Prostitution:"Das ist ein Zwangsouting"

Seit einem halben Jahr gibt es das Prostituiertenschutzgesetz. Die tantrische Domina Kristina Marlen fühlt sich an die Hurenkartei der 30er Jahre erinnert - einige Kolleginnen hätten deshalb bereits den Job aufgegeben.

Ein Altbau irgendwo in Berlin-Neukölln. Auf dem Platz vor dem Haus halten Kinder Stockbrote übers Feuer. Im vierten Stock verwehren schwere Vorhänge den Blick auf Bambusstangen, die unter der Decke hängen, auf Peitschen, Seile und Dildos. Geschätzt 200 000 bis 400 000 Prostituierte gibt es in Deutschland. Auch Kristina Marlen verdient ihr Geld mit Sex. 90 Minuten kosten bei ihr 250 Euro. Als tantrische Domina gehört sie zur Elite der Sexarbeiterinnen. Hier erzählt die 40-Jährige, warum sie seit Jahren viel Energie in den Kampf gegen das neue Prostituiertenschutzgesetz gesteckt hat, das vor einem halben Jahr in Kraft getreten ist und ab Januar auch Bußgelder für Prostituierte vorsieht:

"Der Mann ist der Aggressor, die Frau das Opfer - das ist die Vorstellung, die die meisten Deutschen im Kopf haben, wenn von Prostitution die Rede ist. Mit der Realität hat das aber oft wenig zu tun. Natürlich gibt es auch Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden oder Arbeitsplätze mit unterirdischen Bedingungen. Aber es gibt eben auch sehr viele, die diesen Job einfach lieber machen, als Essen auf Dilveroo-Rädern auszufahren.

Und die Freier sind auch nicht immer männlich: 40 Prozent meiner Kunden sind inzwischen Frauen! Selbstbewusste, gut gebildete Frauen, die es einfach leid sind auf der Klaviatur ihres Sexuallebens immer nur dieselben fünf Töne zu spielen. Nach dem neuen Prostituiertenschutzgesetz muss sich jeder, der mit Sex Geld verdient, registrieren lassen - mit seinem Klarnamen und Foto. Das ist ein Zwangsouting - und so lange Prostitution einem solchen Stigma unterliegt, sogar gefährlich für uns.

Keiner weiß so recht, was mit den Daten passiert: Bekommen wir jetzt Post von der Behörde nach Hause? Ist das Sorgerecht für die eigenen Kinder in Gefahr? Können die Daten leicht gehackt werden? Ich kenne einige Kolleginnen, die deshalb aufhören. Aus meiner Sicht ist das neue Gesetz kein ProstituiertenSCHUTZgesetz, sondern ein ProstitutionsVERHINDERUNGSgesetz.

Eine Hurenkartei gab es das letzte Mal in den 1930er Jahren! Und zu glauben, dass sich irgendeine Zwangsprostituierte bei der nun obligatorischen Beratung outen würde, ist sowieso völlig utopisch. Wir wollen nicht gerettet werden. Wir wollen Anerkennung und Respekt. Und Rechte!"

Warum manchen das Gesetz trotzdem nicht weit genug geht, und es in einigen Bundesländern auch ein halbes Jahr nach der Einführung noch nicht umgesetzt wird, lesen Sie in der Seite-Drei-Reportage "Außer Kontrolle".

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