Schiffbruch:Regenwasser, roher Fisch und sehr viel Glück

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"Ich brauche einfach Ruhe und gutes Essen": Tim Shaddock nach seiner Rettung. (Foto: AP/AP)

Segler Tim Shaddock überlebte drei Monate auf dem offenen Meer, fast ohne Essen. Wie er das geschafft hat - und was ein Mediziner dazu sagt.

Von Veronika Wulf

Roher Fisch, Regenwasser und sehr viel Glück. Dank dieser Dinge hat Tim Shaddock wohl unglaubliche drei Monate auf dem offenen Meer überlebt. Der australische Segler war im April im mexikanischen La Paz mit seinem Katamaran Aloha Toa aufgebrochen und wollte eigentlich Tausende Kilometer nach Französisch-Polynesien segeln. Doch nach wenigen Wochen geriet er in einen Sturm, die Bordelektronik fiel aus. Der Helikopter eines mexikanischen Thunfischfängers fand das treibende Schiff schließlich, 2200 Kilometer von der Küste entfernt. "Ich brauche einfach Ruhe und gutes Essen", sagte der ausgemergelte Mann mit dem grauen Bart nach seiner Rettung. Er sei in erstaunlich guter Verfassung, zitierten Medien einen Arzt, der Shaddock untersucht hatte.

Immer wieder überleben Schiffbrüchige fast ohne Nahrung auf See. Anfang des Jahres hielt der Dominikaner Elvis Francois 24 Tage auf dem Karibischen Meer aus - nach eigener Aussage nur mit einer Flasche Ketchup, Knoblauchpulver, Brühwürfeln und Regenwasser, das er mit einem Lappen auffing.

2010 wurden drei Teenager nordöstlich der Fidschi-Inseln aus dem Meer gefischt, die 50 Tage auf See von Kokosnüssen, einer rohen Möwe und Regenwasser gelebt hatten.

Einer der bekanntesten Schiffbrüchigen ist José Salvador Alvarenga, ein Fischer aus El Salvador, der 14 Monate lang in seinem Boot auf dem Pazifik umher trieb, bevor er 2014 gerettet wurde. Auf seinem Speiseplan standen Berichten zufolge ebenfalls roher Fisch, Schildkröten, kleine Vögel, dazu Regenwasser und Urin.

Tim Shaddock mit einem Blutdruckmessgerät. Er sei in erstaunlich guter Verfassung, zitierten Medien einen Arzt. (Foto: AP/AP)

Der nun gerettete Tim Shaddock, 54, hat Erfahrung mit wenig Nahrung - wenn auch aus ganz anderen Gründen. Anfang der 2000er-Jahre habe er eine radikale Rohkostdiät gemacht, um seinen Darmkrebs zu bekämpfen, sagte Shaddock 2013 in einem Interview. "Ich erinnere mich, dass ich einmal mehr als drei Monate lang ausschließlich von grünem Gemüsesaft gelebt habe." Experten warnen eindringlich vor solchen vermeintlichen Behandlungsmethoden. Für eine Krebsheilung rein durch eine Ernährungsumstellung gibt es keine wissenschaftlichen Belege.

"Das Hauptproblem in so einer Situation besteht erst mal darin, Flüssigkeit zu bekommen"

Auf hoher See jedenfalls war der rohe Fisch für Shaddock überlebenswichtig. Hanns-Christian Gunga, Physiologe an der Charité Berlin, hält es für realistisch, dass der Schiffbrüchige monatelang nur rohen Fisch aß. "Er muss aber vor allem genug getrunken haben, auch um die Abbauprodukte der hohen Proteinzufuhr durch den Fisch wieder auszuscheiden", sagt Gunga, der die physiologischen und psychischen Belastungen des Menschen in extremen Umwelten erforscht. "Das Hauptproblem in so einer Situation besteht erst mal darin, Flüssigkeit zu bekommen." Denn der Mensch verdurstet, bevor er verhungert.

Gunga spricht von der berühmten Siebener-Regel: "Ein Mensch überlebt sieben Minuten ohne Sauerstoff, sieben Tage ohne Wasser und sieben Wochen ohne Nahrung." Diese grobe Grundregel hänge aber von vielen Faktoren ab. "Bei 37 Grad in der Wüste von Arizona wären Sie ohne Wasser schon nach zwei Tagen tot." Der Mensch könne maximal 15 Prozent seines Körpergewichts an Flüssigkeit verlieren, schwierig werde es aber schon bei fünf Prozent, gefährlich bei zehn Prozent. Shaddock tat also gut daran, sich an Bord vor der Sonne zu schützen.

Beim Hungern kommt es darauf an, wie viele Reserven man hat. "Wenn Sie mehr als zehn Kilogramm Fett haben, was jetzt auch nicht ungewöhnlich ist, dann können Sie auch länger als sieben Wochen überleben", sagt Gunga. Zehn Kilogramm Fett entsprechen 100 000 Kilokalorien, beim Verbrauch eines Erwachsenen von 2000 am Tag reicht das 50 Tage, also sieben Wochen. "Allerdings geht der Gesamtstoffwechsel im Hungerzustand runter, da brauchen Sie dann weniger Kalorien am Tag." Nach dem Fett wird noch die Muskelmasse abgebaut. "Das mit dem Verhungern dauert also."

Erforschen lässt sich das natürlich nur schwer. Mahatma Gandhi hungerte 21 Tage, der inhaftierte Bürgermeister von Cork, Terence MacSwiney, starb 1920 am 74. Tag seines Hungerstreiks, seine Mitstreiter hielten 20 Tage länger durch. Doch psychologisch sei ein Notfall wie ein Schiffbruch etwas ganz Anderes, sagt Gunga. "Das ist eine maximale Stresssituation, da kann es durchaus schneller gehen, und Leute kommen auf seltsame Gedanken." Als 1884 die englische Segelyacht Mignonette am Kap der guten Hoffnung kenterte, diskutierte die Crew schon nach zehn Tagen, wer sich opfern könnte, als Nahrung für die anderen. Einige Tage später wurde der Kabinenjunge verspeist.

Den Australier Shaddock hat vielleicht auch seine Hündin Bella vor dem Durchdrehen bewahrt. Auch sie wurde lebend gerettet. Manchmal ist eine Gefährtin eben mehr wert als Nahrung.

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