Konfetti und Co.:Die Welt braucht Glitter

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Mikroplastik in einer Größe von weniger als fünf Millimetern soll in einigen Produkten wie Glitter verboten werden - schrittweise bis zum Jahr 2035. (Foto: xStevexKraittx via www.imago-images.de/imago images/Image Source)

Die EU-Kommission will zum Schutz von Menschen und Umwelt strengere Regeln für den Umgang mit Plastikgranulat. Das geht völlig in Ordnung. Doch hoffentlich stirbt jetzt nicht das Glitzern aus.

Von Martin Zips

Dann, wenn es den Menschen gut gehe, so befand der griechische Tragödiendichter Aischylos, "glitzerten sie wie ein schönes Bild". Erst das Unglück sei ein "nasser Schwamm", welcher die schönsten Farben verwische.

Verständlich also, dass sich der Mensch gerade in diesen Tagen wieder nach Glitzer sehnt. Wer möchte schon von einem nassen Schwamm getroffen werden? Glitzer, das behauptete auch mehr als 2000 Jahre nach Aischylos die bedeutende Glamour-Philosophin Paris Hilton, fließe manchen Mädchen bereits "von Geburt an durch die Adern".

Eine gewisse Sehnsucht steckt halt schon in diesem Zeug

Vollkommen wurscht, ob einem der Glitzer schon von Geburt an gegeben ist oder nicht: Eine gewisse Sehnsucht steckt halt schon in diesem Zeug, welches zuletzt vor allem in Shampoos oder Lidschatten zu finden war. In der Malerei wird Glitzer seit dem chinesischen Altertum verwendet. Allerdings in Form eines mineralischen Schichtsilikats. Wegen der großen Nachfrage gerade im Insta-Zeitalter jedoch fiel es zuletzt in den Drogeriemärkten vor allem als Gemisch biologisch leider nicht abbaubarer Partikel in diversen Körpersoßen auf.

Jetzt soll alles anders werden! Anfang der Woche hat die EU-Kommission für die kommenden zwölf Jahre ein sukzessives Verbot von einigen Produkten mit synthetischen Polymeren beschlossen, also von - unter anderem als Glitter verwendetem - Mikroplastik in einer Größe von weniger als fünf Millimetern. Zuletzt hatten sich damit zum Beispiel milliardenschwere Hotelkonzern-Erbinnen, welche ungeschminkt auch nur aussehen wie der Franz vom Würstelstand, ihre Augenlider und Fingernägel getuscht. Der Verkauf von Mikroperlen und losem Glitter ist bereits jetzt EU-weit verboten. Sonstige Kosmetika mit Mini-Kunststoff-Zeug sollen bis 2035 folgen.

Nun wird bereits bei Goethe Glitzern sehnsuchtsvoll beschrieben ("Große Lichter, kleine Funken / Glitzern nah und glänzen fern"), auch in den Grimm-Märchen von Frau Holle ("Kickericki, kickericki, da kommt die goldene Marie!") oder den Sterntalern blinkt und funkelt es wunderbar. Und bei Rilke heißt es: "Es gibt so wunderweiße Nächte, / drin alle Dinge Silber sind." Den plastikfreien Ur-Glitter, so stellt man fest, bildeten neben Himmelskörpern eben auch die genialen Strukturen der winterlichen Eiskristalle. "Mir kommt ein heiß Verlangen / Dem Lichtschein nachzugehen / Um dann mit erglühenden Wangen / Still durchs Fenster zu sehen." Ringelnatz.

Glitzer, das bedeutet auch Hoffnung!

Jedes industriell erzeugte Glitzern - im Jahr 1934 erfand der US-Amerikaner Henry Ruschmann die erste Glitzerzeug produzierende Maschine - kann da nichts anderes sein als eine schreckliche kommerzielle Imitation eines Naturerlebnisses: New Yorker Konfettiparaden für Astronauten der Mondmission zum Beispiel, die Jean-Paul-Gaultier-Show mit Pailletten-Fummel im Berliner Friedrichstadt-Palast oder das "Blood and Glitter"-Bühnenprogramm der beim ESC zuletzt gescheiterten Band Lord of the Lost. Von Cinderellas glitzernden Schuhen im Disney-Broadway-Musical bis zum Brautkleid der Eiskönigin im Hamburger "Stage Theater" - viel zu lange wurden und werden Kunststoff-Mini-Pellets bereits verwendet. Man denke zurück an die Michael-Schanze-Flitterabend-TV-Show mit dem Aluminiumfetzen werfenden "Bobby Flitter". Oder an den jüngst rätselhaften Glitter-Angriff eines Demonstranten auf den britischen Labour-Chef Keir Starmer, bei dessen Rede am Parteitag in Liverpool. Tonnenweise liegt der Müll überall in der Landschaft. Gut, dass das nun - zumindest in der EU und leider nur sehr langsam - zu Ende geht.

Allerdings: Glitzer, das bedeutet auch Hoffnung! Das Funkeln der Diamanten bei Tiffany oder der Kronen auf königlichen Häuptern, die Sehnsucht nach dem Suvarnabhumi, dem goldenen Land, welches woanders Eldorado heißt - Glitzer war auch immer schon eine Verheißung. Man konnte sie spüren, auch dann, wenn's draußen mal wieder grau und verregnet war. Denn drinnen funkelte Lametta am Weihnachtsbaum und die Christbaumkugeln spiegelten den Kerzenschein. Und auch, wenn sich die Eltern mal wieder während des Kindergeburtstags stritten, so schimmerte doch noch Konfetti neben der Torte und sagte: Du schaffst das schon!

Was wäre eine Weltmeisterschaft ohne Siegesfeier mit fliegenden, funkelnden Schnipseln auf den Glatzen lächerlicher Funktionäre? Was eine spektakuläre Operninszenierung, zum Beispiel von Leoš Janáčeks "Das schlaue Füchslein" in München, ganz ohne Schnee- und Silberregen auf und neben der Bühne? Was ein Silvesterabend ohne eine einzige Wunderkerze? "Twinkle, Twinkle, Little Star", das wird seit mehr als 200 Jahren nicht nur in Großbritannien abends gesungen. Stones-Drummer Charlie Watts meinte übrigens einmal, die Bewunderung der Fans habe ihn als Musiker stets deutlich weniger interessiert, als "der Glitzer auf der Bühne". Das sieht nicht jeder Rockstar so.

Man kann nur hoffen, dass die internationale Wissenschaft schon bald eine überzeugende, ökologisch einwandfreie Glitzer-Alternative präsentiert. Etwas, das ein bisschen besser funktioniert als zum Beispiel das jahresendzeitliche Wachsgießen (welches natürlich besser für die Umwelt ist, aber den optischen Effekt von Blei und Zinn noch nicht ganz toppen kann). Und natürlich bleibt es, sobald es die Licht- und Feinstaubverschmutzung über den Städten und Dörfern wieder erlaubt, jedem völlig unbenommen, in den wolkenlosen nächtlichen Himmel zu blicken, um sich dort am Leuchten der Sterne am Firmament zu erfreuen. Wie klein der Mensch da wird! Auch könnte man, falls es die Klimaerwärmung und der Wintermassentourismus noch zulassen, sich auf die Suche nach einem besonders schönen Eiskristall in einer ruhigen Schneelandschaft machen.

Eine Welt ganz ohne Glitzer jedenfalls, die möchte man sich doch wirklich nicht vorstellen.

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