Italien:Brückeneinsturz hätte leicht verhindert werden können

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Der grüne Lastwagen mit dem blauen Führerhaus konnte gerade noch anhalten. Der Fahrer erzählte später, ein anderes Auto habe ihn geschnitten, sodass er abbremsen musste. Das habe ihm das Leben gerettet. Das andere Auto stürzte in den Abgrund. (Foto: Antonio Calanni/dpa)

Ein Prüfbericht stellt klar: Am Unglück in Genua war nicht das Wetter schuld. An einem entscheidenden Träger wurde seit 1993 keine Wartung vorgenommen. Selbst Warnungen des Bauplaners waren ignoriert worden.

Von Oliver Meiler, Rom

467 Seiten, 14 Kapitel und ein deutliches Fazit: Der Ponte Morandi in Genua wäre nicht eingestürzt, wenn die Firmen und Ämter, die über die Jahrzehnte hinweg für den Unterhalt der Brücke zuständig waren, sie gepflegt hätten. Der Bericht von vier Universitätsprofessoren, die von der Untersuchungsrichterin Angela Nutini mit der Prüfung der Einsturzursachen beauftragt wurden, lese sich "wie ein Urteil", schreibt die Zeitung La Repubblica. Und er fügt den Angehörigen der 43 Todesopfer weiteren Schmerz zu. Weder die Unwägbarkeit des Schicksals noch das Wetter spielten eine entscheidende Rolle. Zentral war die mangelhafte Ernsthaftigkeit der Menschen im Umgang mit dem kühnen Bauwerk.

Die Schrägseilbrücke über das Val Polcevera, mehr als einen Kilometer lang, eingeweiht 1967, war am 14. August 2018 um 11.36 Uhr kollabiert. Über Genua wütete gerade ein Unwetter mit starken Winden. Es war Ferienzeit, 35 Autos und drei Lastwagen stürzten in die Tiefe. An einem normalen Werktag wären viel mehr Autos unterwegs gewesen, ein kleines Wunder in der Tragödie. In der unmittelbaren Folge mutmaßte die Autobahnbetreiberin, Träger 9, der als erster nachgab, sei von einem Blitz getroffen worden. Aber das war nicht der Fall, die Gründe lagen tiefer, in der Fahrlässigkeit. Die größte Katastrophe auf dem italienischen Straßennetz seit Menschengedenken hätte vermieden werden können.

Ponte Morandi in Genua
:Betreiberfirma soll von Einsturzrisiko gewusst haben

Beim Einsturz der Ponte Morandi in Genua kamen im August 2018 43 Menschen ums Leben. Die Manager der Betreiberfirma behaupten seitdem, nichts von einem Einsturzrisiko gewusst zu haben. Dokumente belegen nun das Gegenteil.

Von Oliver Meiler

Zentral ist Beweisstück 132, das Kapitell von Pfeiler 9. Die Eisengarne darin, die die Struktur in diesem Punkt der Brücke hätten tragen sollen, waren total zerschunden - die dicken Bündel waren nur noch dünne Fäden. "Der Grund, der den Einsturz einleitete", schreiben die Experten, "war die Korrosion im oberen Teil von Träger 9." Weiter: "Wären die Kontrollen und die Wartung korrekt ausgeführt worden, wäre es höchstwahrscheinlich nicht zum Einsturz gekommen." Und: "Obschon die Risiken des Zerfalls bekannt waren, wurde nicht genügend aufgepasst."

Planer und Ingenieur Riccardo Morandi warnte vor Verschleiß

Gewarnt war man schon lange gewesen, nämlich seit den 1980er-Jahren - und zwar durch den Planer persönlich. Riccardo Morandi, ein gefeierter Ingenieur, war weniger als zwanzig Jahre nach der Einweihung des stolzen Viadukts von der Autobahnbetreiberin Autostrade beauftragt worden, den technischen Zustand zu prüfen. Und Morandi war in seinem Papier denkwürdig selbstkritisch. Er schrieb von "einem bereits stark verbreiteten Verschleiß", der viel größer sei, als sie es beim Bau hätten voraussehen können.

"Über die Jahre hinweg wurden auch die Ratschläge des Ingenieurs missachtet", heißt es jetzt im Rapport der Experten, und das ist angesichts der Außergewöhnlichkeit des Bauwerks schon sehr erstaunlich. An Träger 9 war seit 1993 nichts mehr gemacht worden.

Der Bericht ist nun das Herzstück im Beweisverfahren zu den Einsturzursachen, fortgesetzt wird es im Januar. Mehr als siebzig Manager, Beamte und Techniker sind angeklagt wegen fahrlässiger Tötung in 43 Fällen. Die Brücke ist unterdessen ganz abgerissen und durch eine neue ersetzt worden, entworfen von Genuas Stararchitekt Renzo Piano, im vergangenen Sommer wurde sie eingeweiht. Sie heißt Genova San Giorgio, wie der Stadtheilige.

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