Wirtschaft:Vom Nonnenwald in die Welt

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Der Pharma-Konzern Roche feiert heuer sein 125-jähriges Bestehen. Sein Werk in Penzberg, einer der größten Arbeitgeber in der Region, gibt es seit bald 50 Jahren. Zeit für einen Rundgang.

Von Kathrin Müller-Lancé, Penzberg

Ein kleines, unscheinbares Pförtnerhäuschen deutet noch auf das hin, was hier bis vor etwa 50 Jahren passierte. Ein Zeuge aus vergangenen Zeiten. Bis ins Jahr 1966 war das Gelände am Nonnenwald ein Bergwerk, aus mehreren hundert Meter tiefen Schächten wurde Kohle gefördert. Heute geht das ehemalige Pförtnerhaus seiner Umgebung unter, um es herum ist eine riesige Anlage entstanden, die aktuell 434 000 Quadratmeter misst: das Werk des Pharmaherstellers Roche. Mit fast 7000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist der Unternehmenssitz einer der größten Arbeitgeber in der Region.

Heuer stehen dem Penzberger Werk beinahe zwei Jubiläen ins Haus: Am 1. Oktober 1896, also vor 125 Jahren, gründete der Schweizer Fritz Hoffmann das Pharmaunternehmen in Basel. Heute gilt es als eines der größten der Welt. Das Penzberger Roche-Werk, nach dem Standort in Mannheim das zweitgrößte in Deutschland, feiert im nächsten Jahr seinen 50. Geburtstag. 1972 legte das inzwischen von Roche aufgekaufte Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim den Grundstein für ein Werk auf der Industriebrache.

Der Schweizer Fritz Hoffmann hat das Pharmaunternehmen 1886 in Basel gegründet. (Foto: Roche/oh)

"Dazu kam es wie so oft durch einen ganz lustigen Zufall", berichtet der heutige Werkleiter Ulrich Opitz. Ein Angestellter des damals noch in Tutzing stationierten Unternehmens und ehemaliger Mitarbeiter des Penzberger Bergwerks habe Gotthilf Näher, den späteren Penzberger Werkleiter, beim Skifahren getroffen und ihm von dem ausgedienten Bergwerk am Nonnenwald erzählt. Schließlich kaufte Boehringer Mannheim das Gelände tatsächlich. "Bei der Eröffnung des Werks 1974 waren es gerade einmal etwa 150 Mitarbeitende", sagt Opitz. Der promovierte Biochemiker hat die Anfangszeiten zwar nicht selbst erlebt, arbeitet aber seit mittlerweile mehr als 30 Jahren für das Unternehmen. "Ich habe fast keine Zeit erlebt, zu der nicht mal irgendwo auf dem Gelände ein Kran stand", sagt er.

Seit Jahren pumpt der Schweizer Konzern viel Geld in sein Penzberger Werk, allein in den letzten vier Jahren hat Roche dort 1,2 Milliarden Euro investiert. Am Nonnenwald ist fast ein eigenes kleines Städtchen entstanden, inklusive Verkehrsführung, extra ausgewiesenen Fußgängerwegen und einem Parkhaus. Die werkeigene Kläranlage, die das Abwasser aus der Produktion aufbereitet, könnte vom Volumen her 165 000 Einwohner versorgen. Bis 2024 soll auf dem Gelände ein neues Büro- und Laborgebäude mit 800 Arbeitsplätzen entstehen, die Kosten dafür sollen sich auf bis zu 250 Millionen Euro belaufen. Die jüngste Investition für 65 Millionen Euro ist eine Produktionsstätte für gentherapeutische Produkte - wann sie gebaut und in Betrieb genommen wird, steht noch nicht fest.

Auf dem Campus ist das meiste auf Englisch ausgeschildert, hin und wieder ist aber auch Bairisch zu hören. "Wir sind längst Teil eines weltweiten Netzwerks geworden", sagt Werkleiter Opitz. Während der Penzberger Standort zunächst vor allem als Produktionsstätte diente, beherbergt er heute auch Abteilungen zur Forschung und Entwicklung. Das Penzberger Werk ist laut Opitz außerdem weltweit das einzige bei Roche, in dem die beiden Bereiche Pharma und Diagnostik auf dem Gebiet der Biotechnologie forschen, entwickeln und produzieren. Im Pharma-Bereich werden am Nonnenwald zum Beispiel Medikamente gegen Brust- und Lungenkrebs hergestellt. Auch ein Epo-Präparat wird dort produziert. Das Arzneimittel, das den meisten von der missbräuchlichen Verwendung als Dopingmittel im Sport bekannt sein dürfte, dient eigentlich der Behandlung von Blutarmut. Im Bereich der Diagnostik hat das Roche-Werk in Penzberg zuletzt viel mit der Entwicklung und Produktion von Reagenzien für Corona-Labortests zu tun gehabt. Ob er es schade findet, dass sein Konzern nicht wie Biontech mit einem Corona-Impfstoff Schlagzeilen machen konnte? "Das ist nicht unser Geschäft", sagt der Penzberger Werkleiter. Roche habe noch nie Impfstoffe hergestellt, man habe sich stattdessen lieber auf die Tests und Medikamente zur Behandlung konzentriert.

Ein Bereich, der in der Zukunft auch in der Pharmazie immer größere Bedeutung erlangen wird, ist laut Opitz die Digitalisierung. "Wir sollten reale Behandlungsdaten von Patienten zur Wirkung unserer Medikamente nicht unberücksichtigt unter dem Pappdeckel verschwinden lassen, sondern anonymisiert damit weiterarbeiten", sagt er. Mit diesen Daten lasse sich zum Beispiel die Wirkung bestimmter Medikamente auf bestimmte Patientinnen und Patienten deutlich besser analysieren.

Wie das mit der Forschung der Zukunft aussehen kann, zeigt der Blick in eines der Labore auf dem Gelände. Es herrscht Kittel- und Schutzbrillenpflicht, auch wenn hier vor allem Maschinen arbeiten. In der Mitte des Raumes stehen nicht Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit Pipetten, sondern eine moderne Anlage mit Greifarmen. "Automation" heißt das Stichwort dahinter. Ingenieur Alexander Knaupp, der das Ganze mit konzipiert hat, erklärt stolz die Funktionsweise der einzelnen Stationen. Die Arbeitsschritte, zum Beispiel das Analysieren einzelner Antikörper für ein Krebsmedikament, laufen automatisiert ab. Es genügt, wenn ein Mitarbeiter, hier "User" genannt, eine Platte mit den verschiedenen Proben in das Automationssystem einbringt. Die Anlage übernimmt sogar die Mülltrennung - und natürlich, mit Unterstützung von diverser Software, die spätere Auswertung der Daten. Ein Arbeitsschritt, der sonst länger als eine Stunde dauern würde, kann so auf 20 Minuten reduziert werden. "Im Gegensatz zu Menschen kann dieses System auch an sieben Tagen die Woche 24 Stunden lang arbeiten", erklärt Knaupp. Es lasse sich sogar aus dem Home Office steuern.

Gefahr, dass automatisierte Anlagen wie diese nach und nach die Menschen von dem Gelände am Nonnenwald drängen, besteht laut Knaupp aber nicht. Für das Programmieren der Anlagen und die Fehlerbehebung seien schließlich auch hoch qualifizierte Leute notwendig, sagt er. Das Berufsbild des Labor-Mitarbeiters wandele sich. Einem der Roboterarme, der sich durch das Labor bewegt, haben die zuständigen Forscherinnen und Forscher Wackelaugen aufgeklebt. Er sieht fast ein bisschen menschlich aus.

© SZ vom 26.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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