Ilan Stephani:"Ich habe im Puff keinen Mann erlebt, der sich wie ein Gewinner gefühlt hat"

Zwischen Klischee und Kriminalität

Ilan Stephani arbeitet heute als Körpertherapeutin in Berlin.

(Foto: dpa)

Ilan Stephani hat zwei Jahre lang neben ihrem Philosophiestudium als Prostituierte in einem Berliner Bordell gearbeitet. Sie ist sich sicher: Hinter dem ewigen Macho mit dem Ständer steckt nicht nur Biologie, sondern viel Konditionierung.

Interview von Ann-Kathrin Eckardt

Ilan Stephani, 31, sitzt in einem Café in Berlin-Kreuzberg und trinkt Weißen Tee. Sie trägt Leggins, über die langen dunkelblonden Haare hat sie eine rosa Mütze gezogen. Niemand würde vermuten, dass ausgerechnet diese ungeschminkte Frau zwei Jahre lang in einem Wohnungsbordell als Prostituierte gearbeitet hat. Freiwillig, wie sie betont. Über diese Zeit hat sie ein Buch geschrieben: "Lieb und teuer - Was ich im Puff über das Leben gelernt habe". Heute arbeitet sie als Körpertherapeutin in Berlin und hat einen eigenen Podcast: "Yoni On Air".

SZ: Die Huren-Organisation Hydra schätzt, dass jeder zweite Mann in seinem Leben mindestens einmal für Sex bezahlt. Können Sie erraten, welche der Männer hier im Café schon mal im Puff waren?

Ilan Stephani: Nein. Wenn ich so rumsitze, ertappe ich mich zwar manchmal dabei, dass ich überlege, aber ich weiß aus eigener Erfahrung: Man sieht es den Männern nicht an.

Sie waren 19, als Sie neben dem Studium der Philosophie und Kulturwissenschaften angefangen haben, als Paula in einem Wohnungsbordell zu arbeiten. Welche Männer kamen zu Ihnen?

Wegen des Preisniveaus eher nicht die ganz Armen. Eine halbe Stunde bei Paula kostete 80 Euro. Aber manche haben mir auch erzählt: Ich habe ganz lange gespart. Ansonsten alle Typen und Altersklassen, von 18 bis 80.

Was wollten die Freier von Ihnen?

Sonderwünsche gab es selten. Ein Mann ging zum Beispiel in den Himmel dafür, dass ich mit den Füßen über seinen Bauch ging. Ansonsten habe ich viel geredet. Männer kommen mit einer immensen seelischen Bedürftigkeit in den Puff. Ich habe mich mehr um die Psyche gekümmert als um den Penis. Mit etwa 30 Prozent der Freier hatte ich gar keinen Sex.

Was haben Sie den Männern denn erzählt?

Eine Kollegin sagte mal: Unser Job ist es, eine halbe Stunde NICHT zu sagen, was wir denken. Das stimmt. Natürlich war ich immer auf der bestätigenden Seite. Der Mann bekommt recht. In dem Sinne ist Prostitution sehr patriarchal. Die Männer kaufen sich Bestätigung, psychische und sexuelle.

Und Macht.

Dieser Gedanke wird von Hollywood, von Filmen wie "Fifty Shades of Grey" und so weiter flächendeckend in uns reininjiziert. Der Mann, der nicht die Frau fragt, bevor er sie nimmt, die wehrlose Frau, die durchgevögelt wird - das ist die kollektive Sexphantasie.

Und die hat mit der Realität nichts zu tun? Die ganze Welt empört sich gerade über Harvey Weinstein und sein Verhalten gegenüber Frauen.

Ich bin die Letzte, die die sexuelle Gewalt von Männern gegen Frauen verharmlosen will. Ich will auch Weinstein nicht in Schutz nehmen. Aber ich bin mir sicher: Sein Verhalten ist in Wahrheit ein Kaschieren von Unsicherheit und Überforderung, wenn es um den körperlichen Kontakt zu Frauen geht.

Die Männer sind also eigentlich nicht so stark wie sie tun?

Patriarchat hört sich immer so an, als ob die Männer die Gewinner wären, aber ich habe im Puff keinen einzigen Mann erlebt, der sich wie ein Gewinner gefühlt hat. Sie fühlten sich abgehängt, verschämt, irgendwie unter Druck, wussten irgendwie auch nicht und hatten darauf gehofft, dass Paula ihnen beim Sex irgendwas wegmacht, damit sie sich auf ihre Arbeit, ihre Kinder und ihre Frau konzentrieren können.

Ist Ihnen das gelungen?

Temporär. Einer formulierte es mal so: Was willst du machen, 'ne halbe Stunde ist der Druck weg, dann ist er wieder da. Ich war als Hure nur die andere Käfigecke. Ich konnte das eigentliche Problem nicht lösen.

Es gibt Wissenschaftler, die sagen, der Trieb des Mannes sei eine moderne Erscheinung des 19. Jahrhunderts.

Es steckt auf jeden Fall nicht nur Biologie, sondern auch ein Haufen Konditionierung dahinter, wenn Männer sagen: Boah, ich muss jetzt unbedingt Sex haben. Männer haben gelernt, dass sie als sexistischer Macho leichter durchs Leben kommen, denn als feinfühliger Mann. Und sie haben gelernt, dass sie nur durch Sex Berührung bekommen. Auch dieses Gerede von "Zum Glück gibt es Huren, sonst würden noch viel mehr Ehen kaputtgehen oder Frauen vergewaltigt werden" ist Quatsch. In matriarchalen Gesellschaften gibt es keine Puffs und trotzdem nicht mehr Vergewaltigungen.

Was haben Sie im Puff sonst noch über Sex gelernt?

Die sexuelle Not des Mann ist ein echtes Problem unserer Gesellschaft.

Was meinen Sie damit?

Auf jeden Fall nicht den Boah-ich-muss-jetzt-Druck. Über weibliches sexuelles Elend auf dieser Welt - Vergewaltigungen, ewiges Lächeln und Mitspielen - darüber reden wir. Über die taubstumme männliche Sexualität sprechen wir nicht. Selbst Männer wissen nicht, was sie verpassen. Ich habe im Puff oft erlebt, dass die Befriedigung der Frau für die Männer über dem eigenen sexuellen Erleben stand.

Verändern sich Männer, wenn sie durch die Tür eines Puffs gehen?

Nein. Ich bin mir zwar sicher: Die meisten Männer, die zum ersten Mal in den Puff gehen, wollen endlich mal das machen, was sie schon immer machen wollten. Aber dann geht die Tür auf und sie dürfen keinen Schritt ohne eine Frau tun. Sie müssen sich ins Wartezimmer setzen, dann stellen sich vielleicht zwei Frauen vor und eine dritte schaut noch schnell in Turnschuhen rein, weil sie gerade erst zur ihrer Schicht gekommen ist. Viele Männer wollen dann zu der Frau mit den Turnschuhen. Die Auserwählte führt den Mann ins Bad. Er muss duschen und klingeln, wenn er fertig ist. Die Frau bringt ihn aufs Zimmer. Wenn ich dann gefragt habe, "Wie geht's dir?", war die Antwort fast immer: "Ich bin aufgeregt." Das reale Erleben der Freier war nicht "geil, ich, die Sexbombe", sondern "Hilfe, ich kenn sie nicht und ich bin nackt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: