Briefmarken:Lecken, stempeln, sammeln

Lesezeit: 4 min

Die Zacken zählen: Briefmarkensammler auf einer Tauschbörse. (Foto: Robert Haas/lok)

Die rote Mauritius ist für 8,1 Millionen Euro versteigert worden. Doch nicht nur die Philatelie, auch die Briefmarkensammler sind in die Jahre gekommen.

Von Martin Zips

Was haben der ehemalige Bahnchef Hartmut Mehdorn, Fürst Rainier III. und König George V. von England gemeinsam? Richtig, sie sind "Philatelisten". Interessant, in wie vielen Biografien sich der Zusatz "Philatelist" auch heute noch findet. Sind Briefmarkensammler bedeutender als Sammler von Weißblechautos, Schneekugeln oder John-Denver-Platten? Und: Galt vor einigen Jahren der Satz "Möchten Sie mal meine Briefmarkensammlung sehen?" tatsächlich als probater Anmachspruch?

Der Begriff "Philatelist" ist etwas in die Jahre gekommen. Die Begeisterung für aus anderen Zeiten oder Ländern stammende Papierstückchen hat nachgelassen, die Auflagenzahlen gehen zurück, und so ist es schon verwunderlich, dass für die rote Mauritius des japanischen Unternehmers Vikram Chand, die an diesem Samstagmorgen in Ludwigsburg versteigert wurde, tatsächlich wieder 8,1 Millionen Euro zusammenkamen. Immerhin: Es ist sicher keine Fälschung. Fälschungen sind für die Philatelie ein Problem. Ebenso wie die Überalterung ihrer meist männlichen Sammler und überhaupt diese schrecklich seelenlosen Wertzeichen, die man sich heute aus langweiligen Automaten ziehen muss.

Philatelisten, wie hier auf einer Messe in München, sind meist männlich und nicht mehr die Jüngsten. (Foto: Stephan Rumpf)

Was waren das für goldene Zeiten, als Briefmarkenwahnsinnigen wie dem Franzosen Philipp la Renotière von Ferrary (1850 - 1917) wirklich alles, was irgendwie nach Postwertzeichen aussah, angedreht werden konnte. Die Händler wussten ja, dass Ferrary nicht nur besessen, sondern auch vermögend war. "Ich habe das mal durchgerechnet", sagt Ferrary-Biograf Wolfgang Maaßen. "Seine Mutter hatte damals ein Vermögen von gut 60 Milliarden Euro. Und er war ihr einziger Sohn." Und was hat Ferrary mit den offenkundigen Fälschungen gemacht, die man ihm so anbot? Gekauft natürlich. "Diese sogenannten Ferraritäten sind bei Sammlern heute noch beliebt", sagt Maaßen.

Bei vier Millionen Euro startet Christoph Gärtner die Auktion des Original-Kuverts mit der roten Mauritius von 1847. (Foto: Bernd Weissbrod/dpa)

Die rote Mauritius und die blaue Mauritius hingegen gehören zu den begehrtesten echten Marken. Mit ihnen frankierte die Frau des britischen Gouverneurs auf Mauritius im Jahr 1847 Einladungen zu ihrem Kostümball, die Marken wurden mit sehr einfachen Mitteln auf einem Visitenkarten-Drucker hergestellt. Von der für den internationalen Briefverkehr vorgesehenen blauen Mauritius soll es heute noch zwölf Stück geben, von der roten 15. Davon befinden sich drei auf je einem Original-Kuvert. Das macht sie für Philatelisten so besonders. Einen Brief mit roter Mauritius besitzt die Königin von England, einer liegt in der Philatelic Collection der British Library in London, und der letzte befand sich zuletzt in Privatbesitz von Millionär Vikram Chand. Er kam jetzt unter den Hammer, der Startpreis lag bei vier Millionen Euro, am Ende bezahlte einer von insgesamt drei anonymen Interessenten das doppelte. "Viel Geld, hohe Negativzinsen und die weltpolitische Lage überhaupt - das Geschäft mit hochwertiger Philatelie läuft gerade in diesen Tagen gut", sagt Auktionator Christoph Gärtner.

Wer, bitte, schreibt noch Briefe?

Natürlich fragt sich jetzt der Laie, ob nicht vielleicht auch der nach Schokolade duftende 15er-Block ganz viel wert sein könnte, den die Schweizer Post im Jahr 2001 herausbrachte. Auch die Briefmarken, die Tonga vor gut 60 Jahren in den Umrissen des Inselstaates verkaufte, müssten doch was einbringen. Doch der Markt hat eigene Gesetze. Der einst gefragte "deutsche Posthornsatz" aus den 1950er-Jahren etwa wird heute längst nicht mehr so hoch gehandelt wie noch in den 1980er-Jahren. Das liegt vor allem daran, dass es immer weniger Sammler gibt, die sich für so etwas interessieren. "Waren in den 1960er-Jahren in Deutschland etwa 90 000 Sammler in Vereinen zusammengeschlossen, so sind es heute noch 25 000", sagt Reinhard Küchler, Geschäftsführer des Bundes Deutscher Philatelisten. "Durchschnittsalter: jenseits der 70." Küchler schwärmt von den Marken alter portugiesischer Kolonien, durch die er als Kind nicht nur die Welt, sondern auch die Musik der kapverdischen Sängerin Cesária Évora kennengelernt hat. "Heute", meint Küchler, "sind Briefmarken vielen Jüngeren gar nicht mehr im Bewusstsein. Wer, bitte, schreibt noch Briefe?"

Eine Rarität: Die Marke mit der rauchenden Audrey Hepburn hätte gar nicht in Umlauf gebracht werden sollen. (Foto: Catherina Hess)

Gelegentlich schaffen es Postwertzeichen zumindest noch in die Schlagzeilen: So etwa die deutsche Audrey-Hepburn-Wohltätigkeitsmarke, von der 2001 insgesamt 14 Millionen Stück gedruckt wurden, dann aber aus rechtlichen Gründen wieder eingestampft werden mussten. Trotzdem gerieten einige in Umlauf. Gestempelt bringt so etwas schnell mal ein paar Zehntausend Euro auf Ebay ein.

Das teuerste Postwertzeichen der Welt ist die "British Guiana 1 Cent magenta" aus dem Jahr 1856. Das einzige Exemplar der Marke wurde gerade in New York für 8,3 Millionen Dollar versteigert. (Foto: SHANNON STAPLETON/REUTERS)

Als wertvollstes Sammlerstück weltweit aber gilt weiterhin die "British Guiana 1 Cent magenta" aus dem Jahr 1856. Davon gibt es nur ein einziges Exemplar, das im Jahr 2014 in New York 9,48 Millionen Dollar (7,93 Millionen Euro) erzielte. Der US-amerikanische Schuhdesigner Stuart Weitzman hat es gekauft. Von Wertzuwachs kann aber selbst hier nicht die Rede sein: Kürzlich erzielte Weitzmans Guiana bei einer Auktion nur noch 8,3 Millionen Dollar. Besonders wertvoll bleibt der sogenannte "Bordeaux-Brief", der einzige, auf dem eine blaue Mauritius neben einer roten zu sehen ist: Er brachte im Jahr 1993 satte 6,125 Millionen Schweizer Franken (5,58 Millionen Euro) ein. Eine einzelne blaue Mauritius (ohne Kuvert) erzielte zuletzt 900 000 Pfund (1,048 Millionen Euro).

Nur dieser Brief, der sogenannte Bordeaux-Brief, hat sowohl eine blaue wie auch eine rote Mauritius. Wert: 5,58 Millionen Euro. (Foto: Roland Weihrauch/dpa)

Und dann gibt es auch noch so nette Geschichten wie die vom Rentner, welcher 2012 auf einem Dresdner Flohmarkt angeblich zwei Kilo Marken für 20 Euro erstand und in dem Konvolut eine auf drei Millionen Dollar geschätzte, fälschungssicher geprägte "Benjamin Franklin Z Grill" aus dem Jahr 1868 fand. Große Begeisterung in der deutschen Boulevardpresse! Später freilich entpuppte sich die Marke als leicht lädierter "F-Grill". Und der war nicht mehr als ein paar Dollar wert.

Die "Inverted Jenny" von 1918 ist ein klassischer Fehldruck. Auf ihr steht ein Doppeldecker kopf. (Foto: -/dpa)

Wie schön hingegen, wenn man irgendwo doch noch eine Marke mit einer Lokomotive entdeckt, welcher die Speichen fehlen! Und herrlich, wenn mal versehentlich die gummierte Seite bedruckt wurde oder sich der Schriftzug "Dfeutsches Reich" findet. Das macht bei Sammlern gute Laune - und hebt den Preis. Ähnlich wie bei den Olympia-Marken, die die Gattin und der Sohn des sozialdemokratischen Postministers Kurt Gscheidle einst verschickten. Die Marken waren von der deutschen Regierung eigentlich zurückgezogen worden - wegen des Boykotts der Olympischen Sommerspiele in Moskau 1980. Die Gscheidles klebten aber trotzdem. Glück, wer diese Briefe nun besitzt - oder Kuverts, die die Explosion des Luftschiffs Hindenburg 1937 nahe New York überlebten.

Auch der Zeppelin "Hindenburg" hatte Post an Bord, als er 1937 in Lakehurst explodierte. Die Briefe sind heute begehrte Sammelobjekte. (Foto: AP/AP)

Und dann wären da noch die berühmten Fälschungen eines Jean de Sperati (1884 - 1957), der sich - trotz diverser Verurteilungen - nicht als Fälscher, sondern eher als Künstler sah, wie Briefmarken-Historiker Wolfgang Maaßen betont. "Wirklich niemand hat perfekter gefälscht als er." Mittlerweile sind sogar gefälschte Sperati-Fälschungen im Umlauf.

Im kollektiven Gedächtnis der Menschen, auch aller Nichtsammler, aber bleibt bis heute: die blaue Mauritius. "Das liegt vor allem daran, dass Mauritius eines der ersten Gebiete mit eigenen Postwertzeichen war", so Auktionator Christoph Gärtner. Auf dieses Wissen baute zum Beispiel der Humorist Heinz Erhardt, als er sein Gedicht über einen vernarrten Sammler schrieb, der mit seiner Frau eine Tochter bekommt: "Heinrich fasste den Entschluss: Die nennen wir Mauritius!/Gewiss, der Name passt nicht recht/Fürs Kind von weiblichem Geschlecht/Doch sei's, zu End' sei der Verdruss:/Ich hab' eine Mauritius."

Letztlich ist eben auch die Sammelleidenschaft eine wirklich komische Sache. Der französische Philatelist Philipp von Ferrary etwa war so gut mit dem österreichischen Briefmarken-Betrüger Sigmund Friedl befreundet, dass er ihm sogar eine Villa am Attersee vermachte. Die Liebe zum Postwertzeichen, sie treibt manchmal recht skurrile Blüten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Gruppenbilder
:Zusammen ist man ganz allein

Die jüngsten Distanzfotos der Staatenchefs in Cornwall und Brüssel zeigen: Das Gruppenporträt hat ein neues Level erreicht. Eine kulturhistorische Betrachtung von Diego Velázquez bis "Raumschiff Enterprise".

Von Moritz Geier und Martin Zips

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: