Abbiege-Assistenten:Selbst die Spediteurslobby will eine Regelung

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Einen Abbiegeassistenten bieten einige Hersteller an. Eine einheitliche Regelung gibt es aber nicht. (Foto: dpa)

Immer wieder sterben Menschen, weil sie von Lastwagenfahrern übersehen werden. Dabei gibt es viele technische Möglichkeiten, die genau das verhindern könnten. Wann werden sie zur Pflicht?

Von Thomas Harloff und Verena Mayer

Brandenburg an der Havel, im Januar: Ein Mädchen will zur Schule radeln, als ein Lasterfahrer es beim Abbiegen übersieht, die Zehnjährige ist sofort tot. München, im Mai: ein neunjähriges Mädchen will auf dem Fahrrad bei Grün geradeaus fahren, ein Lkw-Fahrer übersieht es beim Rechtsabbiegen, das Kind stirbt. Berlin, im Juni. Eine Mutter ist mit ihrem Sohn auf dem Fahrrad unterwegs, als ein Lkw abbiegt. Er überrollt den Achtjährigen, der noch am Unfallort stirbt. Halle an der Saale, vergangene Woche: Beim Linksabbiegen an einer Ampelkreuzung überrollt ein Lastwagen eine 62-jährige Radfahrerin. Auch sie stirbt noch am Unfallort.

Kein Monat vergeht in Deutschland, in dem nicht irgendwo ein schwerer Unfall mit einem Lastwagen passiert. Oft sterben Radler, weil Lastwagenfahrer sie beim Abbiegen übersehen. Schätzungen zufolge sind es jedes Jahr zwischen 25 und 40, die auf diese Weise tödlich verunglücken. Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) geht davon aus, dass etwa ein Drittel der von einem Lastwagen getöteten Radfahrer auf das Konto von Abbiegeunfällen geht. Je kleiner man ist, desto größer sei das Risiko. Und noch mehr Tote gibt es, weil Lastwagen auf der Autobahn kollidieren oder auf ein Stauende auffahren. Zwar kann man aus der Unfallstatistik nicht genau ablesen, wie viele Menschen sterben, wenn sie in einem Auto sitzen, auf das ein Lastwagen auffährt. Dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) zufolge ist diese Zahl aber noch "um ein Vielfaches höher als bei den Abbiegeunfällen".

Der Güterverkehr in Deutschland befindet sich auf Rekordniveau. Jedes Jahr werden in Deutschland mehr Güter transportiert, besonders der Lastwagen-Verkehr hat zugelegt, zuletzt um 1,5 Prozent im Jahr. Gleichzeitig habe man in Sachen Verkehrssicherheit in den vergangenen Jahren "ein Plateau erreicht", heißt es beim DVR. Während die Zahl der Unfalltoten und Verletzten über lange Zeit immer weiter gesunken sei, habe sich seit fünf Jahren nicht mehr viel verbessert. "Das beunruhigt uns", sagt Christian Koller vom DVR.

Insgesamt 3177 Menschen sind 2017 im Straßenverkehr gestorben. Von den Opfern, die unter einen Lastwagen gekommen sind, könnten die meisten heute noch leben. Denn es gibt technische Systeme, mit denen sich sowohl Abbiegeunfälle als auch das Auffahren auf der Autobahn verhindern ließen. Letzteres sollen automatische Notbremssysteme bewerkstelligen, die seit November 2015 für neu zugelassene Lastwagen über acht Tonnen Gesamtgewicht vorgeschrieben sind. Allerdings sind die gesetzlichen Anforderungen an die Technik gering, im Notfall bauen die Fahrzeuge kaum Geschwindigkeit ab. Außerdem schalten die Fahrer sie oft aus, weil sie meist mit einem Abstandsregeltempomaten gekoppelt sind, die ein Aufschließen und Überholen anderer Lastwagen erschwert oder gar verhindert.

Auch Übermüdung ist ein großes Problem in der Fernfahrer-Branche

Trotzdem ist die Regelung sinnvoll. Würde man ein Notbremssystem einsetzen, das in Gefahrensituationen bis zum Stillstand abbremst, "wären wir bei den Auffahrunfällen auf null", sagt der Verkehrsexperte und Unfallforscher Siegfried Brockmann. Selbst wenn nicht, senden sie in brenzligen Situationen sofort Warnsignale aus, "da hat der Fahrer dann auch selbst die Zeit, voll auf die Bremse zu steigen". Sofern er dazu in der Lage ist: Übermüdung und Sekundenschlaf sind noch immer ein eklatantes Problem in der Fernfahrer-Branche.

Auch Abbiegeassistenten würden sich positiv auswirken. Sie erfassen die Umgebung mit seitlich angebrachten Sensoren, Ultraschall oder Kameras - oft auch in Kombination - und erkennen, sobald sich Fußgänger oder Radler im toten Winkel befinden. Ist dies der Fall, warnen sie den Fahrer akustisch, im Idealfall bremsen sie automatisch, sollte der Fahrer trotzdem losfahren. Sie könnten fast zwei Drittel der Unfälle, bei denen Radfahrer getötet werden, verhindern. Einige Hersteller bieten sie optional an, aber bis sie zur Pflicht werden, dürfte es noch lange dauern. Immerhin gibt es politische Initiativen in diese Richtung: Die Union und die SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Technik verpflichtend einzuführen. Der Bundesrat fordert, auch ältere Fahrzeuge damit nachzurüsten. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) rief die "Aktion Abbiegeassistent" ins Leben und beteiligt daran Spediteure, Logistiker, Hersteller und Prüfdienste. Denn laut Verkehrsministerium gibt es derzeit noch gar kein System, dass alle Anforderungen erfüllt.

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Auch das Design von Lastwagen soll sich ändern. Eine Bundestagsoffensive fordert heruntergesetzte Fahrerkabinen, dadurch ergäbe sich eine niedrigere Sitzposition des Fahrers. Zudem verlangt sie bodentiefe Fenster, was in Kombination sowohl die Sicht des Lkw-Fahrers verbessern als auch die toten Winkel verringern soll.

Das Problem: Selbst, wenn man solche Regelungen in Deutschland umsetzt, wäre nicht viel gewonnen, da ein großer Teil der Lastwagen, die in Deutschland unterwegs sind, aus dem Ausland kommt. Und die EU sieht eine europaweite Pflicht erst 2022 vor. Daimler bietet einen Abbiegeassistenten für etwa 2300 Euro an - eigentlich ein geringer Betrag bei Anschaffungspreisen ab 150 000 Euro für einen Lastwagen. Trotzdem ist die Nachfrage gering, nach Angaben des Herstellers haben nur etwa zwölf Prozent einen. Selbst der Spediteurslobby ist das zu wenig, ihre Verbände unterstützen Scheuers Aktionsplan. Sie erhoffen sich dadurch einheitliche Kriterien, welche Anforderungen die Technik erfüllen muss - und natürlich Fördergelder für Spediteure, wenn sie ihre Lastwagen mit den Systemen ausrüsten lassen.

Und so bleibt erst mal eines: Aufpassen, wenn man zu Fuß oder auf dem Rad an der Kreuzung neben einem Lkw steht, Blickkontakt zum Fahrer suchen. Und im Zweifelsfall nicht losfahren. Selbst, wenn man Grün hat.

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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