In unserer Serie "Wie ich euch sehe" kommen Menschen zu Wort, mit denen wir täglich zu tun haben, über die sich die meisten von uns jedoch kaum Gedanken machen: eine Polizistin, ein Zahnarzt, ein Hochbegabter oder eine Rollstuhlfahrerin. Sie teilen uns mit, wie es ihnen im Alltag ergeht, wenn sie es mit uns zu tun bekommen - als Kunden, Patienten, Mitmenschen. Diesmal erzählt eine Kassiererin von ihrem Alltag. Die 23-jährige Mira S. arbeitet in einer Supermarktfiliale in München.
Kunden sind oft unfassbar langsam und erwarten gleichzeitig, dass ich extrem schnell bin.
Kaum sind mehr als zwei Leute in der Schlange, verlangen sie schon, dass man eine zweite Kasse öffnet und sind sauer, wenn der Kollege, der die Regale einräumt, nicht sofort die Erbsendosen fallen lässt und herbeieilt. Zu Stoßzeiten haben wir sowieso alle Kassen geöffnet - und das sind bei uns nun mal leider nur zwei.
"Wie ich euch sehe": Mutter von fünf Kindern:"Von wegen asozial - meine Kinder achten aufeinander!"
Hand aufs Herz: Was denken Sie, wenn eine Mutter mit fünf Kindern den Supermarkt stürmt oder das Restaurant betritt, in dem Sie gerade mit Ihrem Date sitzen? Dann lesen Sie besser, was diese Mutter zu sagen hat.
Dann stehen die Kunden in der Schlange und sind genervt, wenn sie warten müssen. Und merken gar nicht, dass es nicht an mir liegt, sondern an ihnen selbst. Denn kaum kommen sie an der Kasse an, haben sie offenbar vergessen, dass sie sich eben noch übers Warten aufgeregt haben. Sie holen erst einmal in aller Ruhe ihr Portemonnaie raus und bezahlen. Und sind plötzlich wieder total gestresst, weil ihnen klar wird: "Oh, ich habe meine Einkäufe noch gar nicht eingepackt, da kommt ja schon das Zeug vom nächsten Kunden." Ja. Das liegt daran, dass ich schnell bin und ihr langsam.
In der kleinen Supermarkt-Filiale, in der ich arbeite, hat man nirgendwo wirklich Platz, um die Ware kurz liegen zu lassen. Dass das ein Problem ist, verstehe ich. Aber es ist nicht meins, und ich kann nichts dafür.
Es gibt immer Personen, die von Haus aus gereizt sind - das merkt man sofort. Meist versuche ich dann, mich so still wie möglich zu verhalten. Wenn sie mir trotzdem blöd kommen oder unfreundlich sind, arbeite ich eben mal nicht so zügig wie sonst. Und Fehler passieren nunmal hin und wieder - egal, ob die Leute Zeit haben oder nicht. Der Ausruf "Storno bitte!" ist für besonders Eilige die reine Provokation, aber was soll ich machen?
Was die Leute aufs Band legen, darüber erlaube ich mir kein Urteil. Ich achte beim Kassieren eher darauf, was ich selbst gerne mag. Dann wünsche ich auch mal "guten Appetit". Ansonsten finde ich das sehr privat. Ich will auch gar nicht wissen, ob der Kunde den Wodka, den er um zehn Uhr morgens kauft, gleich trinkt, oder erst am Abend.
Die liebsten Kunden sind mir die Opas und Omis. Auch wenn die meisten berufstätigen Menschen das nicht glauben wollen: Die Alten kommen meistens dann, wenn nicht so viel los ist. Sie sind unsagbar entspannt und plaudern auch mal mit mir. Und die Studenten, die sind auch immer nett.
Dass manche Leute mich wenig oder gar nicht wahrnehmen, stört mich weniger. Wenn ich selbst einkaufe, achte ich ehrlich gesagt auch nicht darauf, wer da gerade an der Kasse sitzt. Und bei Hochbetrieb gucke ich mir auch nicht jeden Kunden an. Dann bin ich froh um jeden, der zum Beispiel Musik hört und Kopfhörer im Ohr hat. Mich nervt es nur, wenn jemand unhöflich ist oder herablassend.
Es klingt vielleicht pauschal, aber tatsächlich sind die meisten komischen Leute etwa 30 bis 40 Jahre alt. Das sind die klassischen Gestressten, die immer total beschäftigt sind. Noch schlimmer ist es, wenn sie Kohle haben. Glauben Sie mir: Nur, weil Sie Ihr Geld aus einem Michael-Kors-Portemonnaie kramen, heißt das noch lange nicht, dass ich Ihnen die Sachen in die Tüten packe. Sorry, aber das ist nicht mein Job.
Wie nehmen Sie die Menschen wahr, mit denen Sie sich aufgrund Ihrer Lebenssituation oder Ihres Berufes tagtäglich auseinandersetzen? Was wollten Sie schon immer einmal loswerden? Senden Sie ein paar Sätze mit einer kurzen Beschreibung Ihrer Situation per E-Mail an: leben@sueddeutsche.de. Wir melden uns bei Ihnen.