Lastwagen-Platooning:Lkw-Fahren wie am Schnürchen

Ein LKW von MAN auf einer Landstraße

Vernetzung macht's möglich: Der Abstand zwischen den beiden Lastwagen beträgt nur zwölf bis 15 Meter.

(Foto: WGM; MAN)

Ab April pendelt ein vernetzter Lastwagen-Konvoi mit minimalem Sicherheitsabstand über die A 9. Dieses Platooning soll Sprit und Verkehrsraum einsparen. Doch selbst die Spediteure sind skeptisch.

Von Marco Völklein

Wer von April an auf der Autobahn 9 zwischen München und Nürnberg unterwegs sein wird, der könnte Zeuge eines interessanten Forschungsprojekts werden. Der Lkw-Hersteller MAN und der Logistikdienstleister DB Schenker schicken zwei Lkw im "Platoon" auf die Straße, in einem digital vernetzten Konvoi. Die Trucks werden per Funk gekoppelt und fahren im Abstand von nur zwölf bis 15 Metern hintereinander her. Der Fahrer im ersten Truck steuert den Folge-Lkw quasi mit; der Fahrer hinten überwacht nur noch die Technik - und greift im Notfall ein.

Irgendwann, so die Hoffnung der Techniker, könnten nicht nur zwei, sondern drei, vier oder fünf Lkw zusammengespannt werden, aufgereiht wie an einer Schnur. Denn: "Autonomes und vernetztes Fahren wird den Straßengüterverkehr in Zukunft grundlegend verändern", glaubt MAN-Vorstand Frederik Zohm. Mit dem Test-Konvoi sollen nun weitere Schritte dahin gegangen werden.

Der Begriff Platoon stammt aus der Armeesprache und meint einen militärischen Zug. Mitte der Achtziger brachte der Regisseur Oliver Stone einen gleichnamigen Antikriegsfilm heraus. Fahren die Lkw künftig im Gespann mit verringertem Abstand, können sie den Windschatten besser ausnutzen, so die Idee. Der Spritverbrauch sinkt. Bei MAN und DB Schenker rechnen sie mit Einsparungen von durchschnittlich zehn Prozent. Zudem könnte der Raum auf den überfüllten Autobahnen besser genutzt werden, sagt MAN-Entwickler Walter Schwertberger.

Bislang schreibt die Straßenverkehrsordnung Lkw-Fahrern einen Mindestabstand von 50 Metern auf der Autobahn vor. "Bei zwei Lkws, die in Kolonne fahren, macht das noch nicht viel aus", sagt Schwertberger. Sollten aber irgendwann mal 60 oder gar 70 Prozent aller Trucks auf den Autobahnen per Digitalkonvoi enger zusammenrücken, "sieht das anders aus". Die Bundesregierung erwartet, dass der Straßengüterverkehr bis 2030 um 40 Prozent wächst. Platooning könne helfen, dieses Wachstum in den Griff zu bekommen, argumentieren die Hersteller.

Wie werden die anderen Verkehrsteilnehmer reagieren?

Noch aber stehen die Entwickler am Anfang. Dass die Technik grundsätzlich funktioniert, haben sechs Hersteller 2016 bei einer Sternfahrt gezeigt. Mehrere Lkw-Gespanne rollten damals quer durch Europa nach Rotterdam. Die Technik funktionierte bei allen Teilnehmern ähnlich: Per Wlan sind die Trucks eines Platoons verbunden, Radar- und Lasersensoren sowie Kameras erfassen das Umfeld, während der Fahrt kommunizieren die Systeme untereinander. Bremst der Fahrer im ersten Lkw ab, wird der Impuls binnen weniger Millisekunden an die Folge-Trucks übermittelt - und deren Tempo dank der eingebauten Assistenzsysteme automatisch reduziert.

Der Versuch auf der A 9 soll nun zeigen, ob all das auch im Echtbetrieb mit normalen Lkw-Fahrern am Steuer funktioniert. Und auf einer dicht befahrenen deutschen Autobahn. Die Frage dabei wird sein: Wie reagieren andere Verkehrsteilnehmer auf die eng gestaffelten Brummis? Denn davon hängt ab, wie oft der digital verbundene Lastwagen-Konvoi wieder entkoppelt werden muss. Je öfter dies geschieht, desto weniger Einsparungen beim Spritverbrauch lassen sich am Ende realisieren.

Immer wieder drängeln sich andere Fahrer dazwischen

Und dass der Konvoi entkoppelt werden muss, davon gehen die Techniker aus. Schon bei ersten Testfahrten habe sich gezeigt, dass Pkw- und Motorradfahrer auch in die kleinste Lücke zwischen den beiden Platoon-Lkw drängen - etwa, um noch eine Autobahnabfahrt zu erwischen. In einem solchen Fall, sagt Schwertberger, werde der Digitalkonvoi auf jeden Fall gelöst. Der hintere Truck bremse automatisch und behutsam ab, der Fahrer werde aufgefordert, das Steuer zu übernehmen. Auch bei Baustellen sei vorgesehen, den digitalen Konvoi zu entkoppeln. Zudem fahre man nur auf der Autobahn im Platoon. Auf Landstraßen oder im Stadtverkehr steuere jeder Fahrer selbst den jeweiligen Lkw.

Um andere Verkehrsteilnehmer auf den Konvoi aufmerksam zu machen, haben die Techniker den beiden Versuchslastern gelbe Warnleuchten auf dem Dach spendiert, zudem sollen Schilder am Heck angebracht werden. Aufschrift: "Achtung Testfahrt - geringer Abstand!" In den ersten Monaten plant DB Schenker nur einzelne Testfahrten ohne Ladung, um die Fahrer einzulernen. Im Laufe des Jahres soll das Pensum zu regulären Linienfahrten im Stückgutverkehr ausgebaut werden. Am Ende wird der Zweier-Konvoi, sofern alles klappt, dreimal täglich zwischen den Logistikzentren der Deutsche-Bahn-Tochter in München und Nürnberg pendeln.

Nur überwachen? "Das kann ermüdend sein"

Überhaupt die Lkw-Fahrer: Auf die kommen im Konvoi neue Anforderungen zu. Der Fahrer im Führungsfahrzeug muss, sobald das Platoon gebildet wurde, die Folgefahrzeuge "immer mitdenken", sagt Sabine Hammer von der Hochschule Fresenius. Der Fahrer im Folgefahrzeug wiederum muss die Technik zwar überwachen, mehr aber auch nicht. "Auch das kann ermüdend sein", sagt Hammer. Zugleich darf er sich nicht ablenken lassen oder gar wegdösen - er soll ja im Notfall jederzeit das Steuer übernehmen. Deshalb werden Forscher der Hochschule das Projekt begleiten. Elektroden sollen die Hirnströme der Fahrer messen, Spezialbrillen die Bewegungen der Augen und Lider aufzeichnen. Die Bundesregierung stellt zwei Millionen Euro aus einem Fördertopf zur Verfügung.

Auch anderswo laufen Versuche. So testet Daimler in den USA und in Japan Platooning-Fahrzeuge. Parallel sind noch viele Fragen offen, das räumt auch die Branche ein. So müsste der Rechtsrahmen geschaffen, Haftungsfragen müssten geklärt werden. Für die zwei Laster auf der A 9 etwa haben die Entwickler beim bayerischen Verkehrsministerium eine Ausnahmegenehmigung beantragt.

Skepsis bei den Automobilclubs

Der ADAC glaubt, dass die Konvois auf (relativ leeren) Fernstraßen in den USA oder in Skandinavien durchaus sinnvoll sein könnten, "auf dem deutschen Autobahnnetz mit hohen Verkehrsstärken und kurzen Abständen zwischen den Anschlussstellen sehen wir dagegen relativ wenig Potenzial", sagt Stefan Gerwens vom ADAC. Die Erprobung jetzt könne dennoch auf dem Weg zu automatisierten Brummis helfen. Der Automobilklub AvD warnt, bei Platoons mit mehr als zwei Lastern könnte das Ein- und Ausfahren auf der Autobahn für andere Verkehrsteilnehmer schwieriger werden. Und aktuell werkelt jeder Lkw-Bauer an seiner eigenen Technik; ein Hersteller-übergreifendes Platooning gibt es (noch) nicht.

Und es gibt auch grundsätzliche Kritik an der Platooning-Idee: Der Lobbyverband "Allianz Pro Schiene", der unter anderem Unternehmen aus der Schienengüterbranche vertritt, sieht in den Testläufen den Versuch der Lkw-Hersteller, "die Politik auf die Zukunft zu vertrösten", und spricht von "Luftschlössern". Platooning gebe es jetzt bereits: nämlich bei der Bahn. Ein Lokführer steuere da ganz viele Lasteinheiten durch die Gegend. Daher müsste eher der Schienenverkehr gestärkt werden - beispielsweise durch die Elektrifizierung von Strecken oder den Ausbau des Netzes für längere Güterzüge.

Und selbst Spediteure sehen die Sache kritisch: Wolfgang Thoma, Chef der Allgäuer Spedition Ansorge, fordert, zunächst die Infrastruktur so herzurichten, dass sie den zusätzlichen Verkehr verkraften kann. Aktuell sind zum Beispiel manche Autobahnbrücken so beschädigt, dass Landesbehörden den Mindestabstand zwischen zwei Lastwagen auf 70 oder 100 Meter anheben, um ein weiteres Bröckeln des Betons zu verhindern. "Eigentlich", sagt Thoma, "müsste da ein Aufschrei der Infrastrukturbetreiber kommen."

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