Italien:"Ich dachte, Europa sei besser als Nigeria"

Auch Blessing kam über Niger und Libyen nach Italien, zuerst nach Sizilien. Den Namen der Stadt hat sie vergessen. Ihre Haare sind zu Zöpfen gebunden. Blessing ist Friseurin. "Ich dachte, Europa sei besser als Nigeria - wenigstens das, besser als Nigeria", sagt sie und lacht. "More okay." Manchmal stottert Blessing beim Reden, immer nur kurz, zum Beispiel wenn sie über ihre kranke Mutter spricht, der sie die Reise verschwiegen habe, die sie einfach zurückließ. Oder wenn sie von ihren Ängsten auf dem "Lampa Lampa" spricht. "Wir weinten", sagt sie, "alle weinten wir." Hope sagt zu Blessing, sie solle mal einen Punkt machen, sie quassle zu viel. Sie lachen, zum Glück haben sie einander.

Für die Frauen, die ihren Peinigern davonlaufen, sagt die Betreuerin Castelli, sei der schwierigste Moment der erste Anruf nach Hause, nach Nigeria. Es sitzen dann immer eine kulturelle Vermittlerin und eine Psychologin dabei. "Was man da hört, ist ein Skandal", sagt Castelli. Manchmal seien die Eltern dermaßen enttäuscht, dass die Tochter weggelaufen sei, dass sie sie auffordern, sofort zurückzugehen.

Und dies, obschon die Töchter erzählen, was man ihnen alles antut. Oft heiße es dann am anderen Ende, sie habe keine Wahl, die Mutter sei nämlich plötzlich krank geworden, der Vater liege im Sterben, man werde bedroht von den Leuten, die die Reise organisiert hatten. Und von den Geistern.

Der "Juju", sagt Castelli, habe eine ungeheuerliche Macht über die Mädchen. "Bevor ich es nicht mit eigenen Ohren gehört hatte, wie sie untereinander darüber sprechen, hielt ich die Geschichte für übertrieben." Der Schwur ist ein Käfig. Viele trauen sich erst dann, von ihren "Madames" wegzulaufen, wenn sie ihr Pfand gefunden haben und es ihr entreißen können.

Castelli holt jetzt eine Kartonschachtel aus ihrem Büro, die bei einem Prozess gegen Menschenhändler zur Verhandlung kam. Es ist die Verpackung eines Handys von Nokia. Ein halbes Dutzend gefalteter A-4-Blätter liegt darin, jedes mit einem Namen drauf. Eingewickelt in den Blättern: Kopfhaare, Schamhaare, braune Fingernägel, Wattebäusche mit Blut und Rasierklingen, die beim Ritual dienten. Doch ob das schon reicht, um die Geister zu besänftigen?

Pro Jahr trauen sich nur ungefähr zehn Frauen, von der "Bonifica" wegzulaufen. Zehn von Hunderten. Weg vom Lagerfeuer in "Europe-a".

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