"Wie ich euch sehe" zu Flugbegleiterin:"Ich bin nicht eure Leibeigene"

"Wie ich euch sehe" zu Flugbegleiterin: Diese Stewardess wünscht sich ein einfaches "Danke" zum Abschied.

Diese Stewardess wünscht sich ein einfaches "Danke" zum Abschied.

(Foto: Illustration Jessy Asmus für SZ.de)

Ignoranz, Babysitting und ältere Herren, die mehr wollen als nur Tomatensaft: Eine Flugbegleiterin erklärt, warum ihr Job kein Traumberuf ist - und sie ihn trotzdem mag.

Protokoll: Nadine Funck

In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: ein Busfahrer, eine Polizistin, ein Stotterer, eine Kassiererin, ein Zahnarzt. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt die Flugbegleiterin Lisa B. aus ihrem Alltag.

Als Flugbegleiterin fliege ich ständig ans andere Ende der Welt. Aber nicht, weil ich dort Urlaub mache, sondern, um anderen einen angenehmen Flug zu ermöglichen. Meine Vorstellungen von diesem Job waren früher ziemlich naiv. Ich dachte, das bisschen Saftausschenken, Lächeln und Konversation könne ja wohl nicht so anstrengend sein. Ich wurde eines Besseren belehrt.

Auch wenn mir mein Beruf große Freude bereitet und ich die Möglichkeit habe, viele fremde Länder und Kulturen kennenzulernen, habe ich erkannt, wie ignorant und egoistisch Menschen sein können.

Das fängt damit an, dass die Leute denken, man sei nicht die hellste Kerze auf der Torte. Sie reduzieren Flugbegleiterinnen oft auf ihr Aussehen. Was ihr nicht seht, ist, dass viele von uns sehr gebildet sind. Ich habe Kollegen, die sieben Sprachen sprechen und diesen Job machen, weil sie aus ihrem normalen Berufsalltag ausbrechen wollten. Ich selbst habe Literatur- und Politikwissenschaften studiert und mich bewusst für diesen Beruf entschieden.

Während des Fluges bin ich Mädchen für alles: Seelsorger, wenn jemand Flugangst hat, Ersthelfer bei einem medizinischen Notfall. Ich bin für die Sicherheit, gleichzeitig aber auch für die Bar zuständig. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich eure Leibeigene bin.

"Der Rest ist die Kirsche auf der Sahne"

Ich weiß nicht, woher das kommt, aber ihr denkt, ihr hättet uns mit dem Flug mitgebucht. Die wichtigste Aufgabe eines Flugbegleiters ist die Sicherheit. Der Rest ist die Kirsche auf der Sahne. Und die fällt von Airline zu Airline größer oder kleiner aus.

Die Gäste an Bord sind sehr unterschiedlich, kommen aus allen möglichen Ländern und Schichten. Auffällig aber sind die kulturellen Befindlichkeiten. Chinesen zum Beispiel ziehen einen manchmal zurück oder fassen einen an, wenn sie etwas wollen. Indische oder afrikanische Gäste, die zu Hause eigenes Personal haben, winken einen weg oder schnipsen auch mal. Das meinen sie gar nicht böse, es ist Teil ihrer Lebenswirklichkeit. In solchen Situationen muss man Kultur und Beleidigung voneinander trennen können.

Hingegen ist der Unterschied zwischen den Gästen der Economy- und der Business-Class mitunter größer als man vermuten könnte. Ironischerweise sind Erstere häufig viel anspruchsvoller und fordernder als die Gäste der Business-Class.

"Euer Wasser könnt ihr euch auch selbst holen"

Letztens hatte ich auf einem Flug von den USA nach Frankfurt einige arabische Familien mit Kindern an Bord, die in der Nacht zehn- bis zwölfmal geklingelt haben, weil sie eine Sprite oder Cola wollten. Natürlich könnt ihr uns theoretisch sogar mitten in der Nacht rufen, wenn ihr etwas braucht. Praktisch seid ihr aber auch fähig, selbst in die Küche zu laufen und euch ein Glas Wasser zu holen. Das ist sogar erwünscht.

Langstreckenflüge sind anstrengend. Sowohl für euch als Gäste, als auch für uns als Personal, da wir durch die Zeitverschiebung permanent gegen die eigene Uhr arbeiten müssen. Vor allem die Kinder leiden oft unter den langen Flügen. Sie langweilen sich, können und wollen irgendwann nicht mehr still sitzen.

Der veränderte Luftdruck, die Geräusche, die ungewohnte Umgebung: Nicht selten kommt es vor, dass ein Säugling den gesamten Flug über schreit. Viele Gäste fühlen sich dadurch gestört, das ist verständlich. Andererseits: Statt sich zu beschweren, wäre etwas Toleranz in solchen Situationen für alle hilfreicher - man kann den Kindern ja schlecht den Mund zukleben.

Flugbegleiter sind keine Babysitter

Schwierig wird es für uns Flugbegleiter, wenn es den Eltern egal ist, was ihre Kinder den Flug über treiben. Viele lassen sie durch die Gänge rennen, in der Küche an den Trolleys herumspielen oder sämtliche Schubladen öffnen.

Vor allem indische und arabische Eltern denken, dass es unsere Aufgabe sei, den Babysitter zu spielen - das ist es nicht. Natürlich kümmern wir uns trotzdem um die Kinder, sie können schließlich am wenigsten dafür. Wir nehmen sie auf den Arm, tragen sie durch das Flugzeug und spielen mit ihnen.

Wenn die Kinder sehr lieb und die Piloten nach einem langen Flug nicht allzu müde sind, dürfen sie am Ende des Flugs auch mal ins Cockpit und bekommen von der Crew alles erklärt. Darüber freuen sie sich dann ganz besonders.

Senatoren, die mehr wollen

Als Flugbegleiterin muss ich diplomatisch bleiben, auch wenn das nicht immer einfach ist. Besonders unangenehm ist es, wenn ich von Fluggästen angemacht werde. Und das passiert oft. Schwierig wird es vor allem, wenn ich von Männern angesprochen werde, die deutlich älter sind als ich oder ein Senator-Status haben. Das sind Gäste, die durch die große Anzahl ihrer geflogenen Meilen einen besonderen Status haben und entsprechend bevorzugt behandelt werden.

So jemandem möchte man natürlich nicht vor den Kopf stoßen. Andererseits möchte ich aber auch nicht den Eindruck vermitteln, ich sei offen für solche Avancen. Also lasse ich das Thema unter den Tisch fallen, bleibe souverän und versuche, professionell weiterzuarbeiten. Etwas anderes bleibt mir an Bord auch nicht übrig.

Es kam auch schon vor, dass wir einen medizinischen Notfall hatten und jemand ausgerechnet in diesem Moment etwas zu Trinken haben wollte. Tut mir leid, aber da fehlt mir absolut das Verständnis. In solchen Situationen frage ich mich, ob ihr den Ernst der Lage nicht erfasst oder ob es euch an gesundem Menschenverstand mangelt.

Sicherheitsvorkehrungen gelten nicht nur für Gäste

Manchmal muss ich über die Irrtümer schmunzeln, denen die Gäste teilweise aufsitzen. Am Ende eines Langstreckenflugs werde ich häufig gefragt: Und Sie fliegen jetzt wieder zurück? Aus Spaß antworte ich gelegentlich: "Ja, wir müssen 48 Stunden ohne Pause durchfliegen." Meine Kollegen lachen dann immer, weil uns die Gäste total schockiert anschauen.

Verunsicherte Blicke sehe ich auch beim Landeanflug, wenn das Licht ausgeht, die Exit-Schilder und Leuchtstreifen am Boden aufleuchten. Keine Angst, das ist lediglich eine von vielen Sicherheitsmaßnahmen für den Fall, dass es bei der Landung tatsächlich zu Komplikationen und zu einer Evakuierung kommen sollte.

Was viele von euch auch nicht zu wissen scheinen: Die Anschnallzeichen richten sich auch an die Flugbegleiter. Leuchten die Symbole auf, müssen wir uns auf unsere Plätze begeben und uns anschnallen. Getränke bestellen ist in dieser Zeit zwecklos, denn Sicherheitsvorkehrungen gelten nicht nur für Gäste.

Die schönen Erlebnisse überwiegen

Auch wenn manche Arbeitstage anstrengend sind und uns viel abverlangen, bereitet mir mein Beruf große Freude. Im Grunde überwiegen die vielen schönen Erlebnisse, wie zum Beispiel die Begegnung mit einem kleinen Jungen von neun oder zehn Jahren. Er flog alleine nach Detroit, weil sein Vater dort lebt. Es war sehr schön, ihm während des Flugs zuzuhören.

Die beiden hatten sich lange nicht gesehen, und der Junge freute sich riesig auf das Wiedersehen. Als wir in Detroit ankamen, habe ich beobachtet, wie er seinem Vater in der Ankunftshalle in die Arme rannte. Der Vater weinte - und ich beinahe auch.

Besonders gefreut habe ich mich, als sich ein Gast nach einem Flug die Mühe gemacht hat, mir ein persönliches Feedback zu schreiben, weil er fand, dass ich eine sehr gute Flugbegleiterin sei. So etwas erwarte ich natürlich nicht, doch über ein ehrliches Dankeschön zum Abschied würde ich mich schon freuen.

Jeder möchte für das, was er tut, geschätzt werden. Wenn ich merke, dass es auch Menschen gibt, die es nicht als selbstverständlich hinnehmen, dass man ihnen gerade sechs bis zehn Stunden lang einen schönen Flug bereitet hat, weiß ich wieder, weshalb ich diesen Job mache.

In dieser Serie kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht und welche Rolle wir dabei spielen - als nervige Kunden, ungeduldige Patienten, ignorante Mitmenschen.

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