Wolfratshauser Flussfestival:Hokuspokus in den Bergen

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Für den Auftakt musste das Premierenpublikum viel Sitzfleisch mitbringen. Denn weil es in diesen Tagen eben erst spät dunkel genug für einen Kinofilm unter freiem Himmel wird, gab es zunächst Musik und viel Applaus für die rund 50 Mitwirkenden an "Alpgeister". (Foto: Hartmut Pöstges)

Das Publikum feiert Regisseur Walter Steffen bei der Uraufführung seines neuen Films "Alpgeister" auf dem Wolfratshauser Flussfestival.

Von Susanne Hauck, Wolfratshausen

Nebel gibt es bei dieser Veranstaltung, und das nicht zu knapp. Er wabert schon, da wandern noch die letzten warmen Sonnenstrahlen über die Wiese. Es ist der Bühnendampf, der sich oben bei den bunten Scheinwerfern fängt. Später lässt Regisseur Walter Steffen die weißen Schwaden über die Kinoleinwand quellen, sie hüllen die atemberaubende Alpenwelt in einen transparenten Schleier und nebeln mit maschineller Hilfe die auf dem Friedhof gedrehten Szenen gruselig ein.

Zur Premiere von Steffens neuem Film "Alpgeister" im Rahmen des "Flussfestivals" sind so viele Zuschauer gekommen, dass in letzter Minute noch Plastikstühle vor die Tribüne geschleppt werden. Schließlich passiert es nicht alle Tage, dass Wolfratshausen für eine Film-Uraufführung auserkoren wird. Der Seeshaupter Regisseur ist kein Unbekannter, er hat in seinen Dokumentarfilmen zum Gefallen des Publikums schon ausführlich die Heimat erkundet: von den Flößern in "Fahr ma obi am Wasser" angefangen bis zum modernen Volksmusiksound in "Bavaria Vista Club". Hört man sich auf dem Festivalgelände um, ist auch das Thema der "Alpgeister" mit seinen Mythen, Sagen und der spirituellen Kraft der Natur mit vielen Erwartungen verknüpft.

"Wow", entfährt es Steffen sichtlich erleichtert angesichts der vollen Tribüne. Der Indie-Filmemacher ist begeistert, dass sein Naturfilm jetzt open air das Licht der Welt erblickt. "Genau das habe ich mir gewünscht, ihn unterm Sternenhimmel zu zeigen." Doch das nächtliche Firmament lässt auf sich warten und einigen Zuschauern ist da wahrscheinlich noch nicht klar, dass sie viel Sitzfleisch aufbringen müssen, ehe weit nach Mitternacht der Abspann über die Leinwand flimmert. Um acht Uhr abends ist es noch taghell. Deshalb entern zunächst die wilden "Irxn" die Bühne, die sich barfuß, mit Dreadlocks und im Männerrock die Seele aus dem Leib spielen. Mystische Lieder zählen zum Repertoire der bayerischen Folkrocker, die mit "Rauhnacht" den passenden Titelsong zum Film beigesteuert haben. Zwischen kraftvollen Gitarrenriffs das Totenglöcklein und raunt Leadsänger Bernie Maisberger mit Reibeisenstimme: "Heit wernd's di holn."

Immer noch ist es nicht dunkel genug. Wie es sich für eine Uraufführung gehört, dürfen sich jetzt die Filmcrew, Darsteller und Sponsoren feiern lassen. An die 50 Leute drängen sich schließlich auf dem schmalen Uferstreifen. Auch Filmkomponist Titus Vollmer aus Geretsried, Drohnenfilmer Marius Vogel aus Wolfratshausen und Protagonist Wolfgang Ramadan aus Schlederloh. Als Walter Steffen um 22.30 Uhr den Wolfratshauser Hermann Paetzmann nach vorne holt, will dieser spitzbübisch vom Regisseur wissen: "I soi frogn, ob's an Film a no gibt." Keine zehn Minuten später ist es soweit.

Der Film spürt den alten Legenden nach, die seit Jahrhunderten überliefert werden, der Werdenfelser "Weißen Frau" oder versteinerten frevelhaften Bauernburschen genauso wie den unerklärlichen Phänomenen, den alpinen Kraftorten und dem Volksglauben an die Existenz einer spirituelle Zwischenwelt jenseits des menschlich Begreifbaren. Großartige Aufnahmen der Berge mit ihren tiefen Schluchten, ihren mystischen Wälder mit moosbewachsenen Baumriesen und dunklen Höhlen sind Steffen gelungen. Dazu lässt er geschichtskundige Männer und Frauen erzählen, was der Zunft der einheimischen Alphirten am authentischsten gelingt. Wenn die Kraft der Worte nicht reicht, um die Bilder im Kopf zu erzeugen, bedient er sich inszenierter Spielfilmsequenzen. Dann steigen die toten Seelen aus dem Grab, um die brandschatzenden Panduren aus Lenggries zu verjagen - "Fluch der Karibik" lässt grüßen. Handwerklich ist das aber gut gemacht, und so ist gegen ein bisschen Mumpitz mit herumspukenden Totenköpfen nichts einzuwenden. Aber glaubt Wolfgang Ramadan wirklich, was er da sagt? Ratlosigkeit macht sich breit, als der Schlederloher im Film von einem Absturz am Herzogstand berichtet und zum Beweis des glimpflichen Ausgangs seinen Schutzengel gefilmt haben will - die Aufnahme zeigt einen hellen Schein mit einem dunklen Fleck, was mit viel Fantasie als dunkle Figur durchgeht. Da wäre es hilfreich zu wissen, dass Ramadan in einem Interview schon offen darüber berichtet hat, dass er eine optische Illusion mit dem Handy einfing. Die Erklärung sei aber der Filmschere zum Opfer gefallen.

© SZ vom 06.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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