Politik im Landkreis:SPD am Scheideweg

Lesezeit: 5 min

Nach der Europawahl ist vor der Kommunalwahl. Doch die einst so stolze und traditionsreiche Volkspartei ringt nach ihren zunehmend mageren Ergebnissen auch lokal um ihre Bedeutung. Eine Bestandsaufnahme.

Von Konstantin Kaip, Felicitas Amler, Klaus Schieder

Nur knapp sieben Prozent: Bei der Europawahl setzte es für die SPD mal wieder eine heftige Watschn. Es war nach der Landtagswahl 2018 das zweite Mal in Serie, dass die Partei im Landkreis in den einstelligen Bereich rutschte. So hart und geradezu unvorstellbar das klingt, aber die einstige Volkspartei droht in der Region zur Splittergruppierung zu verkommen. Als letzten Hoffnungsschimmer setzen die Sozialdemokraten auf die Kommunalwahl im Frühjahr 2020. Da gehe es um lokale Köpfe, ganz unabhängig davon, was auf Landes- oder Bundesebene passiere, heißt es bei den Genossen. Beim Kampf um die Rathäuser könne die SPD ihre Stärken ausspielen, endlich auch mal wieder richtig punkten. Doch so ganz unisono gilt das für die Städte und Gemeinden im Landkreis auch nicht.

Bad Tölz: Notorisch schwerer Stand

Im schwarzen Bad Tölz hatten die Sozialdemokraten noch nie einen leichten Stand. Aber auch die Zeiten, als die Roten mit immerhin acht Abgesandten im Stadtrat vertreten waren, sind schon lange vorbei. "Das war die Hoch-Zeit", erinnert sich Willi Streicher, seines Zeichens Kreisrat und Chef der SPD-Stadtratsfraktion in Bad Tölz. Damals habe es die Freien Wähler noch nicht gegeben, so Streicher. Mittlerweile sitzen neben ihm nur mehr zwei Genossen im Stadtrat, die SPD stellt hinter CSU, Freien Wählern und Grünen die kleinste Gruppierung. "Mit drei ist man nicht gerade eine Hausmacht", sagt der SPD-Stadtrat und fügt leicht seufzend hinzu: "Aber es ist besser als nichts." Jürgen Renner, Camilla Plöckl und er selbst versuchten, engagiert Lokalpolitik "nicht im Sinn der Partei, sondern im Sinn der Bürger" zu betreiben.

Aber diese Mühen fruchten nicht. Für Streicher sind die inhaltlichen Ziele der SPD wie etwa soziale Gerechtigkeit oder Frieden, für die sie immer gestanden habe, nicht minder aktuell als der Klimaschutz. Deshalb stellt er sich die Frage, "warum ist das nichts mehr wert". Dem Niedergang der Sozialdemokraten steht der Aufschwung der Grünen gegenüber, wobei Streicher jedoch zu bedenken gibt, dass die Grünen als Oppositionspartei derzeit auch kaum in der politschen Verantwortung stehen. "Das darf man nicht vergessen." Und in Bad Tölz? Dort werden Renner und Plöckl nächstes Jahr nicht wieder antreten. Die SPD schickt mit dem 38-jährigen Michael Ernst zwar einen eher jungen Bürgermeisterkandidaten ins Rennen. Seine Chancen gegen die Mitbewerber von CSU und Freier Wähler Gemeinschaft (FWG) dürften allerdings überschaubar sein. "Die Wahrscheinlichkeit, dass man in Bad Tölz gewinnt, ist relativ gering", sagt Streicher, der selbst für die SPD zwei Mal für den Chefposten im Rathaus kandidiert und stets klar verloren hat. Aber in der Situation, in der sich die Genossen allenthalben befinden, ist schon eine solche Bewerbung ein Hoffnungsschimmer. "Es kommt darauf an, rauszugehen und sich zu zeigen", sagt Streicher.

Wolfratshausen: Historische Stärke

Wolfratshausen ist wohl die roteste Stadt im Landkreis, zumindest, wenn man die jüngere Historie betrachtet. Seit 1966 war das Rathaus insgesamt 37 Jahre in der Hand von SPD-Bürgermeistern: Willy Thieme regierte zwei Amtszeiten lang, ebenso sein Nachfolger Erich Brockard, der 1990 von Peter Finsterwalder (CSU) abgelöst wurde. Als der in seiner zweiten Amtszeit 1997 starb, wurde Reiner Berchtold für die SPD Bürgermeister, der 2002 erneut gewählt wurde. Seit 2008 hat die Bürgervereinigung Wolfratshausen das Ruder übernommen, bei der Kommunalwahl 2014 konnte aber Herausforderer Fritz Meixner für die SPD in der Stichwahl immerhin 44,1 Prozent der Wähler gewinnen. Mit fünf Stadträten stellen die Sozialdemokraten derzeit, nach BVW und CSU, die drittstärkste Fraktion im Rathaus.

Politische Inaktivität kann man ihr dort nicht vorwerfen: So hat die SPD zahlreiche Anträge eingebracht, auch zu genuin sozialdemokratischen Belangen - etwa bei der gemeinsamen Initiative mit BVW und Grünen für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, aus der bereits 52 Wohnungen auf der Coop-Wiese hervorgegangen sind. Und der Zweite Bürgermeister Fritz Schnaller hat auf eigene Initiative zahlreiche Gespräche mit Behördenvertretern und Ministerialbeauftragten geführt und so den Boden für die Umgestaltung der Marktstraße bereitet, die nun per Bürgerbeteiligung angegangen wurde. Schnaller, der zu den erfahrensten Stadträten gehört, ist wie alle seine Parteifreunde vom neuerlichen Debakel der SPD bei der Europawahl ernüchtert. "Man muss sich fragen: Sind die Themen, die wir ansprechen, noch die, die die jungen Leute interessieren?", sagt er. Er erwarte nun eine "ehrliche Selbstreflexion" der Parteiführung auf Bundes- und Landesebene. Angesichts der politischen Stimmung im Land sei es auch bei der Kommunalwahl "immer ein bisschen schwer, gegen die Strömung zu schwimmen", sagt Schnaller. "Aber ich glaube schon, dass die Bürger erkennen, was wir in den letzten zehn, 15 Jahren hier geleistet haben."

Ähnlich sieht das auch Peter Fasching, Vorsitzender des Wolfratshauser SPD-Ortsvereins, der mit etwa 80 Mitgliedern der stärkste im Landkreis ist. "Unsere fünf Vertreter im Stadtrat haben in den letzten fünf Jahren eine sehr gute Arbeit gemacht, und sie haben auch eine gute Präsenz in der Öffentlichkeit", sagt Fasching. "Bei den Menschen, die sehen, was in ihrer Stadt passiert, werden sie Stimmen holen können." Die lange Tradition mit Thieme, Brockart und Berchtold gebe der Wolfratshauser SPD die klare Maßgabe, erneut einen Bürgermeisterkandidaten zu stellen, erklärt der Ortsvorsitzende. Auf alteingesessene Wolfratshauser habe sie womöglich auch einen gewissen Einfluss. "Allerdings kommen auch viele neue Leute hierher." Die Wolfratshauser SPD-Tradition solle man daher nicht überbewerten - genauso wenig wie die lange Geschichte der Sozialdemokratie in Deutschland. "Das hilft einem 23-Jährigen nicht weiter", sagt Fasching. Wichtig sei, dass die SPD "zukunftsweisende Konzepte für die Stadt anbietet".

Geretsried: "Da verschwindest du halt"

Das Heinz-Schneider-Eisstadion in Geretsried wird gerade saniert und ausgebaut. Einen solchen Eingriff könnte die Partei, welcher der langjährige Bürgermeister Schneider angehörte, zurzeit auch brauchen: Die Geretsrieder SPD findet nach Ansicht von Hans Hopfner keinen rechten Kontakt mehr zur Jugend. Der Zweite Bürgermeister Hopfner ist ein in der Wolle gefärbter Sozialdemokrat; schon Großvater und Vater waren Sozis und Mandatsträger in Geretsried. Sozial und demokratisch, das betont Hopfner, seien doch die Werte, um die es gehe. Aber gerade die seien aktuell wenig gefragt. Er schaut auf die rasanten Erfolge der Grünen: "Die punkten auch bei den Jungen ganz viel." Dagegen spielten soziale Themen offenbar keine Rolle mehr. Weder Mindestlohn noch Rente oder Sozialwohnungen interessierten die Jugend. Die Geretsrieder SPD suche über ihr monatliches Stadtgespräch den Austausch. Aber: "Jemand Junges kommt da überhaupt nicht." Die Kommunikation über soziale Netzwerke behage ihm eigentlich nicht so sehr, sagt Hopfner: "Aber vielleicht müssten wir uns da eine Plattform schaffen."

Das waren Zeiten, als Parteien noch mit sozialen Themen punkten konnten, so wie etwa 1953 bei der Wahl zum Zweiten Bundestag. (Foto: Heinz-Jürgen Göttert/dpa)

Die SPD stellt derzeit sieben von 30 Stadträten; zu ihrer besten Zeit 1972 bis '78 waren es zehn von damals 24 Stadträten.

Als der in der Geretsrieder SPD legendäre Heinz Schneider 1968 erstmals zum Bürgermeister gewählt wurde, sah es für die SPD allerdings bundesweit noch ganz anders aus als heute. Die Hochblüte der Jusos begann damals, und mit Willy Brandt hatte die Partei eine absolute Identifikationsfigur. Von einer solchen Beliebtheit seiner Partei kann SPD-Stadtrat Walter Büttner allenfalls noch träumen. Die SPD müsse ihr "Profil wieder schärfen", sagt er, erwägt aber gleichzeitig, ob sie in Geretsried bei der nächsten Kommunalwahl nicht wieder Vereinbarungen mit der CSU treffen sollte. Das hat die SPD 2014 getan, als sie den CSU-Mann Michael Müller in der Stichwahl gegen Robert Lug (FW) unterstützte. So habe die SPD, sagt Hopfner, die zuvor x-mal vergeblich geforderte Erhöhung der Gewerbesteuer durchgebracht. Und auch die Initiative für mehr bezahlbare Wohnungen in der Stadt - Stichwort "Lorenz-Areal" - sei "deutlich" von der SPD ausgegangen.

Walter Büttner allerdings kommt zu dem Schluss, seine Partei habe in dieser lokalen Konstellation mit der CSU, die den Bürgermeister stellt, dasselbe Problem wie in der Großen Koalition im Bund: "Da verschwindest du halt."

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: