Ideen gegen Overtourism in den Bergen:"Wir müssen unser Bergsteigerverhalten verändern"

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Freiheit und Freizeit: Die Münchner zieht es in die Berge. Weil das zum Stresstest für die Natur wird, steuert der Alpenverein gegen. (Foto: Imago Images/Imagebroker)

Wie der Münchner Alpenverein am Umweltbewusstsein seiner Mitglieder arbeitet.

Von Isabel Bernstein

Nein, sagt Thomas Urban, der Geschäftsführer der Münchner Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV). Richtig zufrieden sei er nicht mit dem Start des Bergsteigerbusses gewesen. Seit zwei Wochen läuft das Pilotprojekt, das Bergsteiger in Gegenden der bayerischen Voralpen bringen soll, die nicht so überlaufen sind. Doch am ersten Wochenende war die Linie, die in die Ammergauer Berge fährt, zur Hälfte ausgelastet, die zwei anderen ins Tegernseer Tal und in den Chiemgau nur zu 30 Prozent. "Da haben wir uns mehr erhofft", gibt Urban zu. Doch natürlich ist es zu früh für ein erstes Fazit, und außerdem: An einem der Tage spielte abends die Deutsche Fußball-Nationalmannschaft.

Der Bergsteigerbus ist eine der Versuche der Münchner DAV-Sektion, ihren Teil beizutragen zur Entspannung des zunehmend kompliziert gewordenen Verhältnisses zwischen Stadt und Land. "Overtourism" ist das Schlagwort spätestens seit dem vorigen Corona-Sommer, wenngleich weniger die Touristen (die im vergangenen Sommer eh nicht reisen durften) das Problem in den Augen vieler Einheimischer rund um Tegern-, Schlier- und Spitzingsee sind. Sondern die Tagesausflügler, die - so die Wahrnehmung dort - die Straßen verstopfen, die Parkplätze vollparken und die Natur verschmutzen. Auch er habe ein Problem mit so mancher dieser Entwicklungen, sagt Günther Manstorfer, der Vorsitzende des Vorstands der Münchner Sektion. Er findet: "Wir müssen unser Bergsteigerverhalten verändern."

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Kommentar von Isabel Bernstein

Was der DAV da tun kann? "Wir wollen nicht als Lehrmeister auftreten", sagt Manstorfer einerseits. Doch die Sektion ist sich bewusst, dass sie eine wichtige Rolle spielen kann in dem Konflikt. Mit derzeit 180 000 Mitgliedern ist die Sektion nach dem FC Bayern der zweitgrößte Verein in München, und als solcher hat sie allein mitgliedermäßig eine steile Karriere hingelegt. In den vergangenen fünfzehn Jahren hat die DAV-Sektion ihre Größe fast verdoppelt. Das gibt ihr die Möglichkeit, zumindest auf ihre Wanderer einzuwirken.

Da sind einerseits die Verhaltenstipps, die "wir fast schon gebetsmühlenartig" wiederholen, wie Manstorfer sagt: mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und nicht nur am Wochenende in die Berge fahren, auf den Wegen bleiben, Müll wieder mitnehmen. Doch es soll nicht bei Appellen bleiben. Derzeit entwickelt die Gruppe "Zug, Bus, Berg" ein Konzept, wie öffentliche Verkehrsmittel für Bergsteiger attraktiver gemacht werden können, wie Fahrpläne besser aufeinander abgestimmt, wie Busse besser ausgelastet werden können. Der zweite konkrete Schritt ist, dass die Sektion die Zahl der Ausbildungskurse massiv ausgebaut und den Naturschutz darin als festen Bestandteil integriert hat, sagt Thomas Urban.

DAV-Kurse sind für viele Bergbegeisterte eine gute Möglichkeit, ihre ersten Erfahrungen beim Wandern, an der Felswand oder beim Skitourengehen im Schnee zu sammeln - und genau die will die Sektion sensibilisieren. "Wir sind ein Naturschutzverein", sagt Urban, "aber auch ein Bergsportverein". Heißt: Natürlich wird der DAV weiterhin Tourentipps auf seine Homepage stellen und Menschen dazu ermuntern, in die Berge zu gehen, aber mit der nötigen Rücksicht.

Weil nicht nur der Andrang auf die Alpen und der Umgang ein in Bergsteigerkreisen heftig diskutiertes Thema ist, will die Münchner Sektion ihren Mitgliedern künftig ermöglichen, ihre Meinungen stärker einbringen zu können. Denn auch hier macht sich das Wachstum der Mitgliedszahlen der vergangenen Jahre bemerkbar, wenngleich eher unangenehm. "Übergreifende Diskussionen gibt es bisher eher nicht", sagt Manstorfer, das laufe bisher eher zwischen einzelnen Gruppen und Sektionen ab.

Das soll sich ändern: In der Mitgliederversammlung am kommenden Dienstag, die die Sektion größen- und coronabedingt im Audi Dome abhalten wird, will der Vorstand eine Satzungsänderung beschließen lassen, die neben einigen grundlegenden Leitlinien unter anderem auch die intensivere Beteiligung der Mitglieder festschreiben will. So soll es beispielsweise ein Forum geben, in dem Mitglieder eine Mehrjahresagenda entwerfen, die für die Arbeit des Vorstands dann bindend ist. Hier sollen Themen wie die Entwicklung des Bergsports, der Umweltschutz oder die Hütten-und Wegepolitik verstärkt diskutiert werden. Die derzeit gültige Satzung stamme von 1950, als die Sektion nur einen Bruchteil der heutigen Mitgliederstärke hatte. Mit der neuen wolle man sich für die nächsten Jahre fit machen, sagt Manstorfer. Genug umstrittene Themen, bei denen sich die Bergsteiger einbringen können, gibt es ja.

© SZ vom 28.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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