Anti-AfD-Proteste:Massenprotest fordert Parteien heraus

Lesezeit: 3 min

"Wir sind die Brandmauer": Zur Protestkundgebung gegen die AfD kamen nach Schätzung der Polizei am Samstag in Berlin 150 000 Menschen zusammen. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Nach den Groß-Demonstrationen gegen die AfD verlangen Oppositionspolitiker Konsequenzen von der Ampelkoalition: Die Linke will mehr Geld für Sozialleistungen, die CSU eine härtere Asylpolitik.

Von Angelika Slavik

Nach den neuen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus verschärft sich die Debatte über den weiteren Umgang mit der AfD. Am Wochenende gingen wieder mehrere Hunderttausend Menschen in ganz Deutschland auf die Straße, um ein Zeichen des Protests gegen die Rechtsaußen-Partei zu setzen. Allein in Berlin versammelten sich laut Schätzungen der Polizei 150 000 Teilnehmer vor dem Reichstagsgebäude. Die Kundgebungen wurden von allen anderen Parteien begrüßt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb bei der Plattform X, die Demonstrationen seien "ein starkes Zeichen für die Demokratie und unser Grundgesetz". Mehrere Vertreter der Ampel-Parteien nahmen selbst an den Protesten teil, darunter SPD-Chefin Saskia Esken, die Minister Karl Lauterbach und Svenja Schulze und die Grünen-Politiker Omid Nouripour und Katrin Göring-Eckardt.

Von der Opposition kam indes Kritik: Die Linke sieht bei der Ampelkoalition eine Mitverantwortung für das Erstarken der AfD. "Es reicht nicht, dass die Bundesregierung die Proteste begrüßt", sagte Parteichefin Janine Wissler der Süddeutschen Zeitung. Es brauche konkrete Maßnahmen, "um Missstände zu beseitigen, die einen Nährboden für das Erstarken der Rechten bilden". Viele Menschen fühlten sich "durch immer schlechtere Lebensbedingungen" ausgelaugt. Wissler und ihr Co-Vorsitzender Martin Schirdewan schlagen ein Vier-Punkte-Programm vor, das große Investitionen in Sozialsystem und Infrastruktur vorsieht: Der Staat solle in bezahlbares Wohnen, öffentliche Verkehrsmittel sowie das Pflege- und Gesundheitssystem investieren. Außerdem müssten marode Schienen, Brücken und öffentliche Einrichtungen modernisiert, die Preise für Lebensmittel, Energie und die Mieten gedeckelt werden. Das dafür nötige "milliardenschwere Sonderprogramm" sei möglich, so Wissler: "Für Militär und Rüstungskonzerne war das kein Problem." Zudem müssten Programme zur Demokratieförderung besser unterstützt werden.

Auch CSU-Chef Markus Söder meldete sich zu Wort: Die AfD sei "eine zutiefst rechtsextreme Partei", sagte Bayerns Ministerpräsident der Rheinischen Post. Er plädierte dafür, die Partei stärker inhaltlich zu stellen - viele Aussagen von AfD-Repräsentanten "ekelten" ihn an. Gleichzeitig positionierte sich Söder als Vertreter eines harten Kurses in der Migrationspolitik: "Wir müssen weg vom individuellen Recht auf Asyl hin zu einem objektiven Anspruch", so Söder. Der subsidiäre Schutz, der Geflüchtete vor Abschiebung bewahrt, weil sie in ihrem Heimatland möglicherweise nicht sicher sind, solle überarbeitet werden. "Wir müssen zum Beispiel prüfen, ob in bestimmte Teile von Syrien abgeschoben werden kann", so Söder. Zudem solle das Bürgergeld gestrichen werden "für jemanden, der neu nach Deutschland kommt".

In Umfragen sanken die Zustimmungswerte für die AfD seit dem Beginn der Proteste. Laut einer Erhebung der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF-Politbarometer würden derzeit 19 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme der AfD geben. Das sind drei Prozentpunkte weniger als bei der letzten Abfrage Mitte Januar und der niedrigste Wert für die Partei seit sieben Monaten.

(Foto: SZ-Grafik; Quelle: Repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, 1217 Befragte)

Die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und die AfD könnten nach Einschätzung des Protestforschers Tareq Sydiq von der Marburger Philipps-Universität in eine langfristige Protestbewegung münden. Entscheidend für einen Fortbestand der Bewegung sei, ob sich die Teilnehmenden zu Bündnissen zusammenschließen und sich auf gemeinsame Ziele und Strategien verständigen, sagte Sydiq der dpa. Auffällig ist zudem, dass mehrere Parteien nach eigenen Angaben eine deutlich steigende Zahl an Neueintritten verzeichnen: Linke, SPD, Grüne und CSU bestätigten gegenüber dem Stern deutliche Zuwächse - ebenso wie auch die AfD.

Deren Vorsitzender Tino Chrupalla warf anderen Parteien eine Instrumentalisierung der Kundgebungen vor. Es sei "legitim, mit der Regierung auf die Straße zu gehen", sagte er im Deutschlandfunk. Die Demonstranten sollten sich aber nicht benutzen lassen, damit Parteien von den eigentlichen Problemen im Land ablenken könnten. Chrupalla forderte alle Seiten - auch seine Partei - zur sprachlichen Mäßigung auf. Zu Deutschland gehörten auch Deutsche mit Migrationshintergrund, betonte er. Seine Partei plane nicht, diese auszuweisen.

Auslöser für die aktuellen Proteste ist das Erstarken der AfD sowie ein Treffen von radikalen Rechten in Potsdam im vergangenen November, das erst kürzlich bekannt wurde. An dem Treffen sollen AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der sehr konservativen Werteunion teilgenommen haben. Dabei wurden offenbar Pläne diskutiert, Menschen mit Migrationshintergrund zum Verlassen Deutschlands zu zwingen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: