rechtsextremismus:"Schande für Deutschland"

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Nahmen am Sonntag an der Demonstration "Potsdam wehrt sich" teil (von links nach rechts): Brandenburgs CDU-Chef Jan Lars Redmann, Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD), Kanzler Olaf Scholz (SPD), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Potsdams OB Mike Schubert (SPD) und die Fahrländer Ortsvorsteherin Carmen Klockow vom Bürgerbündnis. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

In mehreren deutschen Städten regt sich zunehmend Protest gegen die fortschreitende Radikalisierung der AfD. Angesprochen auf seine Teilnahme an einem Treffen zwischen AfD und Rechtsextremen, will sich der Parteivorsitzende Chrupalla an nichts erinnern können.

Gegen die fortschreitende Radikalisierung der AfD haben sich am Wochenende in mehreren Städten Tausende zu lautstarken Protesten versammelt. In Potsdam nahmen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) an einer Demonstration teil. "Ich stehe hier als eine von Tausenden von Potsdamerinnen und Potsdamern, die einstehen für Demokratie und gegen alten und neuen Faschismus", sagte Baerbock.

Auch der Bundeskanzler wohnt in der Landeshauptstadt und hat dort - wie Baerbock - seinen Wahlkreis. Beide trugen bordeauxrote Schals mit der Aufschrift "Potsdam bekennt Farbe". Laut dem Initiator, Oberbürgermeister Mike Schubert, kamen in der brandenburgischen Landeshauptstadt 10 000 Teilnehmer unter dem Motto "Potsdam wehrt sich" zusammen.

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In Berlin versammelten sich die Demonstranten vor dem Brandenburger Tor. Nach Angaben einer Polizeisprecherin waren es am Sonntagnachmittag "mehrere Tausend" Teilnehmer. Eine Sprecherin der Klimaschutzgruppe "Fridays for Future", die auch zu der Demonstration aufgerufen hatte, nannte die Zahl von 25 000 Teilnehmern.

Erwartungen wurden übertroffen

Demonstrationen gegen das Erstarken der AfD gab es auch in zahlreichen anderen deutschen Städten. In Saarbrücken waren laut Polizei rund 5000 Menschen versammelt, in Kiel waren es nach Angaben der Veranstalter etwa 8000 Menschen. Wie Leon Martin von der Grünen Jugend Kiel sagte, übertraf die Beteiligung die Erwartungen deutlich. "Das war ein machtvolles und klares Signal", sagte er. Die Organisatoren hätten mit nur 500 Teilnehmern gerechnet.

Am Samstag hatte in der Glückauf-Halle in Duisburg ein Neujahrsempfang der AfD stattgefunden, an dem auch die Co-Bundesvorsitzende Alice Weidel und der NRW-Landeschef Martin Vincentz teilnahmen. Dagegen gingen, nachdem zunächst nur 150 Demonstranten angemeldet waren, laut Polizeiangaben rund 2400 Menschen auf die Straße. Es wurden Plakate wie "Schande für Deutschland" hochgehalten, Kirchen, Gewerkschaften und Sozialverbände hatten zu der Kundgebung aufgerufen.

Bei einer von den Jusos angemeldeten Demonstration vor der Parteizentrale der AfD in Hamburg hatten sich am Freitagabend rund 2000 Menschen versammelt, wie die Polizei mitteilte. Weitere Kundgebungen sollen folgen, am Montagabend etwa erneut im Ruhrgebiet von einer Initiative namens "Essen stellt sich quer".

Grund für die Proteste war ein vor ein paar Tagen bekannt gewordenes Geheimtreffen zwischen AfD-Politikern und Rechtsextremen, bei dem rassistische Vertreibungspläne für Einwanderer-Familien diskutiert wurden. An dem Treffen im November in Potsdam sollen auch einzelne Mitglieder der CDU und der erzkonservativen Werteunion teilgenommen haben. Nach den Plänen der Teilnehmer soll eine große Zahl Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen - auch unter Zwang.

Chrupalla: "Ich kann mich an nichts erinnern"

Internen Unterlagen des Anonymous-Kollektivs zufolge soll bei einem früheren Treffen zwischen AfD-Politikern und Rechtsextremen auch der AfD‑Bundesvorsitzende Tino Chrupalla anwesend gewesen sein. Der Spiegel hatte zuerst darüber berichtet. Vom Recherchenetzwerk Deutschland (RND) auf das Treffen, das im Oktober 2021 stattgefunden haben soll, angesprochen, sagte Chrupalla: "Ich kann mich an nichts erinnern" - das wollte er als Verweis auf die Erinnerungslücken von Bundeskanzler Olaf Scholz in der Cum‑ex-Affäre verstanden wissen.

In den von Anonymous veröffentlichten Unterlagen befindet sich auch der Entwurf eines Dankesschreibens des Initiators des Treffens, Gernot Mörig. In diesem Schreiben wird Chrupalla namentlich erwähnt: "Dass sich - unmittelbar nach einem anstrengenden Bundestagswahlkampf - der Bundessprecher der AfD, Tino Chrupalla, selbst ins Auto setzt, um vor einem kleinen privaten Kreis völlig unkompliziert 'Rede und Antwort' zu stehen, um am nächsten Morgen in aller Frühe wieder über Görlitz nach Berlin zu fahren, ist wahrlich nicht selbstverständlich gewesen!" Der Spiegel berichtet, Mörig sei ein früherer Düsseldorfer Zahnarzt, der sich seit Jahrzehnten in der rechtsextremen Szene engagiert und als junger Mann den völkischen "Bund Heimattreuer Jugend" geleitet habe.

Die Debatte über den Umgang mit der in Teilen rechtsextremen AfD geht unterdessen weiter. Während sich Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und CDU-Chef Friedrich Merz skeptisch zeigten, ob ein Verbotsantrag das richtige Mittel wäre, sprach sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) erneut dafür aus. Eine wehrhafte Demokratie solle "die Instrumente, die ihr zu ihrem eigenen Schutz zur Verfügung stehen, auch nutzen", sagte Günther.

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