Sturmjäger:"Mich fasziniert die pure Gewalt der Natur"

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Auf Gewitterwolken wie hier im bayerischen Geretsried hat es auch Sebastian Stöttinger abgesehen. (Foto: Jan Eifert/imago)

Der Klimaschutz-Student Sebastian Stöttinger hat sich auf das Fotografieren von Gewittern spezialisiert. Was treibt ihn dazu, Unwettern quer durch Europa hinterherzujagen?

Interview von Titus Arnu

Die meisten Menschen bleiben lieber im Haus, wenn es draußen blitzt und donnert. Sebastian Stöttinger dagegen jagt den heftigsten Unwettern hinterher: Der 27-jährige Rheinhesse, der Klimaschutz an der TH Bingen studiert, hat sich auf das Fotografieren von Gewittern spezialisiert.

SZ: Herr Stöttinger, wie ist das Wetter bei Ihnen?

Stöttinger: Moment, ich schaue mal aus dem Fenster. Es ist durchwachsen: wolkig, ab und zu kommt die Sonne durch, es ist trocken.

Sind das gute oder schlechte Aussichten für Sie?

Für mich ist so ein Wetter uninteressant, da besteht kaum eine Chance auf ein Gewitter.

Sie sagen Chance, für andere ist ein Gewitter eine Gefahr. Was macht die positive Faszination für Sie aus?

Ein Sturm hat immer zwei Seiten, das ist richtig. In Süddeutschland wurden in den letzten Tagen Gärten und Autos durch Hagel zerstört, Häuser und Straßen standen unter Wasser. Das ist die Kehrseite eines Unwetters. Deshalb ist das perfekte Gewitter für mich ein Sturm über unbewohntem Gebiet. Mich fasziniert die pure Gewalt der Natur, auf die der Mensch absolut keinen Einfluss hat. Als Klimawissenschaftler interessieren mich die Formen, die solche Wetterphänomene annehmen können: große, schwarze Wolkenstrukturen und Blitze.

Haben Sie so ein perfektes Gewitter schon mal erlebt?

Mein perfektes Gewitter habe ich im August 2020 in Ungarn erlebt. Das war eine sogenannte Superzelle, ein Gewitter, das so stark ist, dass es in sich rotiert, dadurch entstehen turmartige, freistehende Wolkengebilde, die sich immer schneller drehen.

Ist es nicht gefährlich, solchen Unwettern nahe zu kommen?

Wir Sturmjäger halten einen Sicherheitsabstand, um nicht von großen Hagelkörnern oder vom Blitz getroffen zu werden. Im Auto ist man aber relativ sicher, solange keine Gegenstände herumfliegen oder Bäume umstürzen.

Sebastian Stöttinger, 27, studiert Klimaschutz an der TH Bingen. (Foto: Sebastian Stöttinger/privat)

Wie plant man so eine Gewitterjagd?

Ganz genau planen kann man das nicht. Ich schaue mir Wettermodelle von verschiedenen Diensten an. Wenn bestimmte Parameter wie Luftfeuchtigkeit, Temperaturunterschiede, starke Winde in verschiedenen Höhen zusammenkommen, kann man daraus die Wahrscheinlichkeit für ein Gewitter berechnen. Wenn die Vorhersage für einen Bereich passt, den man auf 20 bis 30 Kilometer eingrenzen kann, fahre ich los.

Wie weit würden Sie reisen für das perfekte Gewitter?

Ich würde sagen, meine Grenzen habe ich bisher noch nicht erreicht. Das Weiteste war mal eine Fahrt durch Belgien und Frankreich, da bin ich zusammen mit ein paar Kollegen innerhalb von 24 Stunden 1500 Kilometer mehreren Gewitterzellen nachgejagt.

Welche Ausrüstung hat man als Sturmjäger dabei?

Eigentlich brauche ich nichts außer einem Auto, Smartphone und zwei Kameras. Das Smartphone ist das wichtigste Instrument, um die Wetterentwicklung zu beobachten. Mit einer Zeitraffer-Kamera zeichne ich die Bewegung der Wolken auf. Und mit der anderen Kamera versuche ich, möglichst spektakuläre Blitze und Wolken zu fotografieren. Die Aufnahmen veröffentliche ich dann über meinen Instagram-Account und meinen Youtube-Kanal "Extremwetter".

Sind die heftigen Gewitter, die in den letzten Tagen durch Deutschland zogen, normal für diese Jahreszeit oder ein Symptom für den Klimawandel?

Die sind eigentlich normal im Sommer. Verlässliche Zahlen über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Gewittern gibt es noch nicht, da muss noch geforscht werden - das ist ein Bereich, auf den ich mich nach meinem Studium konzentrieren möchte.

Sind Sturmjäger Katastrophentouristen oder hat das Hobby auch einen wissenschaftlichen Nutzen?

Wir wollen auf keinen Fall als Katastrophentouristen auftreten. Wenn wir zum Beispiel einen Tornado dokumentieren, kann das auch einen wissenschaftlichen Nutzen haben. Und wir schicken unsere Beobachtungen an den deutschen Wetterdienst und Apps wie Skywarn, die unsere Daten dann für ihre Unwetterwarnungen verwenden können. Das Hobby hat also auch einen praktischen Sinn.

Apropos Touristen: Wenn Sie mal Urlaub machen, liegen Sie dann auch gerne mal am Strand bei wolkenlosem Himmel?

Um Himmels Willen, nein. Bei schönem Wetter am Strand liegen, das wäre für mich eine Strafe. Lieber würde ich in die USA reisen, um dort Stürme zu beobachten, die sind dort noch mal ein Stückchen krasser als bei uns.

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