Edit-Button für Twitter:Voll korrekt?

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(Foto: Imago/Collage: SZ)

Tweets sollen bald nachträglich geändert werden können. Wird es wieder schick, an seiner Meinung zu feilen, anstatt sie einfach rauszuballern? Wäre gut für die Diskussionskultur - aber auch irgendwie schade.

Von Philipp Bovermann

Wenn alles stimmen würde, was auf Twitter steht, hätte sich die ganze Welt am 23. Januar 2017 bei der nächsten Dienststelle der Münchner Polizei melden müssen. So jedenfalls forderte sie es auf ihrem Twitter-Account: "Bitte bei der nächsten Polizeidienststelle melden", den Adressaten spezifizierte sie nicht näher - ein Versehen. Kurz schwebt hier die Frage durch den Raum, ob die Welt insgesamt besser wäre, wenn sie sich gelegentlich mal bei der Münchner Polizei meldete. Noch interessanter ist aber die Frage, was nun aus all den herrlichen Twitter-Unfällen werden soll, wenn der Kurznachrichtendienst, wie er am Dienstag ankündigte, künftig einen "Edit"-Button bekommt. Nach einer Testphase sollen die Nutzer erstmals Tweets nachträglich ändern können.

Es wäre das Ende einer Ära, fast müsste man sagen: ein Edit einer Ära. Soll es etwa als ein jugendlich-naiver Irrtum in die Geschichte des sozialen Internets eingehen, dass man einfach rausballert, was einem gerade einfällt, und dann steht das halt da? Posten ohne Handbremse und Rückwärtsgang, das ist der Geist, den das Vollgasmedium Twitter atmet. Typen wie Donald Trump oder Elon Musk, die weder ihre Meinung noch ihre Tweets gern ändern, lieben es.

Schlecht für die Demokratie, aber leider witzig

Ganz anders tickt die laut eigener Erklärung "nicht toxische" Plattform WT.Social, ein Projekt des Wikipedia-Gründers Jimmy Wales. Die Nutzer können dort nicht nur die eigenen, sondern auch fremde Beiträge editieren. Kein Post ist je fertig, jeder ergänzt jeden, statt dem anderen zu widersprechen. Meinung wird auf WT.Social nicht als Privatbesitz angesehen, sondern kollektiviert.

Ist Twitters Kurswechsel nun Vorbote einer solchen Welt - einer Welt, in der es wieder schick wird, an seiner Meinung zu feilen, statt sie stur hinzuknallen, auf dass andere sich daran abarbeiten? Das zu glauben, wäre sehr optimistisch. Das wandelnde Twitter-Pulverfass Elon Musk hat jüngst 9,2 Prozent der Twitter-Aktien gekauft. Er wird seine Tage wohl nicht in schmerzhafter Selbstreflexion über dem Edit-Button brütend zubringen. Musk soll außerdem Teil des Vorstands werden, wird also wohl seine Spuren hinter den Kulissen seines Lieblingsnetzwerks hinterlassen. Der Edit-Button scheint aber trotzdem fest im Plan zu stehen. Etwas wird mit ihm verloren gehen.

Auf Twitter, das sollte man in diesem Zusammenhang noch mal anführen, geschieht ein Unfall nicht als eine bedauerliche Abweichung vom Normalgeschehen. Dass etwas schiefläuft und Dinge Funken stiebend aufeinanderprallen, wie bei einem Autounfall in Zeitlupe, wo Menschen erst gebannt danebenstehen, bis schließlich die Fernsehkameras kommen, alles in den Nachrichten und dann endgültig aus dem Ruder läuft - genau das ist Twitter. Es mag schlecht für die Demokratie sein und die Welt zugrunde richten. Aber es ist manchmal halt auch echt witzig.

Zum Beispiel, als Professor Peter Doherty vom Peter-Doherty-Institut für Infektionen und Immunität in Melbourne einmal nach einem offensichtlich langen Arbeitstag die Öffnungszeiten einer auf Spirituosen spezialisierten Supermarktkette im Internet suchen wollte - sie aber versehentlich in das Feld zum Verfassen eines Tweets tippte und abschickte. "Dan Murphy opening hours". Doherty hatte den Nobelpreis gewonnen und sogar ein Buch mit dem deutschen Titel "So gewinnt man den Nobelpreis" geschrieben, hatte also schon einiges erreicht im Leben, aber einen so erfolgreichen Tweet zuvor nie verfasst. Doherty tat instinktiv das Richtige - er tat gar nichts. Er ließ den Tweet einfach stehen und schob als Erklärung "Zu viel Zeit vor dem Bildschirm" hinterher. Ein Nutzer postete die angefragten Öffnungszeiten der Supermarktkette. So geht souveräne Krisenkommunikation auf Twitter.

Wahrhaftig mächtig ist, wer nicht editiert

Denn auf der Plattform, die alles Radikale liebt, funktionieren nur die Extreme. Es muss entweder die humorig-drüberstehende Reaktion auf den eigenen Fehltritt sein - oder die reuige, aus dem US-Fernsehen bekannte Zerknirschung, die viel mit Beichte und Buße zu tun hat. Ein sogenannter "Transparenztweet" samt Entschuldigung muss her, wenn man einen Tweet gelöscht hat, für den man eins auf den Deckel bekommen hat. Weil ein Statement auf Twitter nicht nachträglich zurechtgebogen, sondern nur durch ein anderes ergänzt werden kann, muss die Geschichte nach einem Fehltritt weitergehen. Die Folge ist ewiges Diskussionswachstum.

Die eigene Gegenwart ist unveränderlich festgehalten, verfolgt einen als Gespenst aus 280 Zeichen. Man hat sich damit auseinanderzusetzen. Der fehlende Edit-Button ist, wenn man so will, eine Miniatur des Internets insgesamt, wo fast alles irgendwo gespeichert bleibt, um irgendwann als Problem wiederzukehren. Wahrhaft mächtig ist, wer, wie Donald Trump, zum Beispiel über die Presse schreiben kann: "Despite the constant negative press covfefe" - und das dann einfach so stehen zu lassen. Ende der Durchsage. "covfefe" ist ein Tippfehler, ein Unsinnswort. Wir alle sind es, die mit diesem Unsinn leben müssen, nicht der Verfasser.

Trump, der auf Twitter inzwischen gesperrt ist, baut an seinem eigenen, kürzlich gestarteten sozialen Netzwerk. Es heißt Truth Social, man schreibt dort keine Tweets, sondern "Truths", Wahrheiten. Einen Edit-Button für diese Wahrheiten gibt es nicht.

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