Berufungsprozess im Fall Boateng:"Presse waren die nicht"

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Vor zwei Wochen kam Jérôme Boateng mit Bodyguards zum Berufungsprozess. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Der Richter befragt eine Augenzeugin zu den Vorwürfen gegen Jérôme Boateng. Doch die stockt immer mehr, erzählt, dass sie Angst habe. Sie sei vor dem Gebäude gefilmt worden - von den Bodyguards des Angeklagten.

Von Lena Kampf und Jana Stegemann

Die Augenzeugin wirkt zunehmend verunsichert und aufgewühlt, während sie vom Richter befragt wird, gibt häufiger an, sich nicht mehr genau erinnern zu können. "Ich habe Long Covid und leide daher unter heftigen Erinnerungslücken."

Aber da ist wohl auch noch etwas anderes passiert, am Freitagmorgen vor dem Gericht. Sie habe Angst, sagt die 30-Jährige auf die Frage, wie es ihr heute gehe. Sie sei vor ihrer Aussage draußen vorm Gerichtsgebäude von zwei Männern gefilmt worden. "Ich weiß nicht, wieso. Presse waren die nicht." Ihre Stimme bricht. Sie lasse sich nach ihrer Aussage abholen, sagt sie. "Da hat man einfach Angst, dass man bedroht wird oder seine Familie bedroht wird."

Ob diese Männer heute im Gerichtssaal sind, fragt der Richter. Die Frau schaut sich um, schüttelt mit dem Kopf. Minuten später erkennt sie sie dann doch. Es sind Jérôme Boatengs Bodyguards. Die Staatsanwältin beantragt, die Verhandlung zu unterbrechen und die Personalien der beiden Männer feststellen zu lassen.

Zu dem Zeitpunkt ist die Augenzeugin schon knapp eine Stunde lang im Schwurgerichtssaal des Oberlandesgerichts München befragt worden, es geht um den Karibikurlaub mit Jérôme Boateng im Jahr 2018. Bei dem Trip soll der Profifußballer seine Ex-Freundin Sherin S. mit einer Glaslaterne beworfen, ihr ins Gesicht geschlagen, in den Kopf gebissen und sie angespuckt und beleidigt haben. In erster Instanz war er für einen Faustschlag ins Gesicht von Sherin S. zu einer Geldstrafe in Höhe von 1,8 Millionen Euro verurteilt worden. Die Zeugin ist eine Freundin von Sherin S.

Eine Einigung lehnt Boatengs Anwalt erneut ab

Wie auch schon beim ersten Prozess vor dem Amtsgericht lässt sich Boateng von drei bulligen Männern in dunkler Kleidung begleiten. Nicht nur den kurzen Weg vom dunklen Van ins Gericht geht Boateng mit Begleitschutz, auch in jeder Prozesspause wird der 1,92 Meter große Fußballer von zwei Männern abgeholt und aus dem Saal gebracht.

Ließ Boateng sich im ersten Prozess noch von einem Anwalt vertreten, hat er für den Berufungsprozess aufgerüstet. Nun sitzt er zwischen vier Juristen, zwei Verteidigern, seiner Familienrechtsanwältin und einer Referendarin, die nur zum Mitschreiben abgestellt wurde, auf der Anklagebank. Ein durchaus einschüchterndes Szenario für Zeugen.

Boatengs Verteidiger Peter Zuriel gibt sich Mühe, die Situation aufzuklären. Bei den Männern, die gefilmt haben, handle es sich um Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes. Diese "eruierten das Umfeld von Herrn Boateng, schauen, wie viel Presse da ist", dafür würden sie auch filmen, um diese Aufnahmen in ihre Zentrale zu schicken, "wo die Sicherheitslage bewertet" werde. Die Augenzeugin sei nicht Ziel der Aufnahmen gewesen, "sie ist nur zufällig ins Bild geraten und auch nur von hinten zu sehen", so Zuriel.

Auf SZ-Anfrage teilte eine Gerichtssprecherin mit, dass dem Gericht nicht bekannt sei, dass eine private Sicherheitsfirma auf dem Gerichtsgelände filme. Die Staatsanwaltschaft werde prüfen, inwieweit diese Filmaufnahmen erlaubt seien.

Zu Beginn des zweiten Verhandlungstages im Berufungsprozess hatte der Vorsitzende Richter Boateng erneut gefragt, ob er über eine Einigung und damit drastische Verkürzung des Prozesses "geschlafen und nachgedacht" habe. "Nur geschlafen", antwortete Boatengs Anwalt. Eine Einigung komme für den Fußballer nicht in Frage - und so geht die mühsame Beweisaufnahme am 2. November weiter.

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