Die Zeiten sind schwer, da ist irgendwie jedes Mittel recht. Und wenn es Schöntrinken ist. Gäbe es das Starkbier nicht schon längst, man müsste es also erfinden, um nicht den Mut zu verlieren ob der kleinen und großen Politik dieser Tage. Und weil es sich umso schöner trinken lässt, wenn man dabei nicht alleine ist und obendrein eine Projektionsfläche hat, tat auch heuer wieder ein eigenes Starkbierfest in Wolfratshausen Not. Ein Ort, der mehr Steilvorlagen als Bergwaldpfade bietet und somit wie geschaffen ist für kabarettistische Beleuchtungen, auch wenn die Realität oft kaum mehr überspitzbar zu sein scheint. Jene konzentrierte Form aber, wie die Loisachtaler Bauernbühne die vergangenen Monate auf die Bretter brachte, war ein Panoptikum erster Güte, der Wahnsinn im Brennglas quasi.
"Wolfratshausen - mächtig am Zug" hatten die Laiendarsteller ihr diesjähriges Singspiel betitelt. Die Stunden des Bürgermeisters waren gezählt, von ihm selbst: "Freitag - wieder eine Woche näher am Ruhestand", seufzte Andreas Wastian alias Klaus Heilinglechner zu Beginn. Zwei Jahre Dienstzeit habe er noch - oder sollte er vielleicht verlängern: "Eigentlich is' eh schon wurscht, ob ich mich daheim im Stall mit Rindviechern rumärgere oder da herin mit diesen sturen Eseln." Annette Heinloth (Eva Zinnecker) richtete inzwischen einen grünen Bioladen in einem der leer stehenden Gebäude am Bahnhof ein. Natürlich mit Wolfratshauser Fairtrade Schokolade - nur das Cannabis fehlte noch. "Ich hoffe ja nur, bis April hamma des do. Wer da scho ois vorbestellt hat!"
Tom Janoschi alias Günther Eibl sah derweil die Stadt vor lauter Baustellen nicht mehr. "Ob jetzt da an dem maroden Bahnhof oder in der Altstadt - bis da mal endlich was wor-wärts geht", stöhnte er. Eine größere Rolle kam dem "promovierten Weichensteller" Stefan Werner (Stefan Randi) zu, der von "partizipativen Projekten und Interkonventionen" schwadronierte. Über das Transformationslabor transformationslaberte er auf Hochtouren - kapieren musste das keiner. "Die müssen das nur akzeptieren und vor allem finanzieren."
"Hoffentlich lenkt der den Stadtzug auf das richtige Gleis - ned, dass wir noch aufm Abstellgleis landen, Endstation samma ja schon. Oder dass mia no mehra ausbremst werden!", grummelte Eibl. Stichwort für den schwer an Bedenken tragenden Helmut Forster (Michael Hanak): "Bin schon da, was muass ausbremst werden?" Doch Eibl ging es mehr darum, die Wolfratshauser Liste einzubremsen, und zwar bei deren permanentem Ausbremsen: "Ihr seid eine Dreifachbremse: Da Fleischer Manä is d'Handbrems, da Kugler Richie is d'Fuassbrems und du stehst als Bremsbock am End vom Gleis, dass ja koana vorbeikimmt."
Während sich also Wolfratshausen permanent selbst blockierte wie eine Oberlandla-Variante eines "mexican standoff", kamen Touristen zur Ablenkung gerade recht. Und die kamen auch noch mit dem "klimaneutralen Schienenersatzverkehr, ganz ohne Verspätungen", nämlich mit der Spatzenrikscha. Die Touristen (Sylvia Demmel, Wiggerl Gollwitzer, Lenny Lisy und Sophia Brauner) hatten vorsichtshalber Gummistiefel dabei, schließlich nennt sich Wolfratshausen neuerdings "mächtig im Fluss".
Ihre Liste der Sehenswürdigkeiten war lang: "Mit den Enkeln in den Märchenwald und dort das Parkhausmärchen anschauen", von dem man schon "viel gehört, aber noch nichts gesehen" hat. Oder den Weidacher Spielplatz mit dem "coolen neuen Feuerwehrauto" besuchen, auch wenn da die Schwester nicht hin darf, wie "Tante Tilke" gesagt hat. Die Jugendbeauftragte Jennifer Leyton (Verena Hrotko) bot ihren " super sonnigen mega funky Stadtstrand" feil - "ohne Sand, aber mit wenig Schotter von Schülern nachhaltig möbliert".
Während die Gäste sich also auf den Weg machten, installierte Patrick Lechner (Tobias Zengerle) eine Livestream-Kamera am Bahnhof, denn dann kann "jeder Bürger von zu Hause aus sehen, ob ein Zug fährt oder nicht."
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Bis Geretsried jedenfalls fährt kein Zug, dennoch machte die Bauernbühne nicht in Wolfratshausen Halt. Für den Bürgermeister der Nachbarkommune, ebenfalls im Saal, gab es neben Starkbier Zuckerbrot und Peitsche: "Schau dir die Betonwüste an am neuen Karl-Lederer-Platz, die sich der Müller Michl hat bauen lassen. Der glaubt allen Ernstes, dass ein Rinnsal und 0,8 Quadratmeter Wiese mit Feinsplitt und drei Bäumchen eine Oase der Entspannung sein soll. Nun ja, vielleicht denkt er, für seine Geretsrieder duads des scho", sagte Melissa Demmel alias Ingrid Schnaller. Lechner konterte, dass man dort eben mit der Baumschutzverordnung anders umgehe: "Da werden Bebauungspläne nicht an den Baumbestand angepasst, sondern der Baumbestand an die Bebauungspläne."
Die Touristen hatten derweil alles gesehen, auch die historische Altstadt. "Dass ihr das mit dem ALT aber auch so wörtlich nehmt", wundern sie sich. Nur konnte ihnen niemand Näheres über die "Legende einer Kunstmeile" berichten - "Legende war des keine, des war mehr eine kurze Epoche", murmelte Heilinglechner, bis Eibl reingrätschte: "Epoche? Des war ein epochales Geheimnis! Bei der letzten Kunstmeile haben ned mal die Künstler selbst gewusst, wann diese überhaupt eröffnet wird." Enttäuscht waren die Gäste jedoch vom "Fake-Strand: kein Sand, kein Wasser, nur Hundehaufen." Auch vom Japanischen Garten: "Kein Feng Shui, eher a weng Pfui".
Am Ende forderte der Bürgermeister, "den Zug für Wolfratshausen auf ein neues Gleis zu setzen und gemeinsam in eine wunderbare Zukunft zu fahren" - begleitet vom Chor "Wunder gibt es immer wieder". Aber, so hatte der Chor der Deutschen Bahn (Carolin Wolf, Theresa Mockenhaupt, Stefan Schwellenhaupt und Patrick Laier) ja zuvor bereits zum Lindenbergschen Lied "Sonderzug nach Pankow" gedichtet: "Entschuldigen Sie/ ist das hier wirklich Wolfratshausen?/ Man glaubt, das darf doch nicht sein/ die halbe Stadt schläft fast ein." Nirgends gehe was vorwärts, ein Skandal. Es bleibt also alles beim Alten: "Wolfratshausen - Endstation".
Auszüge aus den Liedern
Der Text nach der Melodie "Es fährt ein Zug nach nirgendwo":
Es fährt kein Zug nach Geretsried /den's 2050 auch nicht gibt/ Jeder weiß, dass der nicht fährt/ ganz Geretsried daher betrübt.
Es fährt kein Zug nach Geretsried/ Die Kosten werden täglich mehr/ und mit wenigen Euros eine teure Bahn bau'n/ Fällt selbst der Bundesbahn recht schwer.
Es fährt kein Zug nach Geretsried/ da fährt niemals ein Passagier/ mit jedem Jahr, das neu vergeht/ ist auch die Bahn nicht mehr dafür.
Refrain: Oh Herr Müller, wir haben dich lieb/ wir haben dich lieb, bitte glaube mir/ doch was auch immer dir die Bahn erzählt/ es fährt kein Zug, wir schwören es dir.
Oh Geretsrieder, lasst's doch gut sein/ kauft euch besser einen Omnibus/ Der könnte schon morgen bei euch fahren/ mit dem sinnlosen Warten wäre dann Schluss.
Es fährt kein Zug nach Geretsried/ ein solcher nur das schöne Land zerstört/ und es auch diesen gar nicht braucht/ wie uns Herr Wensauer erklärt.
Es fährt kein Zug nach Geretsried/die Bahn lässt hier die Stadt komplett allein/ das Industriegleis muss genügen/ ein Zug für Personen wird niemals sein.
Es fährt kein Zug nach Geretsried/ und niemand stellt von Rot auf Grün das Licht/doch das macht uns wirklich gar nichts aus/ nach Wolfratshausen fährt er, mehr brauchen wir nicht.
Auszug aus dem Text nach der Melodie "Sonderzug nach Pankow":
Entschuldigen Sie/ ist das hier wirklich Wolfratshausen?/ Man glaubt, das darf doch nicht sein/ die halbe Stadt schläft fast ein./ Der Stadtrat, der denkt, die Leute würde das nicht stören/ doch merkt man es immer mehr/ die Bürger nervt das doch sehr! / Kein Parkdeck, nix zum Baden, keine neue Marktstraße/nirgends geht was vorwärts, das ist echt nicht zu fassen / und man möcht' fast denken/ den Leuten, die hier lenken/ ist das komplett egal - so ein Skandal!
Refrain: Ein Antrag für 'ne Parkbank zieht sich voll in die Länge/ schaut doch mal nach Geretsried, da geht 'ne Menge/ reißt euch doch am Riemen/ - dem Bürger sollt ihr dienen!/ das ist doch nicht schwer und da geht noch mehr.