BGH-Urteil:Zigarettenverkauf nur mit Schockbildern

Lesezeit: 2 min

Seit 2016 werden Zigarettenpackungen nur noch mit den sogenannten Schockbildern verkauft. (Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Tricksereien mit Warnhinweisen sind jetzt verboten: Auch auf Auswahltasten von Zigarettenautomaten müssen die Bilder von zerfressenen Lungen zu sehen sein, urteilt der BGH. Wie wirksam sind solche Schockbilder überhaupt?

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Europäische Union ist fraglos eine wunderbare Erfindung. Aber seit sie den Verbraucherschutz als Politikfeld entdeckt hat, fragt man sich gelegentlich, welches Menschenbild eigentlich hinter manchen dieser Regeln steckt. Seit der Renaissance schreiben Philosophen über die Willensfreiheit des Menschen. Doch in Brüssel wurde vor bald zehn Jahren verfügt, ihn mit Schockbildern von grässlichen Karzinomen vom Rauchen abzuhalten. Hält die EU ihre Bürgerinnen und Bürger also für unfähig, eine vernunftgesteuerte Entscheidung über den Umgang mit der eigenen Gesundheit zu treffen? Und, ein noch schlimmerer Verdacht: Hat sie damit womöglich recht?

Damit nach Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat an diesem Donnerstag eine allzu offenkundige Trickserei mit den Schockfotos untersagt. Ein Münchner Supermarktbetreiber hatte in seinen beiden Läden Zigarettenautomaten aufgestellt, die nicht die entstellten Packungen zeigten, sondern Wahltasten mit nachgeahmten Bildern im Design der jeweiligen Marke. Nur halt ohne zerfressene Lungen.

Was bewirken die Schockbilder überhaupt?

Dagegen hatte die Organisation "Pro Rauchfrei" geklagt und einen gesteigerten juristischen Klärungsbedarf ausgelöst. Zweimal war das Verfahren beim Europäischen Gerichtshof, dreimal beim BGH, der nun das letzte Wort sprach. Es lautet: So einfach lässt sich der fein ziselierte Schutzmechanismus nicht aushebeln. Wer Zigarettenpackungen auf den Automatentasten nachbildet, muss dort auch den Warnhinweis anbringen. Denn erlaubt ist der Zigarettenverkauf eben nur, wenn er in diese paradoxe Bildsprache eingebettet ist: Die Packung sendet an den potenziellen Kunden einen Kaufimpuls, den der Warnhinweis wieder unterdrücken soll.

Womit man bei der Frage ist, was die Schockbilder überhaupt bringen. Nachdem 2016 die EU-Vorgaben zu den Warnhinweisen in deutsches Recht umgesetzt worden waren, hat sich der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags einmal die weltweite Studienlage angeschaut. Er hat damals eine wahre Fülle von Untersuchungen und Metastudien entdeckt, man durfte also hoffen, etwas über Wirksamkeit von Warnungen zu erfahren.

Krank, denkt der Raucher, werden immer nur die anderen

Das Resultat ist allerdings eher ernüchternd. Die Universität von North Carolina zum Beispiel hatte 32 Studien aus 20 Ländern verglichen. Gerade die Schockbilder schärften das Bewusstsein für die Schwere der Erkrankungen, hieß es dort. Das klang gut, wurde aber sogleich entwertet durch eine typische Verdrängungsreaktion. Nicht gestiegen war nämlich das Bewusstsein, dass man selbst solche Krankheiten kriegen könnte. Krank, denkt der Raucher, werden immer die anderen. Ähnlich uneindeutig blieb eine Langzeitstudie aus Kanada. Als dort bereits vor gut 20 Jahren die Schockbilder eingeführt wurden, stieg zunächst die Zahl der Entwöhnungsversuche - um dann wieder einzubrechen. Ein Rückfall, wie ihn jeder Raucher, jede Raucherin kennt.

Unter dem Strich ließ sich immerhin feststellen, dass mit den Warnhinweisen das Risikobewusstsein zugenommen hat. Und dass eine Änderung des Verhaltens vermutlich viele Ursachen hat, von der gesellschaftlichen Ächtung des Rauchens bis zu den gestiegenen Preisen. Und bis zu den Automaten in zwei Münchner Supermärkten, die nun ihre Wahltasten neu designen müssen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSucht
:Was gegen Nikotinsucht hilft

Nur wenigen Rauchern gelingt es, vom Tabak zu lassen. Mit Arzneimitteln fällt es vielen leichter. Eine große Analyse zeigt, welche am besten abschneiden.

Von Christina Berndt

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: