Wackersberg:"Manche sind wirklich Saubären"

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Die Wanderwege im Tölzer Land ziehen nicht nur Touristen an - sondern auch deren Abfall. Was sich dagegen unternehmen lässt, erklären Experten bei einer Null-Müll-Tour auf den Heiglkopf.

Von Kathrin Müller-Lancé, Wackersberg

Unter dem Gipfelkreuz wird erst einmal Bilanz gezogen: sechs Hundekotbeutel, ein Plastikrohr, ein Lutscher-Stil, ein verpackter Müsliriegel, ein Lumpen, ein Latte-Macchiato-To-Go-Becher. Nur ein paar Beispiele dessen, was sich auf dem Weg nach oben angesammelt hat. Glaubt man denen aus der Gruppe, die hier öfter unterwegs sind, ist das sogar eine eher maue Ausbeute. Durch den Regen waren vermutlich weniger Ausflügler unterwegs. Mit Greifzangen, Gartenhandschuhen, manchmal den bloßen Fingern haben die Teilnehmer der Null-Müll-Tour den Abfall aufgesammelt. Am Ende eine ordentliche Tüte voll, und immerhin die ist Mehrweg. Bei der Wanderung auf den Heiglkopf geht es aber nicht nur darum, Müll zu sammeln - sondern auch und vor allem um Aufklärung. Was passiert überhaupt, wenn eine Plastiktüte im Gebüsch landet? Wie lange braucht ein Papiertaschentuch, bis es verrottet? Und wie lässt sich unnötiger Abfall vermeiden?

Geplant haben die Aktion der Alpenverein München Oberland und der Tölzer Land Tourismus. Beide haben jüngst Initiativen gestartet, um auf das Müllproblem in den Bergen aufmerksam zu machen: "Der Ausflugsdruck hat durch Corona stark zugenommen. Wir wollen den Leuten mitgeben: Kommt gerne hier her, aber bitte verhaltet euch angemessen", sagt Christina Baier vom Tölzer Land Tourismus . "Naturschutz beginnt mit dir" heißt dementsprechend die Kampagne des Verbands, "Obacht geben" die des Alpenvereins München Oberland. Mehr als 300 Millionen Brutto-Umsatz hat der Tourismus dem Tölzer Land noch vor der Corona-Krise im Jahr 2019 beschert. Aber je mehr Menschen sich in den Bergen tummeln, desto größer ist auch das Problem mit dem Abfall. "Nicht alle Touristen und Einheimischen verhalten sich so, wie sie es sollten", sagt auch Jan Göhzold, Bürgermeister von Wackersberg. Auch er ist an diesem Tag ausgestattet mit einem wiederverwendbaren Müllsack.

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Erster Stopp auf der Route ist die Alm von Alois Willibald, die direkt am Wanderweg liegt. "Heuer mit Corona waren die Massen los", berichtet er. Durch die Kuhherde hindurch führt der Landwirt, standesgemäß in Latzhose und Filzhut, zu seinem Hof. Das hölzerne Toilettenhäuschen dort links, eigentlich zur privaten Nutzung bestimmt, sei während der Pandemie zur "Chaosbaustelle" verkommen. Taschentücher, Windeln, Exkremente - all das hätten die Touristen auf seinem Gelände hinterlassen. Mittlerweile habe sich die Lage etwas beruhigt. Der Ärger ist Willibald trotzdem noch anzuhören. Schließlich ist der Müll nicht nur für die Menschen, die hier leben, ein Problem. Die Landwirte in der Region müssen immer wieder Kühe schlachten lassen, die Abfall gefressen und danach Schmerzen haben. Scharfkantige Dosenverschlüsse und Plastikdeckel seien besonders gefährlich für die Tiere, so Willibald.

Ohnehin ist der Müll auf dem Wanderweg nicht immer leicht zu erkennen - geschweige denn aufzusammeln. Der Regen hat die Papiertaschentücher aufgeweicht und zerfasert, manche Hundekotbeutel hängen in Fetzen zwischen den Steinen des Schotterwegs. Auf dem Weg zum Gipfel, vorbei an Eseln und Kühen, sucht man eines vergeblich: Mülleimer. Was erst einmal anti-intuitiv klingt im Kampf gegen den Abfall, ist aber Strategie: "Wer eine volle Flasche hoch auf den Berg schleppt, kann auch eine leere Flasche wieder mit runternehmen", sagt Bürgermeister Göhzold. In dem Moment, in dem die Gemeinde Eimer aufstelle, würden diese zum Wegwerfen animieren und bald vor Müll überquellen. Das langfristige Ziel der Kommune ist es, die Wanderinnen und Wanderer dazu zu bringen, ihren Abfall selbst mitzunehmen. Am problematischsten aber, da pflichtet der Bürgermeister dem Almwirt bei, seien die menschlichen Hinterlassenschaften. "Manche sind wirklich Saubären." Auf dem Parkplatz am Zwiesel steht jetzt immerhin ein Dixi-Klo.

Um das Verhalten der Bergsportler besser kontrollieren zu können, hat das Landratsamt schon vor Jahrzehnten "Isarranger" beauftragt. Ihre Mission: Hausmeister sein für die Natur. Dazu gehört nicht nur, Leute vom Feuermachen oder Wildcampen abzuhalten, sondern auch davon, ihren Abfall in der Natur zu hinterlassen. Mittlerweile gibt es zwölf Ranger im Landkreis. Was den Müll angeht, machen ihnen vor allem die Partygäste an den Stränden der Isar und der Bergseen zu schaffen, Stichworte: Bierflaschen, Zigarettenkippen, Grillmüll.

Bleibt noch die Frage, was die Essens- und Verpackungsreste überhaupt in der Natur anrichten. "Wir kennen alle die Bilder von Schildkröten, die Plastik im Maul haben", sagt Hannah Heither, Biodiversitätsberaterin für den Landkreis. Aber auch die heimischen Arten seien durch Abfall bedroht. Zum Beispiel, wenn sich eine Spitzmaus in einer Plastikflasche verhakt, oder ein Fuchs mit seiner Nase in einer Dose stecken bleibt. Verbauen Vögel Plastikteile in ihren Nestern, laufen die Jungen Gefahr, sich darin zu verheddern. Noch deutlicher wird das Problem, wenn man sich vor Augen führt, wie lange es dauert, bis manche Abfälle verrottet sind. Ein Papiertaschentuch: bis zu fünf Jahre. Eine Bananenschale: bis zu drei Jahre. Eine Plastikflasche: schätzungsweise 500 Jahre.

Am besten ist es freilich, erst gar keinen Abfall auf den Berg zu hochzuschleppen. Auch dafür liefert die Null-Müll-Tour Ideen: Raucherinnen und Raucher sind mit einem Klick-Klack-Aschenbecher gut bedient, einer hosentaschentauglichen Metalldose, in der Asche und Zigarettenstummel bis zum nächsten Mülleimer aufbewahrt werden können. Die Brotzeit lässt sich statt in Plastik oder Alufolie auch in Bienenwachstücher einschlagen. Die sind abwaschbar und können mit frischem Wachs und einem Bügeleisen wieder neu versiegelt werden. Und warum zum Schnäuzen nicht einfach auf Stofftaschentücher zurückgreifen?

Ein ganzes Stückchen schlauer fühlt man sich am Ende, angekommen am Gipfel des Heiglkopfs. Eigentlich Zeit für ein Gruppenfoto. Aber zwei Leute fehlen - sie sammeln noch Glasscherben ein.

© SZ vom 29.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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