SZ-Kolumne "Mitten in ...":Blanker Bahnsinn

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Warten auf Godot? Ist längst nicht so anspruchsvoll wie Warten auf den Anschlusszug. Ein SZ-Autor fühlt sich auf seiner Reise wie in einem absurden Drama. Drei Anekdoten aus aller Welt.

Mitten in ... Hannover

(Illustration: Marc Herold) (Foto: N/A)

End- und sinnloses Warten, rätselhafte Mono- oder Dialoge: Wer absurde Dramen mag, kann sich im Theater Stücke von Eugène Ionesco oder Samuel Beckett anschauen - oder mit der Deutschen Bahn fahren. Aus Durchsagen und kryptischen Infos der DB-Navigator-App ließe sich ein nihilistisches Dada-Stück zusammenstellen, Titel: "Verzögerung im Betriebsablauf", bestehend aus den Akten 1 bis 4: "umgekehrte Wagenreihenfolge", "Warten auf Personal aus verspäteter Vorleistung", "Personen im Gleisbett", "Anschlussverlust". Der vorläufige Höhepunkt des Dramas ist in Hannover erreicht. Dort meldet die App als Grund für den Stillstand: "Warten auf ein verspätetes Schiff." Warum? Falsche Frage, man muss so etwas als surreale Poesie hinnehmen. Wie schrieb Ionesco? "Wer sich an das Absurde gewöhnt hat, findet sich in unserer Zeit gut zurecht." Titus Arnu

Mitten in ... Prag

(Illustration: Marc Herold) (Foto: N/A)

Er steht in vermutlich jedem tschechischen Küchenregal und kommt auch im Café auf den Tisch: der Medík, der Honigbär. Sein Aussehen ist seit dem Sozialismus unverändert, er trägt ein Hemd mit Kragen, einen Honigtopf vor dem Bäuchlein und einen spitzen, gelben Hut auf dem Kopf, aus dem der Honig fließt. Nur einen Fehler hat der Kleine: Für den Transport im Handgepäck beim Fliegen sind seine 250 Gramm zu viel. Der Sicherheitsbeamte erkennt ihn beim Durchleuchten sofort: Haben Sie da ein Honigbärchen? "Ja, wissen Sie, die gibt es doch nur in Tschechien." Der Bär wird in eine Maschine gelegt, durchgeschüttelt, auf Sprengstoff geprüft. Dann steckt der Sicherheitsmann ihn wieder in die Plastiktüte und legt ihn behutsam zwischen Pullover und Laptop zurück in die Reisetasche. Er versucht es mit einem strengen Blick: "Aber nur ausnahmsweise." Viktoria Großmann

Mitten in ... München

(Illustration: Marc Herold) (Foto: N/A)

Ein Spielplatz in München-Giesing, und mindestens genauso hell wie die Sonne strahlt es aus diesem Sack heraus. Zwei Jungs, sechs, vielleicht sieben Jahre alt, schleppen ihn durch den Sand, darin: Flummis und noch mehr Flummis, in Neongelb, Neongrün, Neonorange, Neonlila. Der Zweijährige windet sich aus der Schaukel, an Spielen ist nicht mehr zu denken, nicht, bevor er nicht auch so einen Flummi hat. "Was kosten die denn?", fragen wir. "Einen Euro", antworten die Jungs. Also gut, wir nehmen zwei, einmal grün, einmal lila. Moment, nur noch eine Frage: Was macht ihr denn mit dem Geld? Spenden? Eis kaufen? Taschengeld aufbessern? Nichts von alldem. "Davon kaufen wir noch mehr Flummis, damit wir noch mehr verkaufen können und noch mehr Geld verdienen." Wir lernen: Der Kapitalismus ist überall, auch auf dem Spielplatz. Benedikt Peters

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