3614 Menschen im Nordwesten Spaniens genießen ein besonderes Privileg. Sie verfügen über eine Erlaubnis namens PE401B, ausgestellt von der Regionalregierung von Galicien. Diese gestattet ihnen, "zu Fuß zu fischen". Gemeint ist, die Strände der Region abzulaufen und mit Harke und bloßen Händen Muscheln aus dem Schlick zu ernten.
Die meisten der maritimen Erntehelfer sind Frauen, die sich damit ein Zubrot verdienen. Was die Mariscadoras zutage fördern, ist in ganz Spanien höchst begehrt: Dabei geht es nicht um Miesmuscheln, sondern um die viel kleineren Varianten Berberechos (Herzmuscheln) und Almejas (Venusmuscheln). Letztere ähneln den italienischen Vongole, Erstere sehen wegen ihrer geriffelten Schale eher aus wie Miniaturversionen der Jakobsmuschel.
Für beide Varianten gilt: Sie sind herrlich schmackhaft und aus einem spanischen Festmahl kaum wegzudenken, schon gar nicht an Weihnachten. Doch mit dem Wegdenken können viele Spanier in diesem Jahr schon mal beginnen. Denn in Galicien ist die große Almeja- und Berberecho-Krise ausgebrochen. Die Frauen an den Stränden finden zwar tonnenweise Schalen, aber die meisten Tiere sind tot. Die Ernte betrug in diesem Herbst laut der Online-Zeitung El Confidencial nur ein Viertel des Durchschnitts der vergangenen zehn Jahre.
Hauptursache war nach Angaben der örtlichen Fischereiverbände eine Abfolge heftiger Niederschläge im Spätherbst. Dabei ist so viel Regen gefallen, dass sich der Salzgehalt des Meerwassers verringert hat, was den heimischen Mollusken nicht guttut. Mehrere Flüsse Galiciens spülten Unmengen Süßwasser in die Rías Baixas, die von Stränden gesäumten Flussmündungen, die sich weit ins Landesinnere erstrecken. "Es gab Stellen, wo der Salzgehalt auf null fiel", beklagt der Präsident des Fischereiverbands der Provinz Pontevedra, José Manuel Rosas Otero.
Die anschwellenden Flüsse wuschen auch viele heranwachsende Muscheln aus dem Sand. Es gab Versuche, die unreifen Weichtiere zurück ins Meer zu befördern, damit sie auswachsen können, aber das war ein Kampf gegen die Fluten. In der zweiten Novemberhälfte wurden mehrere Rías gesperrt, um sie für die Weihnachtsernte zu schonen. Danach fanden die Muschelsammlerinnen zwar wieder mehr Beute, aber die ihnen zustehende tägliche Quote von sechs Kilo schafften sie kaum.
"Zwei Wochen Schließung können die Situation auch nicht retten", sagt Rosas Otero. Das Ganze sei "eine Katastrophe riesigen Ausmaßes", beklagt er, an manchen Stränden habe man nur ein Zehntel der üblichen Menge Venusmuscheln gefunden. "Viele Familien hängen von den Meeresfrüchten ab." Eine menschengemachte Umweltverschmutzung sei in diesem Fall nicht die Ursache. Die Regierung müsse das nun betrachten wie eine Naturkatastrophe, fordert der Verbandschef, "so wie den Vulkanausbruch auf La Palma". Auch für Galicien brauche es jetzt ein Hilfspaket.
Ausgerechnet der anderswo vermisste Regen führt nun in Galicien zu Endzeitstimmung unter den Muschelsammlerinnen und womöglich zu leeren Weihnachtstellern in vielen Haushalten. Das erste ist ein existenzielles Problem, letzteres aber doch eher nur ein Bruch mit einer lieb gewordenen Gewohnheit.