In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: ein Busfahrer, eine Polizistin, ein Stotterer, eine Kassiererin, ein Zahnarzt. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt die Sexarbeiterin Ramona D. aus ihrem Alltag.
Glaubt ihr auch, dass alle Prostituierten sofort etwas anderes machen würden, wenn sie könnten? Das stimmt nicht. Wir müssen auch nicht gerettet werden, wir wissen schon selbst, was gut für uns ist. Als freiberufliche Escortdame bin ich selbstbestimmter als viele andere Frauen.
Ich mache diesen Job seit 18 Jahren - meistens gerne. Ich war früh sexuell aktiv, hatte Freude daran und war immer offen für alles. Deswegen dachte ich mir irgendwann, ich könnte auch Geld dafür nehmen. Mit einem normalen Job kam ich ohnehin nie klar. Ich will keinen Chef haben, der mich herumkommandiert und bevormundet.
Allerdings ist es schon etwas anderes, ob man zum Vergnügen Sex hat oder als Beruf. Ich begann auf dem Straßenstrich, wo eine Prostituierte jeden nehmen muss, der daherkommt. Schnell hatte ich einen Zuhälter, es war der Klassiker: Ich hatte mich verliebt, zunächst war der Typ mein Freund, später dann hat er mich verkauft, geschlagen und eingesperrt - ist mir nicht nur einmal passiert. Mit Hilfe eines befreundeten Hotelbesitzers konnte ich abhauen. Ich fand einen Job in einem Nachtclub auf Sylt. Das war eine tolle Zeit und ich habe gut verdient. Sehr gut sogar.
Diese Zeiten sind leider vorbei, als Prostituierte kann man nicht mehr reich werden. Die Bedingungen sind schlecht, die Preise fallen und die Freier verlangen immer mehr. Vorspiel ohne Kondom ist inzwischen fast Standard, Analsex auch. Vor zehn, 15 Jahren haben das nur wenige Frauen angeboten und dafür dann richtig viel Geld genommen. Weil ich nicht bereit bin, das zu machen, arbeite ich nicht mehr im Bordell. Heutzutage bediene ich nur noch langjährige Stammkunden, weil ich mir aussuchen will, mit wem ich ins Bett gehe und was ich anbiete.
In all den Jahren habe ich eine gute Männerkenntnis entwickelt und habe immer häufiger gesagt: Nein, mit dir nicht. Bei ungepflegten Männern zum Beispiel. Ihr könntet schon duschen, bevor ihr in den Puff geht! Schließlich wollen wir uns ja körperlich näherkommen. Bei anderen Freiern sehe ich schon am Blick, dass sie Frauen hassen und mich nur benutzen wollen. Mit denen gehe ich dann auch nicht mit. Ich sage es euch Männern, die in Bordelle gehen, ganz deutlich: Behandelt uns nicht wie ein Stück Fleisch! Wir sind Menschen.
Prostitution frisst die Seele auf
Eine Sexarbeiterin muss abgehärtet sein und es mögen, viel Sex mit vielen Männern zu haben. Sonst macht der Job keinen Spaß. Frauen, die anschaffen müssen - weil sie von einem Zuhälter gezwungen werden oder so dringend Geld brauchen, dass sie keine andere Wahl haben -, tun mir leid. Ich habe Frauen kennengelernt, die nach jedem Freier weinten. Die waren nach einem Monat im Bordell fertig.
Prostitution frisst deine Seele auf, das stimmt schon. Das geht sogar mir so, obwohl ich den Job mag. Mit Anfang 20 fand ich noch alles geil: Party, Geld, Sex, yeah! Je älter ich werde, desto weniger kann ich ertragen. Inzwischen empfinde ich sogar meine Stammkunden manchmal als Zumutung und möchte sie am liebsten von mir runter und aus dem Zimmer werfen. Wobei man in jedem anderen Beruf auch Tage hat, an denen man denkt: Ich will das alles nicht. Ihr müsst sicher ebenfalls oft Dinge tun, auf die ihr gerade keine Lust habt, oder ein Produkt verkaufen, von dem ihr nicht überzeugt seid.