An der Stabilität des Ponte Morandi in Genua hatten selbst Laien immer gezweifelt. Lange vor dem Einsturz, intuitiv. Beim Überqueren der imposanten Brücke über dem Val Polcevera befiel einen stets ein mulmiges Gefühl, zuweilen zitterte sie. Doch was war mit den inkriminierten Managern der Betreibergesellschaft - wussten die tatsächlich nichts von den Gefahren, wie sie behaupten?
Die Zeitung La Repubblica berichtet jetzt exklusiv, dass die Ermittler in den Computern am römischen Hauptsitz von Atlantia schon vor etlichen Monaten eine "Bescheinigung" von Experten gefunden hätten, die das angebliche Nichtwissen der Betreiber widerlegen könnte. Atlantia ist die Holding der Familie Benetton, zu der unter anderen das Unternehmen Autostrade gehört, das weltweit 14 000 Kilometer Autobahnen betreibt, sowie die Firma Spea, die das italienische Autobahnnetz auf Sicherheitsprobleme überwachen soll.
Unglück in Genua:"Die Brücke stand für die Moderne"
Ein Jahr nach dem Einsturz des Ponte Morandi in Genua sind viele Fragen zum Unglück noch offen. Eine Architekturhistorikerin erklärt, was die Brücke für die Anwohner bedeutete - und für ganz Italien.
Von 2014 bis 2016 hieß es in den Bewertungsberichten von Spea jeweils, beim Ponte Morandi gäbe es ein "Einsturzrisiko". 2017 dann, ohne leicht ersichtlichen Grund, wurde die Gefahr plötzlich herabgestuft auf "Risiko eines Stabilitätsverlusts". Bei Einsturzrisiko hätte die Brücke natürlich sofort und ganz gesperrt werden müssen, was nie passierte. Erst für Herbst 2018 war ein sogenanntes "Retrofitting" der Konstruktion geplant gewesen, das heißt: eine Gesamtkonsolidierung des Baus, der 1967 eingeweiht worden war. Die Brücke kollabierte am 14. August, einem regnerischen Sommertag mit viel Urlaubsverkehr. Um 11.36 Uhr. 43 Menschen stürzten in den Tod.
Seitdem laufen zwei Untersuchungen der Justiz, mit insgesamt 73 Angeklagten. Der Vorwurf: fahrlässige Tötung in 43 Fällen und fahrlässige Verursachung einer Katastrophe. Zu den Verdächtigen gehören die Führungsspitzen der involvierten Firmen. Repubblica berichtet, die aufgetauchten Dokumente von Spea seien auch bei Aufsichtsratssitzungen abgehandelt worden, die Manager seien also bereits vier Jahre vor dem Einsturz gewarnt gewesen. Offenbar war es aber so, dass die internen Überwacher den Zustand von Straßen, Brücken und Tunnels in ihren Berichten oftmals schönfärbten - angeblich auch unter Druck von oben.
"Die Kosten müssen maximal reduziert werden"
Die Fahnder haben Telefongespräche ausgewertet, in einem hört man einen Manager der Wartungsgesellschaft mit einem Untergebenen reden, der einen Reparaturenkatalog für eine Brücke in Pescara erstellt hatte. "Was ist mit allen diesen 50?", fragt er; 50 ist ein Code für unbedingt notwendige Baumaßnahmen. "Die musst du alle rausnehmen, jetzt schreibt ihr alles neu und macht aus Pescara 40." Dann fügt er an: "Ich soll so wenig wie möglich ausgeben, die Kosten müssen maximal reduziert werden - verstehst du das oder verstehst du das nicht?" Der Manager deutet auch noch an, dass die Aktionäre es so wollten.
Warum die Ermittler ihren Fund erst jetzt publik machen, ist nicht so klar. Repubblica vermutet, die Staatsanwaltschaft habe ihn sich als "Trumpf im Ärmel" aufgehoben, für das Verfahren. Dann soll den Managern ja nachgewiesen werden, dass sie schon lange von den Gefahren wussten, die Brücke aber dennoch nicht sperrten.
Unterdessen laufen die Arbeiten für die neue Brücke, sie soll im Frühjahr fertig werden. Gezeichnet hat sie Renzo Piano, der Stararchitekt aus Genua und Senator auf Lebenszeit. 43 große Kandelaber sollen sie beleuchten, sichtbar von weit her, einer für jedes Opfer.